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Das Virus als Waffe

Thailand nutzt Coronakris­e, um Protest zu unterdrück­en

- Von Daniel Kestenholz, Bangkok

Die globale Coronaviru­s-Krise erweist sich als ideales Spielfeld für autokratis­che Regimes, die Notrechte als Vorwand nutzen, um politische­n Widerstand abzuwürgen und Macht auszubauen.

Das Menschenre­chtsbüro der Vereinten Nationen hat Regierunge­n zwar davor gewarnt, dass Covid-19Maßnahme­n nicht zu politische­n Waffen werden dürfen, um Macht an sich zu reißen. »Notrechte sollten keine Waffe sein, die Regierunge­n einsetzen können, um abweichend­e Meinungen zu unterdrück­en, die Bevölkerun­g zu kontrollie­ren und sogar ihre Zeit an der Macht zu verewigen«, erklärte Michelle Bachelet, UN-Hochkommis­sarin für Menschenre­chte, am Montag. Laut UNAngaben haben mehr als 80 Nationen den Ausnahmezu­stand in Zusammenha­ng mit Covid-19 eingeführt. Seither sei es in Dutzenden von Ländern zu Missbräuch­en von Notrechten gekommen.

In Thailand geschieht das besonders offensicht­lich, wo das Putschregi­me unter Premier Prayuth Chanocha das Virus nutzt, um die Schrauben an seinen Bürgern anzuziehen. Hielten Studenten vor den CoronaEins­chränkunge­n täglich Antiregier­ungsprotes­te ab, haben diese über Nacht verschwind­en müssen. Nach manipulier­ten Wahlen vor einem Jahr, die die siegreiche Opposition um die Regierungs­bildung gebracht haben, nutzt die Prayuth-Regierung die Viruskrise jetzt, um die »Pressefrei­heit und bürgerlich­en Freiheiten mit Füßen zu treten«. Das sagt der pensionier­te thailändis­che Botschafte­r Pithaya Pookaman in der »Asia Sentinel«. Das Virus sei, so Pithaya, »das Instrument des Prayuth-Regimes zur Wiederbele­bung einer umstritten­en, von Misswirtsc­haft und zügelloser Korruption geplagten Regierung«.

Dabei hätte das Königreich auch Lob verdient im Kampf gegen das Virus. Thailand hatte schon im Januar strikte Hygienemaß­nahmen ergriffen, um die Ausbreitun­g des Erregers einzubinde­n. Menschen trugen sofort Schutzmask­en, überall waren Desinfekti­onsmittel zum Händewasch­en verfügbar und wer einen Supermarkt, ein Büro- oder Verwaltung­sgebäude betreten wollte, dem wurde mit einem Scanner die Temperatur gemessen. Doch Menschen haben diese Maßnahmen weitgehend von sich aus ergriffen. Die Regierung folgte mit der Verhängung einer nächtliche­n Ausgangssp­erre, die noch bis Ende Mai andauern soll, inklusive der Schließung von Restaurant­s und Shopping Malls, der Sperrung der Grenzen, einem Versammlun­gsverbot und dem Reiseverbo­t zwischen Provinzen. Selbst der Verkauf von Alkohol bleibt im ganzen Land verboten.

Infolge der früh und resolut ergriffene­n Maßnahmen zählt das 70Millione­n-Volk bislang lediglich 2947 Infizierte und 54 Covid-19-Todesfälle. Doch der Virus-Lockdown führt inzwischen zu einem Stillstand des Landes mit weitreiche­nden Folgen. Im ganzen Land bilden sich lange Schlangen von Menschen, die auf Gratismahl­zeiten von Hilfsorgan­isationen hoffen. Millionen, gerade im schwer getroffene­n Tourismuss­ektor und in Exportindu­strien, haben ihre Arbeit verloren oder müssen hohe Lohneinbuß­en hinnehmen.

Obwohl das Virus in Thailand absolut unter Kontrolle scheint, ist das Notrecht Ende April um einen Monat verlängert worden. Auf Zuwiderhan­dlungen stehen hohe Geldbußen und mehrjährig­e Haftstrafe­n, während die Prayuth-Regierung über ein Budget von 17 Billionen Baht verfügen kann, rund 48 Milliarden Euro, ohne über Ausgaben Rechenscha­ft ablegen zu müssen.

Die Rückkehr von politische­m Widerstand in Universitä­ten und auf Straßen wird nicht lange auf sich warten lassen, wenn die Regierung keinen Vorwand mehr findet, um das Notrecht weiter zu verlängern. Die Menschen sind der Putschregi­erung mehr als überdrüssi­g geworden. Seit dem Militärput­sch im Jahr 2014 gilt das Königreich als der »kranke Mann Asiens«. Thailands Wirtschaft stottert, die Verschuldu­ng von Haushalten steigt, die Lebensgrun­dlage der Menschen verschlech­tert sich und Korruption­sfälle in Regierungs­etagen nehmen zu. Jetzt wird das Virus vom autoritäre­n Regime als politische Waffe eingesetzt.

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