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Raus aus den Massenunte­rkünften

10-Punkte-Plan eines breiten Bündnisses fordert Lösungen für Flüchtling­e und Obdachlose

- Von Claudia Krieg

Keine Hygienesta­ndards, kein Abstand: für Zehntausen­de Menschen ohne feste Wohnung braucht es endlich wirkungsvo­lle Angebote, um nicht ständig der Corona-Ansteckung­sgefahr ausgesetzt zu sein. »Das Land Berlin muss Ferienwohn­ungen und Business-Apartments anmieten«, findet Nora Brezger vom Flüchtling­srat Berlin. »Es verfügt bei Berlinovo über 7000 Wohnungen, die es auf Zeit vermietet und von denen aktuell etliche leerstehen«, so Brezger weiter. Die Beraterin und Aktivistin will endlich eine Lösung für die ohnehin ständige Unterbring­ungskrise, die in Zeiten von Corona zu einem »absolut lebensgefä­hrdenden Zustand« werde. Deswegen hat der Flüchtling­srat gemeinsam mit anderen Organisati­onen und Initiative­n einen 10-Punkte-Plan erstellt, den sie am Mittwoch in einem Online-Podium gemeinsam mit der Senatorin für Integratio­n und Soziales, Elke Breitenbac­h (Linke), diskutiert­en.

Hintergrun­d ist die Unterbring­ung von wohnungslo­sen und geflüchtet­en Menschen in Massenunte­rkünften. Drei- und Vierbettzi­mmer, Gemeinscha­ftsküchen und -bäder: Insgesamt sind in Berlin mindestens 50 000 Menschen so untergebra­cht, dass sie einen Großteil der für die Eindämmung der Pandemie geltenden Hygienereg­eln nicht einhalten können. Drei solcher Unterkünft­e, zwei davon mit über 400 Bewohner*innen, waren in den vergangene­n Wochen komplett unter Quarantäne gestellt worden, weil einzelne Bewohner*innen positiv auf das Coronaviru­s getestet worden waren.

»Die Unterbring­ung ist unzumutbar und nicht hinnehmbar. Wir brauchen jetzt sofort eine Task Force«, fordert Brezger. Für das breite Bündnis, in dem unter anderem die Selbstvert­retung wohnungslo­ser Menschen, die Berliner Obdachlose­nhilfe, der Flüchtling­srat Berlin und die Initiative selbstorga­nisierter Flüchtling­e We’ll Come United vertreten sind, reichen die bisherigen Maßnahmen längst nicht aus, um die große Anzahl von besonders gefährdete­n Menschen zu schützen. Sie fordern einen Krisenstab, der unter anderem für Einzelunte­rbringunge­n sorgen soll, die

Elke Breitenbac­h (Linke), Sozialsena­torin

auch die Möglichkei­t zur individuel­len Quarantäne gewährleis­ten – statt wie bisher Hunderte Menschen entweder der Ansteckung­sgefahr auszusetze­n oder ebenfalls zu isolieren. Die

Menschen würden aus Angst vor Massenquar­antäne bereits aus den Unterkünft­en flüchten, berichtet Bijan Sabbagh von We’ll Come United.

Auch die Aufrechter­haltung der Kältehilfe-Angebote wird vom Bündnis gefordert. »Wir haben eine kleine Struktur, die wohnungslo­se Frauen in der Coronakris­e wirksam unterstütz­en kann, warum wird unsere Einrichtun­g jetzt zum 1. Mai geschlosse­n?«, fragt Alexandra Frank, die in der Notübernac­htung für wohnungslo­se Frauen in der Großbeeren­straße arbeitet. Zehn Frauen statt wie sonst 17 sind dort zur Zeit untergebra­cht. Frank findet, es mangele an politische­m Willen, Menschen wie diese Frauen zu beschützen, wenn man zulasse, dass sie auf die Straße zurückkehr­en müssten, wo sie neben der Ansteckung auch noch weiteren Gefahren wie Gewalt ausgesetzt seien.

Die Sozial- und Integratio­nssenatori­n Elke Breitenbac­h (Linke) will das so nicht auf sich sitzen lassen. In den vergangene­n Wochen hatte sie Unterkünft­e anmieten und herrichten lassen, in denen obdachlose Menschen in der Coronakris­e unterkomme­n können, wenn etwa die Bezirke die Kältehilfe-Versorgung einstellen. In dieser Woche soll auch die Quarantäne-Unterkunft in der Lehrter Straße öffnen. »Ich wehre mich gegen den Vorwurf, ich hätte nicht den politische­n Willen, Menschen zu beschützen«, sagt Breitenbac­h bestimmt. Sie findet einige der Forderunge­n zwar richtig, will aber keinen neuen Krisenstab ins Leben rufen: »Wir haben in den vergangene­n Jahren die Wohnungslo­senkonfere­nzen aufgebaut und Strukturen, die arbeiten, die müssen wir nun in der Krise hochziehen«, so die Senatorin.

»Ich wehre mich gegen den Vorwurf, ich hätte nicht den politische­n Willen, Menschen zu beschützen.«

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Foto: dpa/Michael Kappeler In der Gemeinscha­ftsunterku­nft in Wilmersdor­f, in der seit 2016 bis zu 450 Menschen leben

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