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Verdrängun­g: Miete essen Kiezleben auf

- Von Georg Sturm

70 Prozent mehr Miete sollte eine Ateliergem­einschaft in BerlinKreu­zberg zahlen. Das kann sie nicht. Zu Ende Mai wurde ihr nun gekündigt. Kultursena­tor Klaus Lederer (Linke) treibt das um. »Wir sind das letzte Atelier in diesem Komplex«, sagt die finnische Filmemache­rin Laura Horelli. 2006 hatte Horelli das Atelier in der Glogauer Straße 6 in BerlinKreu­zberg gemeinsam mit dem Videokünst­ler Clemens von Wedemeyer bezogen, der als Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig lehrt. Nun soll hier für die aktuell insgesamt fünf Künstler*innen Schluss sein. Nachdem sie einer Mieterhöhu­ng um 70 Prozent nicht zustimmen wollten, wurde ihnen zum 31. Mai gekündigt.

»In den letzten Jahren hat sich die Marktsitua­tion in unserer Stadt im positiven Sinne dynamisch entwickelt. Diese Entwicklun­g blieb nicht ohne Einfluss auf den Mietmarkt für Gewerbeflä­chen, insbesonde­re auch in Kreuzberg.« So leitete das Traditions­unternehme­n Arnold Kuthe Immobilien­verwaltung­s-GmbH das Schreiben ein, das im August letzten Jahres im Briefkaste­n lag. 15,50 statt bisher 9 Euro sollten die Künstler*innen ab Juni 2020 pro Quadratmet­er zahlen.

Auf eine Anfrage von »nd« reagierte das Unternehme­n nicht. Die meisten Räume des Kreuzberge­r Gewerbehof­s werden inzwischen an Start-ups aus dem ITBereich oder Architektu­rbüros vermietet, wie aus einem Immobilien­inserat im Internet hervorgeht. Dort wird die 220 Quadratmet­er große Atelierflä­che für 5500 Euro monatlich zur Miete angeboten – noch einmal 1000 Euro mehr, als die Künstler*innen hätten zahlen sollen.

Das wäre das Ende einer langjährig­en Tradition. Schon viele andere Ateliergem­einschafte­n seien durch die steigenden Mieten verdrängt worden, berichtet Horelli. Renommiert­e Maler*innen, Bildhauer*innen und Installati­onskünstle­r*innen arbeiteten einst in dem Komplex, darunter bekannte Namen wie Michel Majerus, Anselm Reyle und Wiebke Siem.

Dutzende Nachbarsch­aftsinitia­tiven, Galerien und Vereine wenden sich in einem Offenen Brief an den Vermieter mit der Forderung nach Erhalt der Ateliergem­einschaft. Mehr als 600 Menschen unterstütz­en diese Forderung auf der Petitionsp­lattform

»Wir wissen von vielen Einjahresv­erträgen – wie sollen darauf Existenzen aufgebaut werden?«

Coni Pfeiffer, Initiative GloReiche Nachbarsch­aft

change.org. Sogar Berlins Kultursena­tor Klaus Lederer (Linke) setzte sich in einem Schreiben Anfang März für die Künstler*innen ein. Er verweist darauf, dass diese »ganz erheblich« das »weltoffene, moderne und kreative Klima in unserer Stadt« befördern, es ihnen aber immer schwerer falle, marktüblic­he Mieten zu zahlen.

Um die seit Jahren nicht nur in Friedrichs­hain-Kreuzberg grassieren­de Verdrängun­g von Kleingewer­be in Zukunft zu verhindern, fordert die Initiative »GloReiche Nachbarsch­aft« die Einführung eines Gewerbemie­trechts und einen Gewerbemie­tspiegel. »Wir wissen von vielen Einjahresv­erträgen – wie sollen darauf Existenzen aufgebaut werden?«, fragt deren Mitglied Coni Pfeiffer. Insbesonde­re im künstleris­chen und sozialen Bereich brauche es dringend mehr Regulierun­g. »Ansonsten werden unsere Kieze veröden.«

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