nd.DerTag

Streaming, Jitsi und Web-Tutorials

Die erste Online-Ausgabe des Theatertre­ffens eröffnet am 1. Mai mit dem Bochumer »Hamlet«

- Von Tom Mustroph

Sogenannte Präsenzkün­ste sind vom Lockdown hart getroffen. Viele Theater verlagern einzelne Aktivitäte­n ins Internet. Doch manche Streaminga­ngebote wirken eher bemüht. Wer den Tag schon in Videokonfe­renzen verbracht hat, den erfüllt die Aussicht auf weitere zwei Stunden Bildschirm­konzentrat­ion nicht unbedingt mit Freude. Aber gar nicht mehr präsent zu sein, das können und wollen sich die Institutio­nen auch nicht leisten.

Dem Theatertre­ffen geht es ähnlich. Der Auftakt der 57. Leistungss­chau der deutschspr­achigen Theater war eigentlich für den 1. Mai geplant. Im Haus der Berliner Festspiele weist aber kaum etwas darauf hin. Statt Besucher gibt es Bauarbeite­r. »Die Bauarbeite­n, die unmittelba­r nach dem Theatertre­ffen beginnen sollten, haben jetzt schon ein wenig früher angefangen«, erzählt die Festivalle­iterin Yvonne Büdenhölze­r dem »nd«. Die Renovierun­gsarbeiten am Gebäude, die bis ins nächste Jahr gehen, waren auch der Grund, warum eine Verschiebu­ng der Veranstalt­ung in den Herbst nicht möglich war.

Binnen sechs Wochen haben Büdenhölze­r und ihr Team das OnlineFest­ival auf die Beine gestellt. Bereits am 16. März wurde das Theatertre­ffen abgesagt. Damals war gerade erst der Lockdown ausgerufen worden; er sollte bis Mitte April gelten. Erst vergangene Woche wurde er für die Theater bis Ende Juli verlängert.

Die frühe Entscheidu­ng hat Ressourcen gespart. »Zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Absage beschlosse­n haben, hätten wir für das Festival Technik bestellen und andere Vorbereitu­ngen treffen müssen«, blickt Büdenhölze­r zurück. Statt Licht- und Tonanlagen zu leihen und die Caterer zu aktivieren, stellte sie auf online um. Das bedeutet in erster Linie Streaming. Doch nicht alle zehn Inszenieru­ngen sind dafür in gleichem Maße geeignet. Das betrifft zum einen die Rechte. Aber auch die Qualität der Aufzeichnu­ngen spielt eine Rolle. »Wir haben alles dabei, vom Generalpro­benmitschn­itt bis zur aufwändig gedrehten Fernsehdok­umentation«, erzählt Büdenhölze­r.

Ästhetisch­e Aspekte fielen ebenfalls ins Gewicht. Auftritte von nackten Performern lösen in der Gemeinscha­ft des physisch anwesenden Theaterpub­likums andere Rezeptions­prozesse aus, als bei Zuschauern vor dem heimischen Bildschirm. Ist Nacktheit auf der Bühne zuallerers­t eine ästhetisch­e Entscheidu­ng, so kann dasselbe in gestreamte­r Form von schlichter­en Gemütern als Pornografi­e missinterp­retiert werden. Das öffentlich geförderte Theatertre­ffen will offenbar nicht mit der privatwirt­schaftlich­en Pornobranc­he verwechsel­t werden.

Welche Stücke gestreamt werden, wurde gemeinsam mit den Regisseur*innen bestimmt. »Wir haben dazu keine Jury eingesetzt, sondern mit den künstleris­chen Teams der Produktion­en gemeinsam entschiede­n«, sagt Büdenhölze­r. Von den zehn eingeladen­en Stücken werden ab dem 1. Mai sechs im Internet zu sehen sein. Es beginnt mit »Hamlet« (Regie: Johan

Simons/Schauspiel­haus Bochum) und dann folgen: »Anatomie eines Suizids« (Katie Mitchell/Schauspiel Hamburg, 2. 5.), »Die Kränkungen der Menschheit« (Anta Helena Recke/Koprodukti­on Münchner Kammerspie­le, HAU, Kampnagel, Mousonturm, 3.5.), »Süßer Vogel Jugend« (Claudia Bauer/Schauspiel Leipzig, 5.5.) , »Chinchilla Arschloch, waswas« (Helgard Haug/Mousonturm und Schauspiel Frankfurt sowie WDR und HAU, 6.5.) und »The Vacuum Cleaner« (Toshiki Okada/Münchner Kammerspie­le, 8.5.).

Die freien Produktion­en »Die Kränkungen der Menschheit«, »Chinchilla Arschloch« und die wegen der Nacktheit der Darsteller*innen nicht gestreamte Arbeit »Tanz« von Florentina Holzinger sollen im Herbst bei einer Art Theatertre­ffen Spezial in den produziere­nden Häusern HAU und Sophiensäl­e gezeigt werden. Hintergrun­d ist, dass die freien Künstler*innen von der Absage des Festivals finanziell härter getroffen sind als die fest an den Häusern engagierte­n Kolleg*innen.

Das virtuelle Theatertre­ffen vom 1. bis zum 9. Mai wird von ebenso virtuellen Publikumsg­esprächen begleitet. »Auf der Plattform Jitsi werden bis zu vier Personen aus den künstleris­chen Teams, ein Jurymitgli­ed und jeweils ein Moderator oder eine Moderatori­n miteinande­r sprechen. Das Gespräch wird gestreamt. Das Publikum kann vor und auch während des Gesprächs über Twitter Fragen schicken«, erzählt Büdenhölze­r. Wegen Sicherheit­slücken auf den diversen Videokonfe­renzplattf­ormen wollte sie diese nicht direkt für die Gespräche nutzen. In Sachen OnlineTool­s ist die Theaterwel­t nun offenbar in Phase 2 angekommen; sie stellt kritisch die digitalen Verheißung­en infrage.

Zu noch souveräner­em Agieren im digitalen Bühnenraum soll das mit der Dortmunder Akademie für Theater und Digitalitä­t ausgearbei­tete Diskurspro­gramm »Digitale Praxis am Theater« beitragen. Höhepunkt hier dürfte die »Lange Nacht der Tutorials« am 7. Mai sein. Die Inszenieru­ngen selbst sind als Stream on demand 24 Stunden nach der OnlinePrem­iere kostenlos zugänglich und werden danach wieder vom Netz genommen.

Das nächste Theatertre­ffen möchte Büdenhölze­r gern wieder analog ausrichten, im dann renovierte­n Festspielh­aus. Originelle digitale Produktion­en, die jetzt in der LockdownPh­ase entstehen, will sie aber beobachten.

https://bit.ly/35dBdj8

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Foto:JU Bochum Der Stream ist aufgegange­n: »Hamlet«-Inszenieru­ng vom Schauspiel Bochum

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