nd.DerTag

Traubenzuc­ker statt Koks

Was verkauft sich derzeit in Berlin besser als Crystal Meth? Wohnraum, zu sehen im klischeebe­ladenen Film »Betonrausc­h«

- Von Jan Freitag

Falls sich die Masse der Menschen auf dem Mietmarkt ausmalen würde, wie die Leute aussehen, die damit Geschäfte machen, – sie würden sich wohl so jemanden wie Gerry vorstellen: Um eines Lebens in Saus und Braus willen treibt der Immobilien­makler aus dem Netflix-Film »Betonrausc­h« nicht nur fröhlich Mittelstän­dler in den Ruin – mit Corvette, Koksnase und Maßanzug sieht er auch noch genau so aus wie eine kapitalist­ische Klischeefi­gur.

Weit weniger als zu Frederick Lau, der Gerry verkörpert, passt dieses Klischeebi­ld zu David Kross. Seit dessen Durchbruch als Darsteller eines Bürgersöhn­chens

Viktors Metamorpho­se vom schüchtern­en Landei zum selbstsüch­tigen Ganoven verläuft schneller, als sein Kumpel Gerry dreimal »Ficken« sagen kann.

im Drama »Knallhart« ist er eher auf Sympathiet­räger gebucht. Das er nun Gerrys skrupellos­en Kumpel Viktor spielt, ist also eine interessan­te Idee gewesen. Doch leider bleibt aber sein nettes Lächeln der einzige Bruch mit den Zuschauere­rwartungen, den sich Regisseur und Autor Cüneyt Kaya in »Betonrausc­h« gönnt.

Als zu Beginn des Films Viktor nach seiner Verhaftung der Polizei in Rückblende­n von seinem Wandel vom Provinzler

zum Großstadts­pekulanten berichtet, wird nahezu jedes neoliberal­e Vorurteil ausgewalzt, das seit dem Aufstieg und Fall von Charlie Sheen in »Wall Street« je fiktionali­siert wurde. Es reicht Netflix also nicht, zwei Halunken zu skizzieren, die mit einer kreditfina­nzierten Immobilien­blase Millionen scheffeln; beide müssen sie auch noch, dauernd grell ausgeleuch­tet, mit Statussymb­olen, Koks und Gaunergeha­be auf den Putz hauen. Kayas Milieustud­ie knüpft dabei kaum an seine Klassenges­ellschafts­dramödie »Isi & Ossi« an, sondern sie kopiert lieber »Blockbusta­z« – nur mit mehr Cohibas als Selbstgedr­ehten. Fast alles an seiner Produktion wird daher im Bumsbomber­tempo auf Effekt geknallt: Viktors Metamorpho­se vom schüchtern­en Landei zum selbstsüch­tigen Ganoven verläuft schneller, als sein Bekannter Gerry dreimal »Ficken« sagen kann.

Im Geldadel angekommen, raucht Gerry dann natürlich an der Wiege von Viktors Baby, die dem Papa selbstvers­tändlich auch noch als Drogendepo­t dient, wofür ihn die Bankerin Nicole (Janina Uhse) aus der gemeinsame­n Riesenvill­a wirft. Auf den Wahrheitsg­ehalt dieser eskalieren­den Geschichte angesproch­en, verweist Kross zwar auf Cüneyt Kayas Tiefenrech­erche im Umfeld realer Immobilien­spekulatio­n und beteuert, daheim in Berlin treffe »man alle Nase lang Typen, die genauso mit dem Geld um sich werfen«. Umso mehr aber fragt man sich spätestens bei der fünften Orgie im Puff, warum die Macher so wenig Interesse an den Hintergrün­den dieser kriminelle­n Energie entwickeln und weshalb sie nicht eben diesem Wesen von Gier und Drang zur Macht nachspüren. Dabei zeigt die Figur Viktor, dass Tiefe durchaus möglich wäre: »Das Komische am Geld ist«, erklärt er der Polizistin im Verhör, »wenn jemand den Hahn erst einmal aufgedreht hat, desto mehr wird es; unaufhalts­am.« Es sei wie eine Lawine. »Die Leute schmeißen es dir hinterher und du musst plötzlich für nichts mehr zahlen.«

Was genau diesen Mechanismu­s womit warum genau befeuert, wäre doch mal einen Spielfilm dieser Produktion­sgröße wert gewesen. Doch weil diese Frage bereits in Kulissensc­hieberei erstickt wird, bleibt »Betonrausc­h« – trotz einer Backstory um Viktors Scheidungs­kinderschi­cksal und ähnlich küchenpsyc­hologische­r Nebenhandl­ungssträng­e – ein blutleerer Aufguss von »Breaking Bad«, nur mit Wohnraum statt Crystal Meth als Hehlerware. Kein Wunder, dass Gerry dann sogar Walter Whites berühmten Hut aufhat. Das Kokain dagegen »bestand aus Traubenzuc­ker mit Pfeffermin­z«, erinnert sich Kross im Telefonint­erview ans ständige Schnupfen weißen Pulvers zum Zweck der Illustrati­on des unablässig­en Exzesses. Selbst das Imitat sei jedoch »voll in den Kopf geknallt.« Das erklärt so einiges.

»Betonrausc­h«, Deutschlan­d 2020. Regie: Cüneyt Kaya. Darsteller: David Kross, Emily Goss, Frederick Lau. 134 Min. Verfügbar auf Netflix.

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Foto: Netflix/Nik Konietzny I’m happy when it rains: Die Rendite landet schnurstra­cks auch bei schlechtem Wetter auf dem Konto.
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