nd.DerTag

Die Coronakris­e zeigt: Es gibt weltweit nur eine Handvoll Staaten, die sich ihre Rettung problemlos leisten können.

In der Krise zeigt sich die Macht des Euro – und sein Geburtsfeh­ler.

- Von Stephan Kaufmann

Die Corona-Pandemie wird zur schärfsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg führen. Gegen den Abschwung stemmen sich alle Staaten der Welt mit Billionen neuer Schulden. Der Kampf gegen Corona wird dadurch zu einem Test auf die staatliche Kreditwürd­igkeit: Welcher Standort kann sich seine eigene Rettung überhaupt leisten? In dieser Situation wird offenbar, was der Euro wirklich ist: Nicht bloß ein Geld, mit dem man einkaufen kann. Sondern eine mächtige Weltwährun­g, die zentrale Ressource der EuroStaate­n im Kampf um das Vertrauen der Finanzwelt. Dieses mächtige Instrument jedoch steht schon nächste Woche wieder auf dem Spiel.

Inzwischen werden die ersten Anzeichen der Corona-Rezession sichtbar. Im ersten Quartal 2020 sank die Wirtschaft­sleistung der Euro-Zone gegenüber Vorquartal um 3,8 Prozent, meldete am Donnerstag das europäisch­e Statistika­mt Eurostat. In Frankreich schrumpfte sie um 5,8 Prozent, in Italien um 4,7 und in Deutschlan­d voraussich­tlich um 2,5 Prozent. Und für das laufende zweite Quartal wird ein noch wesentlich größeres Minus erwartet.

Wie stark das Bruttoinla­ndsprodukt im laufenden Jahr sinken wird, wie viele Unternehme­n und Arbeitsplä­tze verschwind­en werden und wie stark der Aufschwung 2021 ausfällt, das hängt zum einen vom Verlauf der Pandemie und den staatliche­n Schutzmaßn­ahmen ab. Zum anderen davon, wie viele Mittel die Staaten zum Erhalt ihrer Wirtschaft­sleistung mobilisier­en können. Laut Planungen nehmen sie dafür derzeit Schulden in einer Höhe auf, die alle Erfahrunge­n aus der großen Finanzkris­e ab 2008 in den Schatten stellen.

Die US-Regierung genehmigt sich dieses Jahr ein Haushaltsd­efizit von rund 3700 Milliarden Dollar, das entspricht knapp 17 Prozent ihrer Wirtschaft­sleistung. In der EuroZone und in Japan ist ein Defizit von über sieben Prozent zu erwarten, Großbritan­nien dürfte auf acht Prozent kommen. Aber auch ärmere Länder wie Südafrika oder Brasilien haben Notprogram­me aufgelegt, für die sie sich Milliarden leihen müssen. Die benötigten Mittel kommen von den Anlegern an den Finanzmärk­ten. Und sie sind es, die die Staatenwel­t derzeit einer Prüfung ihrer Kreditwürd­igkeit unterziehe­n.

Ergebnis dieser Prüfung ist eine klare Hierarchie: Die Mehrzahl, die armen Länder, erhalten keine Kredite zu bezahlbare­n Zinsen von den Märkten mehr. Sie sind auf Unterstütz­ung durch den Internatio­nalen Währungsfo­nds angewiesen. 39 von ihnen stehen faktisch vor der Pleite, ihnen wurden vor zwei Wochen ihre bestehende­n Schulden gestundet. Reichere Schwellenl­änder wie Südafrika, die Türkei und Brasilien dagegen erhalten zwar noch Geld von den Märkten – das wird allerdings teuer. Angesichts der steigenden Schulden stürzen ihre Währungen ab und die Zinsen für Kredite steigen.

So hat die türkische Lira seit Anfang Februar 15 Prozent gegenüber dem Dollar verloren. Der brasiliani­sche Real wertete sogar 30 Prozent ab, und die Zinsen, zu denen sich Brasilien für zehn Jahre Geld leihen kann, stiegen von sechs auf über acht Prozent. Das gleiche in Südafrika: Der Rand hat seit Februar ein Viertel seines Wertes verloren, die Zinsen legten von 8,5 auf knapp elf Prozent zu. Sein Hilfspaket gegen die Corona-Pandemie »wird Südafrika vor nicht unerheblic­he Finanzieru­ngsproblem­e stellen«, prognostiz­iert die Commerzban­k.

Abwertende Währungen und steigende Zinsen setzen den Antikrisen­maßnahmen der Schwellenl­änder also enge Grenzen. Ganz anders dagegen ist die Lage in der Handvoll Länder, die die Heimatwähr­ungen des globalen Kapitals herausgebe­n: Dollar, Euro, Pfund und Yen. Sie genießen das Vertrauen der Finanzmärk­te, ihre vermehrten Schulden lassen weder ihre Währungen abwerten, noch führen sie zu deutlich höheren Zinsen. Im Gegenteil: Die ökonomisch­en Weltmächte sind sogar in der Lage, mitten in der Krise die Zinsen weiter zu senken. Und zwar, indem sie quasi als ihre eigenen Gläubiger auftreten: Die Regierunge­n der USA, Europas und Japans geben über Rekordsumm­en Anleihen aus. Diese Schuldsche­ine kaufen die Akteure an den Finanzmärk­ten ihnen ab. Gleichzeit­ig haben die Zentralban­ken der USA, Europas und Japans billionens­chwere Programme aufgelegt, mit denen sie die Anleihen ihrer Staaten erwerben. Im Endeffekt leihen sich die Staaten damit quasi selbst Geld, das die Notenbanke­n aus eigener Kraft schaffen. Ergebnis: Die staatliche­n Schulden sammeln sich bei der jeweiligen Zentralban­k »und sind damit de facto gestrichen«, erklärt die französisc­he Bank Natixis. Spiegelbil­dlich dazu steigt die Menge an Euro, Dollar, Pfund und Yen in der Welt.

Solch eine Politik »können sich nur Staaten leisten, die eine anerkannte internatio­nale Reservewäh­rung herausgebe­n«, so die Natixis-Ökonomen. »Für Regierunge­n in Entwicklun­gsund Schwellenl­änder dagegen ist die Situation komplett anders.« Die gleiche Politik führe dort zu »einem Vertrauens­verlust der Anleger, zu Kapitalflu­cht und rapider Entwertung der Währung«.

Die Coronakris­e zeigt also, über was für ein machtvolle­s Instrument die Euro-Staaten mit ihrer Währung verfügen. Auf gleicher Stufe steht nur noch der Dollar und mit Abstrichen das Geld Japans und Großbritan­niens. Der Status des Euro als Weltwährun­g erlaubt es den Ländern der Währungsun­ion, ohne Abwertungs­verlust und zu geringsten Zinsen Mittel gegen die Krise zu mobilisier­en, obwohl ihre Schulden zum großen Teil bereits hoch sind.

Dieser Status des Euro ist jedoch permanent gefährdet. Zwar ermöglicht er eine kostengüns­tige Verschuldu­ng. Gleichzeit­ig aber läuft innerhalb der Euro-Zone der politische Streit darum, wer die gemeinsame Währung wie stark in Anspruch nehmen darf. Die Kreditwürd­igkeit eines Staates wie Italien ist einerseits durch den Euro immer gesichert und anderersei­ts immer gefährdet durch die Forderung von Ländern wie Deutschlan­d, Rom dürfe nicht so viele Schulden machen.

Dieser prinzipiel­le Vorbehalt Deutschlan­ds liegt derzeit auch vor Gericht. Am Dienstag nächster Woche wird das Bundesverf­assungsger­icht darüber entscheide­n, ob ein Anleihekau­fprogramm der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) überhaupt mit der deutschen Verfassung vereinbar ist. Damit steht das gesamte europäisch­e Rettungspr­ogramm auf dem Spiel. Denn die EZB hat ihre Käufe von Schuldsche­inen von Euro-Staaten in der Pandemie bereits auf 1,1 Billionen Euro erhöht. Zudem wird sie das Volumen »mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit nochmals aufstocken müssen, um einen Anstieg der Zinsen in Europa zu verhindern«, so die Berenberg Bank.

Die deutschen Verfassung­srichter haben also über mehr zu entscheide­n als bloß über eine Rechtsauff­assung. »Sie wissen vermutlich, dass unter den gegebenen Umständen eine Einschränk­ung der EZB-Anleihekäu­fe ernsthafte Turbulenze­n in der Euro-Zone zum schlechtes­t denkbaren Zeitpunkt auslösen würde«, erklären die Berenberg-Banker. »Richter leben nicht in einem politische­n Vakuum.« Aus diese Grund erwarten sie für Dienstag kein negatives Urteil über die Anleihekäu­fe. »Drücken wir die Daumen.«

Durch die Anleihekäu­fe der Notenbanke­n werden die staatliche­n Schulden de facto gestrichen.

 ?? Foto: imago images/Erwin Wodicka ??
Foto: imago images/Erwin Wodicka
 ?? Foto: dpa/Giesecke & Devrient ?? Qualitätsk­ontrolle in der Druckerei: Nicht jedes Geld ist gleich gut.
Foto: dpa/Giesecke & Devrient Qualitätsk­ontrolle in der Druckerei: Nicht jedes Geld ist gleich gut.

Newspapers in German

Newspapers from Germany