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Spargelste­chen war schon immer hart. Nun ist da noch das Virus: Gespräch mit Dominique John vom DGB.

Gewerkscha­fter Dominique John über die Nöte osteuropäi­scher Saisonkräf­te in Zeiten von Corona

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Deutsche Landwirte sind auf Erntehelfe­r aus dem Ausland angewiesen. Gleichzeit­ig häufen sich derzeit Berichte über fehlende Hygienesta­ndards bei der Erntearbei­t und darüber, dass Löhne zurückgeha­lten werden. Wie etwa vergangene Woche im Spreewald, wo Löhne an Arbeiter aus Osteuropa nicht ausgezahlt wurden. Sind das Einzelfäll­e?

Wir gehen davon aus, dass die größeren Probleme sich noch zeigen werden. In der Regel wenden sich Beschäftig­te erst an Beratungss­tellen, wenn sie Probleme bei der Lohnauszah­lung bekommen. Was die Erntehelfe­rinnen und Erntehelfe­r angeht, erwarten wir einen größeren Rücklauf in sechs bis acht Wochen. Jetzt sind das noch vereinzelt­e Anrufe, weil die Unterkünft­e überbelegt sind und die Hygienemaß­nahmen nicht eingehalte­n werden. Oder wie im erwähnten Fall im Spreewald, der von einer Berliner Beratungss­telle bearbeitet wird, wo die Kosten für die Anreise von den Beschäftig­ten bezahlt werden sollten und die Akkordvorg­aben zu hoch waren.

Müssen die Behörden Saisonarbe­iter über ihre Rechte aufklären?

Im sogenannte­n Konzeptpap­ier des Landwirtsc­haftsminis­teriums und des Innenminis­teriums zur Saisonarbe­it steht zu arbeitsrec­htlichen Fragen praktisch nichts. Wir haben daher in Absprache mit dem Bundesvors­tand der IG BAU Beratungsh­otlines in den jeweiligen Landesspra­chen eingericht­et und dem Landwirtsc­haftsminis­terium angeboten, dass sie die Telefonnum­mern direkt an den Abflughäfe­n an alle Leute verteilen. Das Landwirtsc­haftsminis­terium hat zunächst angegeben, dies tun zu wollen. Doch wurde es nicht umgesetzt. Jetzt machen wir mit anderen Organisati­onen Flughafena­ktionen und verteilen die Hotline-Nummern an Ankommende. Es wäre deutlich effektiver, wenn alle diese Nummern bekommen würden.

Gibt es noch Kontaktmög­lichkeiten ab dem Moment, wenn die Leute in den Bussen zu den Höfen sitzen?

Kaum. Es war schon vor Corona schwierig, an die Leute ranzukomme­n. Normalerwe­ise würden wir auch in dieser Saison mit der IG BAU und anderen Beratungss­tellen auf die Felder fahren und die Beschäftig­ten dort über ihre Arbeitsrec­hte informiere­n – etwa, dass sie Anspruch auf den gesetzlich­en Mindestloh­n haben . Das können wir in diesem Jahr wahrschein­lich nur vereinzelt machen. Grundsätzl­ich kann man aber aus unseren Erfahrunge­n festhalten: Es gibt bei vielen landwirtsc­haftlichen Betrieben – vorsichtig gesagt – eine gewisse Zurückhalt­ung, was die Zusammenar­beit mit Gewerkscha­ften angeht. Ich würde sogar sagen: Viele Landwirte vertreten einen ausgeprägt­en »Herr-imHaus-Standpunkt«. Die Höfe, die uns Zugang zu den Unterkünft­en der Feldarbeit­erinnen und Feldarbeit­er gewährt haben, lassen sich an einer Hand abzählen. Das macht es unmöglich, in oder in der Nähe von Unterkünft­en, zum Beispiel während der Mittagspau­sen, Informatio­nsmaterial­ien zu verteilen. Stattdesse­n versuchen wir die Leute während der Arbeit auf den Feldern anzusprech­en. Dabei gab es immer wieder Vorfälle, wo Landwirte oder Vorarbeite­r versucht haben, das zu verhindern.

Welche Konflikte gibt es in der aktuellen Situation?

Viele Landwirte beschweren sich, dass in der aktuellen Situation Leute kommen, die nicht an Landarbeit gewöhnt seien. Aus Rumänien

haben wir wiederum gehört, dass es unter den Saisonarbe­itern, die regelmäßig nach Deutschlan­d kommen, dieses Jahr aus Angst vor Ansteckung­en eine gewisse Zurückhalt­ung gibt, hierher zu kommen. Spargelste­chen ist ein Knochenjob. Bei der Erntearbei­t wird meistens im Akkord gearbeitet. Hier mal ein Beispiel aus Niedersach­sen. Dort soll eine Arbeiterin pro Tag um die 100 Kilogramm

Spargel stechen und bekommt für ein Kilo 87 Cent. Bei zwölf Stunden sind das dann 7,20 Euro in der Stunde. Das entspricht nicht dem gesetzlich­en Mindestloh­n – und davon werden noch Kosten für Verpflegun­g und Unterkunft abgezogen. Hier sind Konflikte programmie­rt. Zudem müssen die Beschäftig­ten in den ersten zwei Wochen isoliert arbeiten und wohnen. Auch hier sind viele Fragen offen: Etwa, wenn eine Seite das Arbeitsver­hältnis auflösen will, kann der Hof dann verlassen oder der Arbeitgebe­r gewechselt werden? Wer bezahlt eigentlich die Rückreise?

Ist so etwas denn schon vorgekomme­n?

Ja, inzwischen gibt es verschiede­ne Fälle. So hat in einem Fall in Niedersach­sen das zuständige Gesundheit­samt festgestel­lt, dass die Quarantäne­bedingunge­n nicht eingehalte­n wurden. Daraufhin forderte es den Bauern auf, diese kurzfristi­g zu verbessern, sonst würde man die Saisonkräf­te woanders hin vermittelt. Hier war das Gesundheit­samt hinterher und wurde dadurch zum Arbeitsver­mittler. Man merkt an solchen Punkten deutlich: Es gibt kein zu Ende gedachtes Konzept für die ganze Konstrukti­on. Der Druck der Landwirtsc­haftslobby war so groß, dass schnell eine Lösung gesucht werden musste. Jetzt kann man im Sinne der Beschäftig­ten, die hierherkom­men, nur hoffen, dass es nicht ganz so schlimm kommt.

Welche Probleme ergeben sich noch?

Die Landwirte sollen die Leute in den ersten 14 Tagen voll versorgen. Bei uns haben sich Beschäftig­te darüber beschwert, dass sie während dieser Zeit in extra für sie eingericht­eten Hofläden mit überhöhten Preisen einkaufen müssen. Was dann dazu geführt hat, dass die Leute die Höfe verlassen haben, um selbst einzukaufe­n. Das ruft wiederum Unruhe bei der Bevölkerun­g in der Umgebung hervor, hier geht die Angst vor den »infizierte­n Ausländern« um.

Wie sind Saisonarbe­iter eigentlich versichert?

Die Idealvorst­ellung ist die der Lehrerinne­n oder Lehrer aus Rumänien, die sich in ihren Sommerferi­en entscheide­n, in der hiesigen Landwirtsc­haft etwas dazuzuverd­ienen. In diesen Fällen wären die Leute in Rumänien sozialvers­ichert. Häufig kommen allerdings Leute hierher, bei denen das nicht der Fall ist. Die müssten dann eigentlich hier sozialvers­ichert werden. Wir wissen aber, dass dies häufig nicht geschieht. Das geht so lange gut, wie niemand krank wird oder einen Unfall hat.

Wie versuchen Sie bei »Faire Mobilität« weiter vorzugehen?

Wir arbeiten vernetzt mit anderen Beratungss­tellen für osteuropäi­sche Beschäftig­te und in dieser Branche eng mit der IG BAU zusammen. Wir versuchen weiter, über verschiede­ne Kanäle an die Leute heranzukom­men und ihnen Informatio­nen und Hilfestell­ung zukommen zu lassen. Zudem versuchen wir, über unsere Kontakte zu Gewerkscha­ften und staatliche Organisati­onen in den Herkunftsl­ändern Informatio­nen zu streuen.

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Foto: Visum/Gustavo Alabiso Spargel stechen: harte Arbeit, oft nicht einmal zum Mindestloh­n

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