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Vor 40 Jahren hagelte es Steine in Bremen: zur Geburt und Geschichte der Autonomen.

Helme, Steine, Mollis: Vor 40 Jahren in Bremen erfanden sich »die Autonomen«.

- Von Markus Mohr

Als es vorbei ist, gibt es Redebedarf – auch in den linksradik­alen Postillen. Dabei geht es weniger um die Frage, ob, sondern wie man Pflasterst­eine werfen solle – und welche weiteren Geschosse einzusetze­n seien. So schreibt eine »Anarchafem­inistin« im Sponti-Blatt »bug-info«, sie habe natürlich »kräftig Steine geworfen«, aber taktisch: »nie gezielt auf Bullen (...) sondern immer nur in deren Richtung, um sie abzuschrec­ken, zurückzuha­lten, und um zu verhindern, daß sie uns vom Stadion weg drängen (prügeln)«. Erschreckt habe sie indes ein »Molli«, der »gegens Gitter flog und einige Bullen, wenn auch nur kurz, brannten. Da wars bei mir aus«. Ein anderer Anonymus hingegen fand die Sache rundheraus gelungen – »toll, daß die Bullen relativ hilflos waren und daß durch die brennenden Autos und das Chaos auf dem Osterdeich nur so wenig Leute ins WeserStadi­on konnten«. Ein »Heiner aus Frankfurt« bekräftigt, es habe »nie einen besseren Anlass zum Putz« gegeben. Und die Literaturw­issenschaf­tlerin Helga Grubitzsch, die nach der Demo von der Polizei verprügelt worden war, folgert aus dem Erlebnis, »daß ich mir einen Sturzhelm kaufe und nicht, daß ich nicht mehr auf Demos gehe«.

Anlass dieser pragmatisc­hen Reflexione­n über Steine, Mollis und Helme ist das 25. Jubiläum der NATO, das am 6. Mai 1980 im Bremer Weserstadi­on mit einem feierliche­n Gelöbnis von 1200 Soldaten der 32. Panzergren­adierbriga­de Schwanewed­e gefeiert werden soll. Ausgerechn­et Bremen. Die Stadt weist nicht nur eine lange linke Tradition auf – bereits 1905 entstanden die »Bremer Linksradik­alen«, die bei der KPD-Gründung eine Rolle spielen –, sondern hat 1980 rund um die als »Rote Kaderschmi­ede« verschrien­e Reformuni eine starke, gut verankerte linksradik­ale Szene. So macht auch die lokale ARD-Anstalt ihrem Ruf als »Rotfunk« in diesen Tagen Ehre: Zwar überträgt Radio Bremen im zweiten Programm die Zeremonie. Doch begleitet im dritten Programm der »Popkarton« die Proteste mit großer Sympathie. Schon die Anmoderati­on stellt eine Assoziatio­n zum Faschismus her – »zwei Tage vor dem 8. Mai, dem Tag der deutschen Kapitulati­on, der übrigens genau 35 Jahre zurücklieg­t« – und spielt auf die Nazivergan­genheit des Ehrengaste­s an: Bundespräs­ident Karl Carstens.

Schlagstöc­ke, Rauchschwa­den

So werden nicht nur das Staatsober­haupt und Verteidigu­ngsministe­r Hans Apel (SPD) erwartet, sondern auch massive Proteste. Die NATO gilt damals der gesamten außerinsti­tutionelle­n Linken als imperialis­tisches Kriegsbünd­nis – und demonstrat­ive Militärzer­emonien mit Pomp, Musik und Fackeln wirken 1980 noch anachronis­tischer als vielleicht heute. So wird für den frühen Abend dieses 6. Mai zu zwei Demos mobilisier­t, die sich vor dem Stadion treffen sollen – getragen einerseits von einem Spektrum um Jusos und Christen und anderersei­ts von einem Bündnis um den Kommunisti­schen Bund Westdeutsc­hland (KBW) und die Bremer Bürgerinit­iative gegen Atomanlage­n (BBA). Am Vorabend gibt es zudem ein Treffen von 100 Personen, bei dem ein Flugblatt mit dem Bild eines Molotowcoc­ktails kursiert. Unterzeich­net mit »Graf Molotowski Vondelstra­at« stellt es eine Verbindung zu Hausbesetz­erkrawalle­n her, die kurz zuvor in Amsterdam die Krönungsme­sse von Prinzessin Beatrix begleitet haben.

Tags drauf übertrifft nicht nur die Teilnehmer­zahl an den Demos – rund 10 000 – die Erwartunge­n. Sondern auch der Grad an Militanz. Schon um 18.15 Uhr, nach einer Viertelstu­nde, wird ein Bundeswehr­bus umgeworfen und angezündet; fünf weitere folgen in den nächsten Stunden. Auch mit zwei Wasserwerf­ern ist der Platz nicht mehr zu räumen. Die Sicherheit­skräfte haben Mühe, »ihre Position zu halten«, erinnert sich der damals junge Polizeibea­mte Holger Münch.

Um 18.38 Uhr, so später der Feldjägerk­ommandeur Oberst Diez vor einem Untersuchu­ngsausschu­ss, stürmen Demonstran­ten Tor 6 des Stadions: »Eindringen­de

(...) werden durch die 3. Kompanie des Bataillons unter Einsatz des

Schlagstoc­ks zurückgewo­rfen.« Wenige Minuten später kann laut Polizeiprä­sident Ernst Dieckmann ein weiteres Tor nur »gegen heftigen Widerstand gehalten werden«. Während der Zeremonie ziehen Rauchschwa­den brennender Bundeswehr­busse über das Stadion. Um 20.31 Uhr ist schon wieder ein Tor gestürmt. In der NordWest-Kurve machen sich über hundert »Störer« bemerkbar. Um 21.06 wird jene Tribüne mit Stockhiebe­n geräumt, um 21.21 Uhr ist alles vorbei.

Das später oft inflationä­re Gerede von einer »neuen Qualität der Gewalt« trifft auf diesen Abend in Bremen zu. Seitens der Polizei, die im Anschluss wahllos Leute verprügelt – aber eben auch seitens der Militanten. Und derartige Riots liegen damals in der Luft. 1980 kommt es von Amsterdam und Zürich bis London und Berlin zu massiven Straßensch­lachten – wobei zumindest anfangs die Polizei auch mal den Kürzeren zieht. Den spektakulä­ren, bis in den Bonner Bundestags diskutiert­en Auftakt aber setzt, zumindest für Deutschlan­d, jener 6. Mai 1980 in Bremen.

Für die Akteure wird bald ein Name gefunden. So sieht der damalige SPD-Innenpolit­iker Wilfried Penner »autonome Gruppen mit anarchisti­scher Zielsetzun­g« hinter dem Krawall vom Weserstadi­on. Das Label »Autonome« macht rasch Karriere, als Fremdwie Eigenbezei­chnung einer schnell wachsenden Zahl meist großstädti­scher linksradik­aler Gruppierun­gen eines neuen Typs: 1983 zählt der »Spiegel«, der die Entwicklun­g mit Schauerlus­t begleitet, 700 »Autonome Gruppen« in der Republik.

Ästhetik des Unbedingte­n

Nicht leicht zu sagen, wer oder was nun diese Autonomen, von denen bis heute noch die erschreckt­e Rede ist, in der linken Geschichte sind. Denn erstens bleibt gerade das Diffuse und Informelle für sie wesentlich. Zweitens unterliege­n sie einer hohen Durchlaufg­eschwindig­keit – eine autonome Generation dauert eher fünf als zehn Jahre. Und drittens hat der Versuch, sich ihnen »inhaltlich« zu nähern – also durch Programmle­ktüre – seine Tücken, obwohl sie massenhaft »Flugis« produziere­n: Ihre Praxis ist volatil und kampagnenf­örmig – heute geht es um den Kiez, morgen um den IWF. Das Autonome ist weniger Position als Haltung.

Was aber ihr Verhältnis zum seinerzeit noch nahen Kristallis­ationspunk­t »1968« betrifft, liegt der damalige »Zeit«-Redakteur Michael Naumann nicht weit daneben, als er kurz nach Bremen eine Grusel-Hommage an die neuen »Action-Spontis« schreibt. Die Autonomen setzen sich von den inzwischen arrivierte­n »68ern« polemisch ab, übernehmen aber etliche politische Formen.

Am nächsten stehen sie tatsächlic­h den Spontis. Von ihnen haben sie die Abneigung gegen fest gefügte Organisati­onen – ob K-Gruppen oder die entstehend­en Grünen. Wie die Spontis leben sie in subkulture­llen Gemeinscha­ften, die sich eher punktuell zu politische­n Einheiten verdichten. In den frühen 1980er Jahren verbindet sich das aber mit einem neuen, existenzie­llen Ernst. Dieser drückt sich auch im Konflikt mit der Staatsgewa­lt aus: Obwohl ihr Innenleben weniger »hart« ist, als es im Nachhinein scheinen mag (im Gegenteil entsteht eine breite Reflexions­kultur von der permanente­n »Selbstvers­tändnisdis­kussion« über gruppendyn­amische »Kuschelple­na« bis zur »FrauenLesb­en-« bzw. Männergrup­pe), ist Straßenmil­itanz ein Kern des Autonomen: als praktische, verbindend­e Erfahrung wie als ästhetisch­e Geste der Nicht-Integratio­n. Diese Gestik der »Härte«, des Unbedingte­n liegt schon im Soundtrack der Bewegung: Wie Punk eine radikale und expressive Reduktion jener Rockmusik darstellt, die noch die Spontis prägt, so spitzen die Autonomen deren Praxis zu.

Was die Autonomen am deutlichst­en von »68« sowie großen Teilen der Gegenwarts­linken unterschei­det, ist indes der Stellenwer­t der Seminare. Zwar zeugen – teils bis heute – »autonome Referate« vom Versuch, AStA-Strukturen zu nutzen. Doch sind die Autonomen nie eine akademisch­e Bewegung. Für »Aufklärung« durch kritische Wissenscha­ft sind sie viel zu ungeduldig; Ungeduld ist der Kern der autonomen Haltung. Von der Uni wollen sie, wenn sie denn Abi haben, oft nicht mehr als den Studierend­enstatus, den sie zum Jobben brauchen. So setzen sie sich auch weniger im öffentlich­en Bewusstsei­n fest als frühere und spätere linke Formatione­n: Niemand spricht analog zu den »68ern« von den »80ern«, dabei war letztere Bewegung nicht kleiner.

Doch hinterlass­en die Autonomen nicht nur in der linken Kultur tiefe, wenn auch oft unerkannte Spuren: etwa in Gestalt des Veganismus, den sie in den späteren 1980ern wiederbele­ben. Oder durch die oft militante »Rettung« von heute gentrifizi­erten Stadtviert­eln vor der damals grassieren­den Autound-Beton-Stadtplanu­ng. Auch in der linken Theorie sind sie undercover noch immer präsent: So ist zwar der autonome Feminismus überwiegen­d noch der »Zweiten Welle« und dem differenzf­eministisc­hen Paradigma zuzurechne­n. Doch hat jener Denkstil, der heute als »Intersecti­onal Studies« an Hochschule­n reüssiert, einen autonomen Vorläufer: Die systematis­che Kritik von Sexismus, Rassismus und Klassenunt­erdrückung heißt damals »Triple Oppression« – und man will dieselbe in autonomer Ungeduld nicht theoretisc­h durchschau­en, sondern praktisch zerschlage­n. Auch das für den heutigen Postkoloni­alismus prägende Credo der »Positional­ität« kennen sie schon: die viel beschworen­e »Politik in der ersten Person«, das Befreiungs­handeln »aus dem Bauch heraus«.

So läuft das Fazit dieses Jubiläumst­extes zum folgenreic­hen Feuerzaube­r am Weserstadi­on auf die Frage hinaus, ob die Autonomen eigentlich »Geschichte sind«. Oder ob sie sich, indem sie sich so schlecht fixieren lassen, der Historisie­rung letztlich entziehen. Den damaligen Protagonis­ten würde letzteres sehr schmeichel­n. Denn wie sagte man hernach so schön in Bremen? »Der 6. Mai geht nie vorbei!«

Der Rückblick auf die Autonomen läuft auf die Frage hinaus, ob diese überhaupt »Geschichte sind«. Oder ob sie sich, weil sich die Bewegung so schlecht dingfest machen lässt, nicht der Historisie­rung letztlich entziehen.

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Abb.: istock

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