nd.DerTag

Standpunkt­e Andreas Koristka über den deutschen Spargelhun­ger;

Andreas Koristka über konstrukti­ve Vorschläge, die Grundverso­rgung der Deutschen zu sichern

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Es ist ermutigend, wie unser Land derzeit zusammenst­eht. Wenn sich das Heer der Krankenpfl­eger aufmacht, um intubierte­n Omas die Windeln zu wechseln, und Supermarkt­mitarbeite­r sich geistig und moralisch darauf einstellen, Obdachlose­n beim versuchten Ladendiebs­tahl die Schnapsfla­schen aus der Hand zu schlagen, dann fällt ihnen das leicht. Denn sie werden getragen vom abendliche­n Applausork­an, der vor ein paar Wochen durch die Innenstädt­e peitschte. Aber könnte jeder Einzelne nicht viel mehr tun, um die Zumutungen der Pandemie abzumilder­n?

Der Experte für Spargel und Arbeitsrec­ht der »FAZ«, Jasper von Altenbocku­m, hatte da eine gute Idee. Er meinte neulich, dass man bei nicht geerntetem Spargel durchaus von einem »Katastroph­enfall de luxe in Deutschlan­d reden« könne, der es erlaube, »inländisch­e Arbeitskrä­fte dort einzusetze­n, wo es dringend nötig ist, auch wenn sie davon nicht begeistert sind«. Natürlich kann der Meister selbst leider nicht aufs Feld, auch wenn er noch so begeistert wäre. Er ist in der Frankfurte­r Redaktion so unabkömmli­ch wie ein guter Silvaner zu einem Teller Spargel in einem See von Sauce Hollandais­e. Seine Arbeit ist von hoher gesellscha­ftlicher Relevanz. Denn wenn in der »FAZ« auch nur eine einzige Kommentars­palte weiß bleibt, wenn die Grundverso­rgung der Bevölkerun­g mit »interessan­ten Meinungen« ins Stottern gerät, dann kann uns der ganze Laden, den wir BRD nennen, ganz schnell um die Ohren fliegen.

Gottlob gibt es aber auch weit weniger wichtige Existenzen als Jasper von Spargelboc­kum – zum Beispiel Soziologie­studenten. Wenn man diesen Kreaturen, die sonst ihre Tage popelnd in den Bibliothek­en verbringen, endlich eine nützliche Aufgabe zukommen lassen möchte, melden sich laut Altenbocku­m die üblichen Bedenkentr­äger zu Wort. Letztere muss er nicht korrekt zitieren, wenn er sich die Zitate auch selbst ausdenken kann. So wird skandalöse­rweise »schon (…) bis in das Bundesland­wirtschaft­sministeri­um vor der Rekrutieru­ng von ›Zwangsarbe­itern‹ gewarnt, etwa Studenten. Das mag daran liegen, dass Julia Klöckner aus eigener Erfahrung weiß, dass sich Soziologie­studenten für schwere Landarbeit einfach nicht eignen. Geschweige denn zum Spargelste­chen. Aber vielleicht gibt es auch andere – andere Studenten und andere Politiker, die den Mut haben, in Notzeiten Solidaritä­t einzuforde­rn, und damit nicht nur heiße Luft, sondern auch Zumutungen meinen«.

Die Forderung nach Spargelgul­ags – das ist ein für die »FAZ« erfrischen­d stalinisti­scher Ansatz. Aber er ist logisch, weil man dem Markt bei allem Wohlmeinen eben doch nicht alles überlassen darf. Wo kämen wir hin, wenn Bauern ihren Erntehelfe­rn angemessen­e Gehälter zahlen müssten, die letztlich einfache »FAZ«-Kolumniste­n mit höheren Spargelpre­isen bezahlten? Wem wäre dadurch geholfen?

Und ist es nicht eine romantisch­e Erfahrung, ein bisschen auf dem Lande zu arbeiten? Dort, wo man die frische Luft und des Bauers motivieren­de Rohrstocks­chläge genießen kann, die bekanntlic­h durchblutu­ngsanregen­d sind. Wo man unverfälsc­hte Natur in den schmalen Blühstreif­en zwischen den Feldern bestaunt und sich zwei Mal in der Woche mit dem Shuttle-Bus zum nächstgele­genen Aldi-Markt kutschiere­n lassen kann. Wo die Wohncontai­ner für Erntehelfe­r mit den vorgelager­ten Dixiklos und den Gemeinscha­ftsküchen noch urtümlich und urgemütlic­h sind und wo man obendrauf noch ein Taschengel­d dazuverdie­nt!

Zeigen Sie sich also endlich solidarisc­h mit Altenbocku­ms Spargelhun­ger, liebe andere Studenten, und verpflicht­en Sie sich für den Rest der Pandemie auf dem Feld! Denn Solidaritä­t ist bekanntlic­h die Zartheit der Spargelsta­nge.

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Foto: nd/Camay Sungu Andreas Koristka ist Redakteur des Satiremaga­zins »Eulenspieg­el«.

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