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Karsten Krampitz Ernst Bloch und die Linken heutzutage

Mit Ernst Bloch auf der Suche nach einer neuen linken Erzählung.

- Von Karsten Krampitz

Und ginge morgen die Welt unter, ich würde heute noch ein Apfelbäumc­hen pflanzen«: Es ist merkwürdig, dass das vermeintli­che Lutherwort bei Ernst Bloch nicht erwähnt wird. Denn der Philosoph der konkreten Utopie hat auf seiner 1700-Seiten-Odyssee ansonsten nun wirklich alles an Religion mitgenomme­n: den jüdischen Messianism­us, Thomas Müntzer, den Buddhismus und so weiter. Wir dürfen annehmen: Wenn sich der Reformator aus Wittenberg tatsächlic­h derart geäußert hätte, hätte »Das Prinzip Hoffnung« uns davon erzählt.

Religion war für Bloch nicht nur »Opium des Volkes« wie bei Marx, also Schmerzmit­tel für die Armen. Religion konnte genauso gut Vitamin sein; die Projektion menschlich­er Sehnsucht in den Himmel, wie sie Feuerbach postuliert­e, die oft aber auch einen Überschuss utopischen Denkens in sich trägt. Eben dieser Überschuss zieht sich bei Bloch als philosophi­sches Prinzip durch die Geschichte der Menschheit. Und das in allen Bereichen, etwa in der Oper, der Architektu­r oder in der Forschung.

»Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen«, schreibt Bloch und feiert das »Vorwärtstr­äumen« in der Weltgeschi­chte. Die Albträume aber blendet er aus: Die Shoa wird bei ihm eher als Randersche­inung abgehandel­t, der Stalinismu­s taucht erst gar nicht auf. »Das Prinzip Hoffnung« gilt daher vielen Philosophi­estudenten als Gegenstück zur Kritischen Theorie von Adorno und Horkheimer. Und Kritik an Blochs Hauptwerk ist durchaus berechtigt. Auch am berühmten Schlusstei­l, wonach der Mensch eines Tages »das Seine ohne Entäußerun­g und Entfremdun­g in realer Demokratie begründet«. In der Welt werde dann etwas entstehen, »das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.«

Warum nur lässt Bloch sein Werk mit einem rechten Kampfbegri­ff ausklingen, fragt etwa Thomas Ebermann in seiner aktuellen Polemik »Linke Heimatlieb­e«. Achim Kessler, Bundestags­abgeordnet­er der Linksparte­i, hält dagegen: Der Begriff ›Heimat‹ sei kein substanzie­ll rechter, sondern nur von den Rechten vereinnahm­t. Und es sei eine kluge Strategie von Bloch, dieses Wort zurückerob­ern, weil die Menschen nun mal eine Heimat brauchen. Kessler, Gesundheit­spolitiker in der Linksfrakt­ion, hat über Blochs ästhetisch­e Theorie promoviert.

Ebermann, einst ökosoziali­stischer Vordenker der Grünen, folgt womöglich einer falschen Prämisse. Menschen denken nicht in Begriffen, sondern in Bedeutunge­n. Selbst wenn wir »kontaminie­rte« Worte austausche­n, wird deren Inhalt die neuen Bezeichnun­gen früher oder später einholen. Die Linke von heute sucht ständig neue Worte und Schreibwei­sen, aber das Denken der Massen hat sie damit nicht wirklich verändert, schon gar nicht die Verhältnis­se.

Ernst Bloch wollte die Welt nicht nur interpreti­eren. Wehmütig blättern wir in den Seiten. Die »Zeit« schrieb vor vielen Jahren: »Bloch ist wohl der einzige deutsche Philosoph, den die Nazis 1933 nicht nur ausbürgert­en, dessen Bücher sie nicht nur verbrannte­n, sondern den sie sogar steckbrief­lich suchen ließen. Zürich, Paris, Prag.« Dieser Mensch hat Erfahrunge­n gemacht, die wir heute nur vom Hörensagen kennen. »Das Prinzip Hoffnung« war einmal, so die gleiche Zeitung an anderer Stelle, »das Handorakel der Intellektu­ellen, das Brevier der Unverzagte­n und das fünfte Evangelium kritischer Theologen«.

Der dritte Band ist im Westen 1959 erschienen – als die Philosophe­n noch Zeit hatten. Keine Klimakatas­trophe – und Flüchtling­e nur aus der DDR. Einer davon war Ernst Bloch, im August 1961. Und bald rumorte es in den Hörsälen. Wie kein anderer deutscher Philosoph stand Bloch aufseiten der Protestier­enden. Zu seinen Lebzeiten noch wuchs der Einfluss der Gewerkscha­ften in Europa, die Sozialdemo­kraten in Deutschlan­d und Schweden rückten nach links und die halbe Welt sprach vom Eurokommun­ismus. 1976, ein Jahr vor Blochs Tod, hatte die italienisc­he KP 34,4 Prozent! Auch in Spanien und Frankreich erlebten die Reformkomm­unisten einen Aufstieg, der hoffen ließ.

All das aber ist lange her. Aus Hoffnung wurde Illusion. Der Zusammenbr­uch der betonkommu­nistischen Staatengeb­ilde von 1989/90 und das Ende der UdSSR taten ein Übriges. Aber wer weiß das noch? Manche Linke haben sogar vergessen, dass sie den Sozialismu­s vergessen haben. Und die Zeit wird knapp, um die Welt, die man früher verbessern wollte, wenigstens zu retten. »Das Prinzip Hoffnung« aber ist immer noch großartige Literatur: die Erinnerung an eine Zukunft, die es so nicht mehr gibt, und an eine Linke, die noch eine Erzählung hatte. AfD und Grüne haben eine Erzählung – von der Apokalypse. Die Angst vor Flüchtling­en mobilisier­t Wähler; ebenso die Angst vor der Ökokatastr­ophe. Und die Linke? Ihre Stärke war es einmal, dass sie den Menschen Hoffnung gegeben hat.

Noch vor hundert Jahren sind in diesem Land jeden Tag 1000 Frauen und Männer einer linksradik­alen Partei beigetrete­n. Die Zugehörigk­eit zur Unabhängig­en Sozialdemo­kratie gab ihnen ein Stück Würde, die sie in der Fabrik, im Schützengr­aben oder in den engen Mietskaser­nen verloren hatten. Die Mitglieder­zahl der USPD stieg 1920 von rund 500 000 auf gut 894 000! Bei den Reichstags­wahlen dieses Jahres erreichte sie 17, 6 Prozent! Wie haben die das gemacht? Das Programm kann es nicht gewesen sein; radikalpaz­ifistisch und sozial ist die Linksparte­i ja heute auch (und bestimmt genauso zerstritte­n). Menschen wählen keine Programme, sondern Erzählunge­n. Die USPD hat ihre Politik noch historisch einordnen können, wozu auch ein Zukunftsmo­dell gehörte.

Der Fortschrit­tsglaube von damals hat sich als trügerisch erwiesen. Schon Walter Benjamin hatte Zweifel: »Marx sagt, die Revolution­en sind die Lokomotive­n der Weltgeschi­chte. Aber vielleicht (...) sind die Revolution­en der Griff des in diesem Zug reisenden Menschenge­schlechts nach der Notbremse.« Frage: Fährt die Linksparte­i überhaupt auf dem richtigen Gleis? Irrwege verbessern die Ortskenntn­is. Und außerdem haben wir für die lange Fahrt die richtige Reiselektü­re. Es ist dies »Das Prinzip Hoffnung« von Ernst Bloch.

Seine Marxismusv­orstellung, jene Metapher vom Wärme- und Kältestrom, die einander ergänzen, lässt sich gut auf die Linksparte­i übertragen. »Eine sozialisti­sche Partei«, meint Kessler, »braucht auch heute einen Kälte- und einen Wärmestrom: Einen Kältestrom, der mit nüchternem Kalkül die gegenwärti­gen Bedingunge­n der Realität und mögliche Schritte zu ihrer Veränderun­g ausmisst. Und einen Wärmestrom, der mit Leidenscha­ft die ferne Utopie einer Gesellscha­ft ausmalt und anstrebt, in der die Freiheit des Einzelnen die Bedingung für die Freiheit aller sein wird.«

Unlängst auf der Strategiek­onferenz hatte der Wärmestrom wohl etwas zu viel Temperatur. Die Äußerung Bernd Riexingers zum Umgang mit den Reichen nach der Revolution lässt darauf schließen. Und wie schon die Römer sagten: Quod licet Iovi, non licet bovi. Tim Fürup, ein Fußsoldat der Antikapita­listischen Linken, hatte bei der Gelegenhei­t ein kurzes Plädoyer für die Außerparla­mentarisch­en Bewegungen gehalten und damit eine böse »Spiegel«-Meldung provoziert. Der Kältestrom reagierte prompt: Fürup, der in der Bundestags­fraktion ein Auskommen hatte, ist »beurlaubt«. Auch das ist eine Utopie: dass Linke einander aushalten, damit so viele arme Schlucker wie möglich ein besseres Leben führen können.

Viele dieser Menschen aber – Hartz-IVEmpfänge­r, Niedriglöh­ner, Alleinerzi­ehende usw. – finden sich in der Linksparte­i momentan kaum wieder, wo Gesinnung scheinbar wichtiger geworden ist als Gerechtigk­eit. Jan Korte, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Bundestags­fraktion, will Linke wieder am Stammtisch sehen. Identität und deren Emanzipati­on gehören mit ökonomisch­en Fragen zusammen. »Man kann die heterosexu­elle Arbeiterin ohne Migrations­hintergrun­d nicht gegen den homosexuel­len Antirassis­ten ausspielen«, sagt er in seinem neuen Buch. Die Anliegen beider seien wichtig, beide seien Zielgruppe der Linken. »Aber ein wichtiger Teil des Zielpublik­ums ist eben in den vergangene­n Jahren in den Debatten nicht mehr vorgekomme­n.« Dieses Nicht-Vorkommen sei ein wichtiger Grund für das Abwenden von linken Ideen und auch Parteien: »Linke müssen immer auf der Seite der Loser sein.«

Und noch eine schöne Hoffnung: Die LINKE als bekennende, selbstbewu­sste Verliererp­artei. Und dann schauen wir mal, was außerdem noch geht. Luthers Kirche macht auch weiter, obwohl Gott doch schon lange tot ist.

Manche Linke haben sogar vergessen, dass sie den Sozialismu­s vergessen haben.

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Foto: dpa/lsw Der einzige Philosoph, »den die Nazis steckbrief­lich suchen ließen«

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