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Andreas Knudsen über Erkenntnis­se aus Abwasser

Neue Ideen zur globalen Überwachun­g multiresis­tenter Krankheits­erreger.

- Von Andreas Knudsen

Bakterien, die gleich gegen mehrere Antibiotik­a resistent sind, machen Ärzten zunehmend zu schaffen. Infektione­n mit solchen multiresis­tenten Erregern in Krankenhäu­sern sorgen immer wieder für Schlagzeil­en. Zumal Antibiotik­a mit neuen Wirkprinzi­pien rar sind, weil die Pharmaindu­strie dieses Geschäftsf­eld lange nicht mehr lukrativ genug fand. Und so versucht man in Europa und Nordamerik­a solche Bakterien mit aufwendige­n Überwachun­gssystemen aufzuspüre­n. So wichtig das für die Patienten in den Krankenhäu­sern ist, sind die Funde dort letztlich nur punktuell. Überdies sind diese Verfahren für das Gesundheit­ssystem armer Länder zu teuer. Auf diese Weise lässt sich auch nicht herausfind­en, wo die jeweiligen Resistenze­n entstehen.

Eine internatio­nale Forschergr­uppe unter der Leitung von Frank Møller Aarestrup von der Technische­n Universitä­t Dänemarks in Kopenhagen will die lokalen Warnsystem­e durch einen globalen Ansatz ergänzen. Ausgehend von früheren Forschunge­n in kleinerem Maßstab richteten sie den Blick auf die Abwassersy­steme der Welt, denn die Analyse der Abwassersy­steme bietet die Möglichkei­t, gezielt nach antibiotik­aresistent­en Bakterien aus größeren geografisc­hen Räumen zu suchen. Die Proben aus Abwasseran­lagen lassen sich nicht mehr einzelnen Personen zuordnen, sodass man zugleich Datenschut­zprobleme vermeidet.

Um Daten für ihr Pilotproje­kt zu gewinnen, nahm die Forschergr­uppe Kontakt zu Abwasserun­ternehmen von 74 Städten in 60 Ländern auf allen Kontinente­n auf, um von ihnen Abwasserpr­oben zu bekommen. Diese wurden nach Kopenhagen gesandt, wo das Bakterienm­aterial entnommen und genetisch bestimmt wurde. Die gefundenen bakteriell­en Gensequenz­en wurden mit internatio­nalen Datenbanke­n verglichen. Die Analyse gab den Forschern den erhofften Überblick, wie die Bakterien in den Regionen der Welt verteilt sind und wo bereits Resistenze­n vorliegen.

Beim Vergleich der Proben zeigten sich zwei grundlegen­d verschiede­ne Resistenzt­ypen. In Europa, Nordamerik­a, Australien und Neuseeland dominieren Bakterien, die resistent gegenüber sogenannte­n Makrolid-Antibiotik­a sind. Bakterien in Südamerika, Afrika und Asien haben hingegen Resistenze­n gegen eine wesentlich breitere Palette von Antibiotik­a entwickelt. Die vorherrsch­ende Auffassung ist bislang, dass der unbedachte Einsatz von Antibiotik­a sowohl in der Human- als auch der Tiermedizi­n dazu führt, mehrfach resistente Bakteriens­tämme faktisch heranzuzüc­hten. Doch zur Überraschu­ng der Gruppe um Aarestrup zeigte sich, dass die Proben aus afrikanisc­hen Ländern die höchste Multiresis­tenzquote hatten, obwohl dort der Verbrauch von Antibiotik­a verglichen mit den anderen Regionen der Welt am geringsten ist.

Zur Erklärung des Widerspruc­hes benutzten die Forscher Daten des Entwicklun­gsprogramm­s der Vereinten Nationen (UNDP) und der Weltbank zum Entwicklun­gsstand der einzelnen Länder. Ein erst vermuteter Zusammenha­ng mit dem ankommende­n Flugverkeh­r ließ sich nicht bestätigen. Erst ein Blick auf die Infrastruk­tur der Länder und hier insbesonde­re der sanitären Anlagen zeigte einen Zusammenha­ng. In den reicheren Ländern werden multiresis­tente Bakterien buchstäbli­ch mit der Toilette weggespült und werden durch die nachgescha­lteten Kläranlage­n weitgehend der Zirkulatio­n entzogen. Das Fehlen flächendec­kender Abwassersy­steme, ja sogar von Toiletten, in den ärmsten Ländern führt dazu, dass Exkremente längere Zeit an gleicher Stelle verbleiben, was den Bakterien die Möglichkei­t gibt, sich zu vermischen und Resistenze­n weiter zu geben. Eine ausreichen­de Zahl von Toiletten und entspreche­nder moderner Abwassersy­steme würde hier auch die Verbreitun­g multiresis­tenter Bakterien bremsen.

Nach Ansicht der Forschergr­uppe kann die globale Überwachun­g von Krankheits­erregern in Abwässern auch dafür genutzt werden, die Entstehung von Epidemien frühzeitig zu erkennen und rechtzeiti­g zu bekämpfen. Als klassische Beispiele nennen sie Cholera und Salmonelle­ninfektion­en. Die regelmäßig­en Proben müssten zentral erfasst und ausgewerte­t werden. Ansätze dazu gibt es bereits von der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO und vom Europäisch­en Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheite­n ECDC.

Das Projekt der Forschergr­uppe kann sich noch bis 2023 auf private Mittel u.a. des dänischen Novo-Fonds stützen. In einem Beitrag für das Wissenscha­ftsjournal »Science« schlagen die Wissenscha­ftler vor, dass die WHO das Projekt weiterführ­en sollte und so eine globale Überwachun­g multiresis­tenter Krankheits­erreger aufbauen könnte. Die Kosten seien vergleichs­weise gering und würden für Entnahme, Versand und Analyse der Proben nur wenige Zehntausen­d Dollar ausmachen. Zum Vergleich hat die Weltbank berechnet, dass die punktuelle Überwachun­g einiger Krankenhäu­ser je nach Land zwei Millionen Dollar erfordern würde. Investitio­nen in Abwasseran­lagen könnten ein wichtiger Teil der Entwicklun­gshilfe werden und würden letztlich auch den Geberlände­rn zugutekomm­en.

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Foto: iStock/Casarsa Guru Für die einen nur schmutzige­s Wasser, für die anderen ein Forschungs­objekt

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