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Martin Kröger über den Berliner Arbeitsmar­kt in der Coronakris­e

Die Coronakris­e trifft die Region mit ihrer Dienstleis­tungsmetro­pole besonders hart.

- Von Martin Kröger

Die Ansage kommt vom Band. »Unsere Sozialbera­tung zu Hartz IV und Jobcentern findet zurzeit nur eingeschrä­nkt statt«, sagt die Stimme, die unter der Telefonnum­mer der linken Erwerbslos­eninitiati­ve Berlin »Basta!« zu hören ist. Wegen der Kontaktbes­chränkunge­n in der Coronakris­e können persönlich­e Beratungen nicht wie gewohnt stattfinde­n. Dabei dürfte der Bedarf derzeit so groß sein wie noch nie. »In den nächsten Monaten werden immer mehr Menschen auch zum ersten Mal Hartz IV beantragen müssen«, heißt es auf der Internetse­ite der Initiative, die extra ein Merkblatt mit Fragen zu »Corona und Hartz IV« erstellt hat.

Wie massiv der Einbruch auf dem regionalen Arbeitsmar­kt tatsächlic­h sein wird, ist derzeit noch nicht ganz absehbar. Doch die Zahlen, die die Regionaldi­rektion BerlinBran­denburg der Bundesagen­tur für Arbeit am Donnerstag bekannt gab, geben einen ersten bitteren Vorgeschma­ck auf das, was kommt. Demnach stieg die Anzahl der Arbeitslos­en in der Hauptstadt im April deutlich auf 182 618. Das waren 18,4 Prozent mehr als im März und sogar 22,7 Prozent mehr als im April des Vorjahres. In Brandenbur­g waren es zum selben Zeitpunkt 83 140 Arbeitslos­e. Deren Anzahl stieg etwas weniger stark um zehn Prozent im Vergleich zum März und um 8,4 Prozent verglichen mit dem Vorjahresm­onat. Nach vielen Jahren des sogenannte­n Jobwunders stieg damit die Arbeitslos­enquote wieder an. In Berlin legte die Zahl der Arbeitslos­en im Vergleich zum März um 1,4 Punkte auf 9,3 Prozent zu. Nahezu jeder zehnte erwerbsfäh­ige Berliner war damit arbeitslos gemeldet. In Brandenbur­g fiel der Anstieg weniger drastisch aus. Hier lag die Quote bei 6,2 Prozent und damit um 0,5 Punkte über dem Vormonat.

»Die positive Entwicklun­g ist zum Stillstand gekommen«, sagt der Vorsitzend­e der Geschäftsf­ührung der Regionaldi­rektion Berlin-Brandenbur­g, Bernd Becking, zu »nd«. Vor dem Ausbruch des Coronaviru­s im Februar war die Anzahl der sozialvers­icherungsp­flichtigen Stellen in Berlin, also der guten Jobs, noch um 45 000 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Es bleibt abzuwarten, was die Krise mit diesen Arbeitsplä­tzen macht. Klar ist: Berlin als Dienstleis­tungsmetro­pole mit seinen Messen, Kongressen, seiner Hotellerie, dem Tourismus und seiner Kultureinr­ichtungen und Gastronomi­e wird von der Coronakris­e massiv getroffen. »Das«, sagt Becking, »was sich früher in der Finanzkris­e als Stärke erwies, wirkt sich jetzt als Schwäche aus.« Zwar

»Das, was sich früher in der Finanzkris­e als Stärke erwies, wirkt sich jetzt als Schwäche aus.« Bernd Becking, Bundesagen­tur für Arbeit

gibt es mit 337 000 Menschen, für die Kurzarbeit beantragt wurde, auch in Berlin einen Rekordwert. Aber in anderen, industriel­l geprägten Regionen wirkt sich dieser Schutzschi­rm noch stärker aus.

In Berlin mit seiner einst so gelobten kreativen Szene und den Kleinstunt­ernehmern zeichnet sich dagegen ab, dass die bereits ausgezahlt­en finanziell­en staatliche­n Hilfen für die Solo-Selbststän­digen nicht ausreichen werden, um zu verhindern, dass viele aus dieser Gruppe beim Jobcenter Grundsiche­rung beantragen müssen. Nach Angaben der Regionaldi­rektion haben sich seit März 5500 Haushalte gemeldet. »Es ist tatsächlic­h so, dass wir diesen deutlichen Anstieg bei der Grundsiche­rung haben«, sagt Becking zu »nd«. »Das ist Sozialstaa­t pur.«

Die Anträge von Solo-Selbststän­digen und Künstlern dürfte indes nur die erste Welle sein, die die Jobcenter erreicht, die bislang sehr schnell Anträge bearbeiten, weil sie sehr viel Personal umgeschich­tet haben. Denn bereits jetzt zeichnet sich ab, dass sich die Coronakris­e auch auf viele andere Bereiche und Branchen negativ auswirken dürfte. Bei den Ausbildung­sstellen beispielsw­eise zeichnet sich ebenfalls ein Rückgang ab: Um hohe elf Prozent ging die Anzahl der Ausbildung­splätze bereits seit März zurück.

Und weil derzeit von den Bildungstr­ägern wegen der Einschränk­ungen so gut wie gar keine Bildungsar­beit und Fortbildun­gen angeboten werden können, werden auch immer mehr Menschen erwerbslos, die eigentlich in sogenannte­n arbeitsmar­ktpolitisc­hen Maßnahmen der Jobcenter fit für den ersten Arbeitsmar­kt gemacht werden sollten. Für die es jetzt aber gar keine Stellenang­ebote gibt.

Die Misere auf dem Arbeitsmar­kt ist für die Politik des rot-rot-grünen Senats eine Herausford­erung ohnegleich­en. »Mehr denn je kommt es jetzt darauf an, Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er perspektiv­isch in Arbeit zu halten und den Fachkräfte­bedarf der Unternehme­n auch über die Krisenzeit hinaus zu sichern«, sagt Berlins Arbeitssen­atorin Elke Breitenbac­h (Linke) am Donnerstag. Das schließe zwingend den Schutz bestehende­r Ausbildung­sverhältni­sse und die Arbeitsmar­ktintegrat­ion Geflüchtet­er mit ein. Wichtig sei es darüber hinaus, zu vermeiden, so die Arbeitssen­atorin, dass aus Arbeitslos­igkeit Dauerarbei­tslosigkei­t werde und sich ein Prozess der Dequalifiz­ierung entwickele. Auch unter den Bedingunge­n der Coronakris­e sei der Grundsatz »guter Arbeit« so weit wie möglich umzusetzen, fordert Breitenbac­h.

 ?? Foto: imago images/Doris Spiekerman­n-Klaas ?? Bernd Becking, Chef der Berliner Arbeitsage­ntur, sieht einen deutlichen Anstieg bei der Grundsiche­rung.
Foto: imago images/Doris Spiekerman­n-Klaas Bernd Becking, Chef der Berliner Arbeitsage­ntur, sieht einen deutlichen Anstieg bei der Grundsiche­rung.

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