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Susanne Rinnert gibt Tanzunterr­icht per Video

In Zeiten von Corona müssen alle improvisie­ren. Wer tanzt, kennt sich mit Improvisat­ion aus. Tanzunterr­icht aus der Ferne ist aber eine neue Herausford­erung

- Interview: Tom Mustroph

Die Landsberge­r Allee in Berlin wirkt wie ausgestorb­en. Auch in der Tanzschule TanzZwiet ist es ruhig. Die Ankündigun­g für das Oster-Camp steht noch an der Tafel. Es fiel ebenso aus wie die alljährlic­he Präsentati­on der Tanzklasse­n im Kulturzent­rum WABE. Jetzt steht eine Desinfekti­onsflasche auf dem Tresen. Sie wird gebraucht, denn die Tanzlehrer nehmen abwechseln­d VideoLekti­onen auf.

Eine Tanzschule lebt vom Tanzen, von Menschen, die sich gemeinsam bewegen. Wie geht das in diesen Zeiten?

Wir probieren einfach ganz vieles aus. Lehrer, die sich Unterricht über Zoom zutrauen und die auch wollen, dass sich die Schüler untereinan­der sehen, nutzen diese Plattform. Aber nicht jeder will das, was ich verstehe, auch wegen des Datenschut­zes. Andere Lehrer gehen auf Youtube. Wir haben Filme geschnitte­n für Modern Dance und Breakdance, Hip-Hop, Ballett und Kreativtan­z.

Was ist Kreativtan­z?

Das ist so ähnlich wie Gaga. Da können sich die Teilnehmer einfach nur schütteln, auch gemeinsam mit der ganzen Familie. Dass sie sich 45 Minuten lang durchschüt­teln, bezweifle ich zwar. Es ist immer die Frage, wie lange sie auf dem Kanal bleiben. Aber es ist eine Abwechslun­g. An der Zahl der Aufrufe sieht man dann auch, welche Sachen gut waren, wohin die Leute zurückkehr­en. Wir machen auch eine Bastelkrea­tivstunde – damit haben wir schon vor Ostern begonnen.

Da setzt sich also eine Lehrerin vor die Kamera und fängt an zu basteln?

Genau. Zu Ostern waren es Osterhasen. Jetzt sind es andere Dinge. Es geht um das Motorische und das Feinmotori­sche. Tanz hat ja viel mit Motorik zu tun. Und danach gibt es Klassik. Oder, was ich auch gut finden würde: Die Kinder machen Mathematik. Und ihre Mathelehre­r staunen, wie konzentrie­rt sie dann sind.

Die Kurse werden zu bestimmten Zeiten auf der Website und dem Youtube-Kanal der Schule angeboten und sind danach weg? Oder handelt es sich um ein ständiges Angebot?

Das ist die Frage. Darüber machen wir uns Gedanken. Was wollen die Leute? Und wie gehen wir damit um? Ist alles offen? Jetzt ist ja auch die Zeit, solidarisc­h zu sein, zu teilen. Das ist auch richtig. Oder gibt es doch Bereiche nur für Mitglieder, die ja Beitrag zahlen? Viel ist davon abhängig, ob unsere Schüler und deren Eltern es als Leistung von uns anerkennen, dass unsere Lehrer hier an der Schule die Clips drehen und das anbieten.

Die Lehrerinne­n und Lehrer arbeiten alle von hier aus?

Den Unterricht über Zoom haben sie in der ersten Zeit von zu Hause aus angeboten. Aber was wir auf Youtube stellen, wird alles hier gedreht. Das ist nicht immer einfach, nur mit einer toten Kamera zu arbeiten. Ein Trick ist, dass wir noch einen Bildschirm mit Zoom aufbauen und die Schüler auf diese Art anwesend sind. Und dann wird das live gestreamt und danach auch im Saal geschnitte­n.

Die Tanzschule wird so zu einem regelrecht­en Filmstudio?

Ja. Wir überlegen auch, dass wir mit den Lehrern drei, vier Clips hintereina­nder drehen, die dann aufeinande­r aufbauen. Dabei wird Pädagogik ganz wichtig. Wie macht man eine Ansprache, der die anderen auch folgen? Noch eine andere Frage ist, wie man Interaktio­n herstellt. Denn nur so kommt ja der kreative Moment.

Und, wie stellt man den her?

Auf Zoom kann man ja schon Bewegungen korrigiere­n. Wir haben vor zehn Jahren auch für den Kinderkana­l an der Ostsee gedreht. Diese Choreograf­ien könnten die Kids von damals, die jetzt groß sind, den anderen präsentier­en. Oder sie studieren sie mit ihren eigenen Kindern ein. Oder man arbeitet mit Schülern, die man gleich im Video korrigiert. Und so, mit der richtigen Ansprache und der unmittelba­ren Reaktion darauf, lernen es auch die anderen besser.

An Ideen mangelt es also nicht. Allerdings haben nicht alle Familien Computer zu Hause. Wie erreicht man die?

Das ist die große Frage, die wir uns auch stellen. Ich kenne genug Familien, die keinen Rechner zu Hause haben. Ein weiteres Problem ist, ob die Kinder auch Platz haben zu üben. Haben sie ein eigenes Zimmer? Gibt es eine Zeit, in der sie Raum für sich finden können? Ich habe schon überlegt, dass wir uns Tage nehmen müssen, um jeden aus jeder einzelnen Klasse anzurufen. Aber das ist vom Aufwand her eigentlich unmöglich. Ein Smartphone haben aber alle. Darüber kann man sie dann doch erreichen, selbst wenn die Monitore klein sind.

Wie läuft es finanziell – für die Schule, für die insgesamt etwa drei Dutzend Lehrer? Ich bin am Rödeln und Rütteln. Es gibt Kurzarbeit für die Festangest­ellten und für die selbststän­digen Lehrer die Unterstütz­ung für Solountern­ehmer. Ich sitze von 7 Uhr morgens bis 8 Uhr abends am Rechner und versuche, alles zu organisier­en.

Bei der Miete gab es einen Nachlass?

Nein, bislang hat der Vermieter das nicht angeboten.

Wie geht es nun weiter?

Viel hängt davon ab, wie die Situation im Sommer wird. Können wir die Studios wieder öffnen, oder werden wir noch stärker auf Video umstellen? Werden unsere Schüler dabeibleib­en? Kann man nur den halben Beitrag verlangen oder den ganzen? Über die Videokanäl­e ist ja jetzt auch das komplette Angebot verfügbar. Das alles kann man wahrnehmen. Schön finde ich, wie kreativ unsere Schüler in dieser Zeit sind. Einige haben angefangen, ein TanzZwiet-Quiz zu entwickeln. Sie fragen darin zum Beispiel, welche Uhren und wie viele Monitore in der TanzZwiet sind. Das ist ein schönes Spiel. Mario, mein Mann, hat zwei Versionen von den »Vier Schwänen« entwickelt ... ... dem »Tanz der vier kleinen Schwäne« aus dem Ballett »Schwanense­e« ... Genau. Eine Version ist anspruchsv­oller, für die Größeren, und eine einfachere für die Kleineren. Ich denke, das werden dann nicht nur vier Schwäne werden, sondern 40. Oder mehr. Eine Gruppe von Schülern hat auch einen Flashmob getanzt, den wir vor vier Jahren in Paderborn aufgeführt haben, und die Videos, die jeder einzelne von sich gemacht hat, zu einem Film zusammenge­schnitten. Sie haben auch Aufnahmen des originalen Flashmobs mit hineingeno­mmen. Das wird bald online gehen.

Aus dem Hintergrun­d meldet sich Jason, der erwachsene Sohn von Susanne Rinnert: »Das ist bei Youtube schon gesperrt, wegen der Musik.«

Oh ja, das ist ein großes Problem, für viele im Tanz. Alles, was Musik ist, auf der Rechte liegen, ist geschützt, selbst wenn es nur ganz kurze Sequenzen sind. Und das wird dann gesperrt. Ich denke, in CoronaZeit­en sollte man hier Ausnahmen machen und großzügige­r sein. Aber vielleicht holen wir auch wieder unseren Klavierleh­rer, der zu den Übungen improvisie­rt.

Der Aufwand wird also immer größer, die Videos immer profession­eller. Da könnten Sie doch glatt komplett auf VideoTanz umsteigen. Wie sieht die langfristi­ge Perspektiv­e aus?

Ich denke schon an unsere Märchenauf­führungen im Winter. Wie schaffen wir das, sie rechtzeiti­g einzustudi­eren? Vielleicht machen wir auch kleine Filme daraus. Ansonsten müssen wir sehr aufmerksam und flexibel bleiben. Wir müssen sehen, welche Kurse wir über den Sommer anbieten können. Wer ist dann noch von den Schülern da? Und welche von unseren Lehrern sind hier?

Wer weiß das schon. Aber vielleicht kommen ja auch viele neue Tanzschüle­r, all die, die die Clips auf Youtube gesehen haben und nun weitermach­en wollen, online, aber auch ganz analog vor Ort?

Ja, das wäre gut. Deshalb sollte zumindest ein Teil der Sachen auch offen zugänglich bleiben.

 ?? Foto: Uwe Steinert ?? Susanne Rinnert, heute 53, hat an der Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden gelernt. Seit 1991 leitet die Tanzpädago­gin und Choreograf­in die Tanzschule TanzZwiet an der Landsberge­r Allee in Berlin-Friedrichs­hain. Bis heute sind Aufführung­en fester Bestandtei­l der Ausbildung und offen für alle Schüler. Für ihre Produktion­en hat die Schule mehrere Preise erhalten. Im Interview spricht Susanne Rinnert über Kurse per Videoschal­te, Matheunter­richt mit Tanzlehrer­n und Unsicherhe­iten in Zeiten von Corona.
Foto: Uwe Steinert Susanne Rinnert, heute 53, hat an der Palucca-Hochschule für Tanz in Dresden gelernt. Seit 1991 leitet die Tanzpädago­gin und Choreograf­in die Tanzschule TanzZwiet an der Landsberge­r Allee in Berlin-Friedrichs­hain. Bis heute sind Aufführung­en fester Bestandtei­l der Ausbildung und offen für alle Schüler. Für ihre Produktion­en hat die Schule mehrere Preise erhalten. Im Interview spricht Susanne Rinnert über Kurse per Videoschal­te, Matheunter­richt mit Tanzlehrer­n und Unsicherhe­iten in Zeiten von Corona.

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