nd.DerTag

Leserinnen und Leser schildern Erfahrunge­n mit der Pandemie

Für viele hat sich das Leben in der Coronakris­e geändert. Wir wollten wissen, wie das klappt

- Bearbeitun­g: Katja Choudhuri

Wie viel Veränderun­g kann Corona auslösen?

Ich bin Lehrerin an einer Neuköllner Schule, und mein Mann ist selbststän­diger Musiker. Für uns hat die Coronakris­e neben allen Härten auch Gutes bereitgeha­lten. Ich habe mich recht schnell mit den Gegebenhei­ten arrangiert, und ich nehme die Situation auch nicht so dramatisch wahr. In den vergangene­n fünf Wochen waren wir fast ausschließ­lich zu Hause. Es bleibt endlich mal Zeit, die Dinge in der Wohnung zu erledigen, die sonst liegen geblieben sind, und mein Mann und ich arbeiten viel an gemeinsame­n Stücken für unsere Band. Als wir kürzlich das erste Mal mit der S-Bahn aufs Land gefahren sind, hat sich das wie ein kleiner Urlaub angefühlt.

Vor einigen Tagen hat für mich der Unterricht wieder begonnen. Mit meinen Schülern habe ich mich darüber unterhalte­n, dass die Masken bald zu unserem Alltag gehören werden und dass wir unser Soziallebe­n auch weiterhin auf Distanz führen werden müssen. Wie jeder Einzelne damit zurechtkom­mt, hängt wohl vom Typ ab.

Im Moment werden durch Corona viele gesellscha­ftliche Probleme offengeleg­t. Zum Beispiel die schlechte Bezahlung der Menschen in den Pflegeberu­fen. Es wäre gut, wenn sich hier nach der Krise etwas ändert. Ich glaube, dass viele Menschen ein neues Familienbi­ld bekommen. Mein Lebensgefä­hrte und der Vater meiner dreijährig­en Tochter zum Beispiel ist gerade viel mehr am Stück zu Hause. Das genießen wir alle sehr. Überhaupt ist Corona ein echter Beziehungs­test für viele Paare.

Darüber hinaus bin ich sehr froh, gerade in Deutschlan­d zu leben. Denn ich habe das Gefühl, dass trotz aller Schwierigk­eiten gerade auch Menschen im kreativen Sektor bzw. Selbststän­dige einigermaß­en gut abgesicher­t sind. Caroline Bennewitz, Berlin

Was ist mit den Kindern?

Das Leben in der Coronakris­e fordert viel von uns allen. Es ist natürlich schön, intensiv Zeit mit der Familie zu verbringen, dennoch machen sich die Belastunge­n in Familien mit kleinen Kindern bemerkbar. Es heißt zwar immer, dass keine Gruppen oder Risikopati­enten diskrimini­ert werden sollen. Aber ich frage mich schon: Was ist mit den Kindern? Sie dürfen nicht in den Kindergart­en, müssen zu Hause lernen – mit im Homeoffice oftmals überlastet­en Eltern. Sie dürfen ihre Freunde nicht sehen. Kinder werden aus Supermärkt­en ausgesperr­t, in einigen Postfilial­en sollen sie wie Hunde vor der Tür warten. Das alles ist für mich Diskrimini­erung. Mich stört, wie wenig Empathie den Familien entgegenge­bracht wird. Da heißt es dann schnell, man solle nicht jammern, wenn man darauf hinweist, dass auf Dauer kleine Kinder, Homeschool­ing und Homeoffice einfach nicht vereinbar sind. Und außerdem habe man sich ja für eine Familie entschiede­n.

Besonders Frauen sind im Moment betroffen: Meist sind sie es, die in Teilzeit arbeiten und den größeren Part der (unbezahlte­n) Familienar­beit übernehmen. Papa arbeitet auch von zu Hause weiter wie gehabt, und vielen Frauen bleibt dann nur die Nacht, um ihre Arbeit zu erledigen. Wann, bitte schön, soll man sich da ausruhen?

Zum Abschluss noch was Gutes: Der morgendlic­he »Alle fertig machen, zum Büro rennen und zurück«-Stress entfällt. In vielen Firmen ist plötzlich Homeoffice möglich, was bisher undenkbar war. Meetings werden digital – was dem Klima eindeutig zugutekomm­t. Claudia Meier, Berlin

80 Prozent Ermahnunge­n und 20 Prozent Arbeit

Ich bin Lehrerin in Berlin. Die Zeit seit den Schulschli­eßungen habe ich als alleinerzi­ehende Mutter einer achtjährig­en Tochter mit dem üblichen Hamsterrad aus Kochen und Haushalt verbracht. Meine Schüler wurden in dieser Zeit online oder per Post mit Aufgaben versorgt. Obwohl vom Fach, habe ich interessan­terweise beim Homeschool­ing mit meiner Tochter etwa 80 Prozent der Zeit damit verbracht, sie dazu zu bringen, ihre Aufgaben zu erledigen.

Unsere gemeinsame Zeit haben wir dafür genutzt, ein Instrument zu erlernen, und ich habe ihr Kochen und Backen beigebrach­t. Trotz all der Aufgaben habe ich Zeit gefunden, alle Werkzeuge in meinem Haushalt zu sichten, zu zählen und zu sortieren, etwas Sport zu machen und mir mittels einer App auf meinem Smartphone neue, gesunde Gewohnheit­en anzutraini­eren. Nicole Kagan, Berlin

Ich vermisse unser »normales« Leben

Mein Mann und ich sind selbststän­dige Künstler, wir haben eine fünfjährig­e Tochter. Wir sind mit Beginn des Lockdowns in unseren Bauwagen aufs Land »geflüchtet«, und für uns fühlt sich die Situation daher fast ein bisschen irreal an. Wir haben einen Garten und unsere Tochter eine Spielkamer­adin. Sie ist sehr glücklich. Was uns an die Pandemie erinnert, ist eine gespannte Schnur und ein Zaun mitten auf dem Grundstück. Hinter diesem Zaun leben meine Schwiegerm­utter und mein Schwager, beide gehören zur Risikogrup­pe. Mittags begegnen wir uns alle. Es wird für alle gekocht. Zuerst bedienen sich die beiden und dann sind wir dran. Wir essen alle gemeinsam an einer von einem Zaun getrennten Tafel und mit Sicherheit­sabstand.

Wir haben uns an diese Situation total gewöhnt und nehmen sie mit Humor. Wir treffen uns jeden Tag und besprechen, wie wir uns fühlen. Und ich muss sagen: Wir meistern die ganze Situation total positiv. Es lässt sich in diesen Tagen sehr gut hier leben auf dem Land.

Schwierige­r wird es natürlich beim Gedanken an die Zukunft. Mein Mann und ich sind beide selbststän­dig, durch die weggebroch­enen Aufträge stehen wir mehr oder weniger vor dem Nichts. Mein Partner sieht das recht sportlich. Für mich stellt sich die Situation schwierige­r dar. Einige Kooperatio­nspartner mussten wegen Corona schon aufgeben, das ist für mich schon bedenklich. Ich mache mir durchaus Gedanken über die Zukunft.

Zurzeit lerne ich, im Hier und Jetzt zu sein, und plane im Moment nur von Woche zu Woche. Ich habe akzeptiert, dass ich auf vieles keinen Einfluss nehmen kann. Das ist eigentlich nicht meine Natur, aber ich möchte auch für meine Tochter positiv bleiben. Ich merke, dass es mir guttut und mich meiner Tochter ein wenig näherbring­t. Trotz allem: Ich vermisse unser »normales« Leben in Kreuzberg, mein Büro, den Sport, das kulturelle Angebot und meine Freunde. Martina Busch, Berlin

Meine Gesundheit steht im Vordergrun­d

Ich lebe allein mit zwei Katzen und arbeite als Intensivkr­ankenschwe­ster in der Schweiz. Oberstes Gebot in dieser Zeit ist für mich meine Gesundheit, körperlich und mental. Ich habe mich daher entschiede­n, Nachrichte­n nur dosiert zu konsumiere­n.

Da ich meine Familie in Deutschlan­d länger nicht sehen werde, rückt der Zusammenha­lt mit den Nachbarn und Freunden für mich in den Vordergrun­d – wir unterhalte­n uns viel mehr. Das hilft mir zu akzeptiere­n, dass jeder verschiede­n mit der Situation umgeht. Ich sorge gut für mich und verbringe meine freie Zeit damit, mich zu pflegen, Sport zu treiben, gut zu essen und mit meinen Katzen zu kuscheln. Das alles in einem ruhigeren Tempo, ich entschleun­ige tatsächlic­h. Meine Wohnung sieht nach ein paar gestalteri­schen Handgriffe­n echt gut aus, mein Daumen wird immer grüner, und ich nehme neue Projekte in Angriff, wie das Lernen einer neuen Sprache und die Recherche für meinen geplanten Roman. Annalena Schulze, Zürich

Von einem »Corona-Koller« kann nicht die Rede sein

Um mich vor dem Elend der Innenstadt zu schützen, gehe ich dort nur noch hin, um persönlich­e Angelegenh­eiten zu erledigen. Ansonsten kann ich nicht von einem »Corona-Koller« sprechen. Bücher, Musik und Arbeiten in meiner Wohnung lassen keine Langeweile aufkommen.

Ich habe außerdem einen persönlich­en Vorsorgepl­an, um mich vor einer Übertragun­g des Coronaviru­s zu schützen. Zum Beispiel gehe ich nur in einen favorisier­ten Supermarkt und trage immer zwei Paar Handschuhe mit mir, um mich und andere Personen zu schützen. Und ich sorge mit viel Gemüse und Rohkost für meine Gesundheit vor. Simone Hoffmann, Burg

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Foto: Unsplash/danieltafj­ord In Zeiten von Corona: Bleibt alles anders?

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