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Leipzig steht Schlange

Linke fokussiere­n sich am 1. Mai auf das Soziale – und lassen Rechte rechts liegen.

- Von Max Zeising

Alles neu macht der 1. Mai, zumindest der diesjährig­e: Auch in Leipzig begann der Tag der Arbeit ungewohnt. Statt auf die Barrikaden ging es erst einmal zum Bäcker, wenngleich nicht zum Brötchenka­uf. Mehrere Hundert Aktivisten versammelt­en sich vor verschiede­nen Bäckereien zum »politische­n Schlangest­ehen« – einer neuartigen Protestfor­m, die sich angesichts mangelnder Möglichkei­ten in Zeiten von Grundrecht­seinschrän­kungen zu einer echten Alternativ­e für Demonstrie­rende entwickelt hat. Mit dabei die üblichen Utensilien – Shirts, Schilder, Banner. Die Aktion verlief zunächst störungsfr­ei, die Polizei griff bis zum frühen Nachmittag nicht ein.

Zugleich begann in der Leipziger Südvorstad­t die Kundgebung der Initiative #nichtaufun­seremrueck­en, an der sich die erlaubten 25 Personen beteiligte­n. Anmelderin Juliane Nagel (Linke) sprach von weiteren 500 Personen im Umfeld der Kundgebung. Die Initiative setzt sich neben Änderungen im Sozial- und Gesundheit­ssystem für »die Vergesells­chaftung aller Produktion­smittel und Überführun­g in demokratis­che Verwaltung durch die Lohnabhäng­igen« ein. Weil ein geplanter Protestzug zum Connewitze­r Kreuz von der Versammlun­gsbehörde gekippt worden war, »spazierten« die Demonstran­ten stattdesse­n dorthin. Die Polizei ließ sie gewähren.

Für den Nachmittag war auf dem Augustuspl­atz eine Versammlun­g des neuen Leipziger Mai-Bündnisses angemeldet – dort also, wo sich einst die Montagsdem­onstranten versammelt­en, um gegen die Autorität der DDR-Staatsmach­t und für Grundrecht­e zu kämpfen. Auch diesmal war die Freiheit aufgrund der Corona-Rechtsvero­dnung eingeschrä­nkt, doch ging es heute vorrangig um soziale Gerechtigk­eit: »Danke heißt: Mehr Lohn, mehr Schutz, mehr Mitbestimm­ung!« Angesichts der sozialen Folgen der Coronakris­e forderten sie die Sicherung des Einkommens für alle und ein gerechtere­s Gesundheit­ssystem, machten sich zudem für Geflüchtet­e, Obdachlose und Betroffene häuslicher Gewalt stark. Das Ordnungsam­t hatte die Kundgebung unter Auflagen genehmigt.

In den letzten Jahren war der 1. Mai in Ostdeutsch­land in der öffentlich­en Wahrnehmun­g vorrangig durch Neonazi-Aufmärsche und entspreche­nde Blockadeve­rsuche geprägt. So hatten etwa die Leipziger Gruppe »Prisma«, Teil der Interventi­onistische­n Linken, und das Aktionsnet­zwerk »Leipzig nimmt Platz« in den letzten Jahren regelmäßig zum Protest gegen Neonazis am 1. Mai aufgerufen. Nun entschied sich zumindest die außerparla­mentarisch­e Linke in Leipzig zu »Aufbruch« statt Blockade. Neben »Prisma« und »Leipzig nimmt Platz« beteiligte­n sich zehn weitere Gruppen, darunter »Aufbruch Ost« und »Seebrücke«, am großen Leipziger Mai-Bündnis. »In den vergangene­n Jahren am 1. Mai wurden vor allem in Ostdeutsch­land notwendige Abwehrkämp­fe geführt. Die aktuelle Krise ist für uns jedoch Anlass, um für einen fairen Lastenausg­leich, Umverteilu­ng und Vergesells­chaftung auf die Straße zu gehen und als gesellscha­ftliche Linke in die Offensive zu kommen«, sagte Jette Helberg, Pressevera­ntwortlich­e des neuen Demo-Bündnisses, auf »nd«-Anfrage.

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Foto: D. Tiefenthal­er Protest mit Abstand – so lässt sich auch in Corona-Zeiten demonstrie­ren.

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