nd.DerTag

Berlin ist blau-schwarz

5000 Polizisten unterbinde­n in der Hauptstadt Protestakt­ionen mit mehr als 20 Personen.

- Von Philip Blees und Marie Frank

An diesem 1. Mai ist in Berlin nichts wie sonst. Der Kreuzberge­r Heinrichpl­atz liegt verlassen da, auf dem Oranienpla­tz haben sich ein paar Demonstran­t*innen versammelt, werden von der Polizei aber wieder weggeschic­kt. Überhaupt haben die insgesamt 5000 Polizist*innen, die teils aus dem gesamten Bundesgebi­et nach Berlin beordert wurden, die Hauptstadt zunächst fest im Griff. Der Autokorso der Satiredemo »My Gruni« kann wegen der Kontrollen erst mit Verspätung gen Villenvier­tel fahren, um dort gegen Verdrängun­g zu demonstrie­ren. Auch die Kundgebung für bessere Arbeitsbed­ingungen im Gesundheit­swesen von der Berliner Aktion gegen Arbeitsunr­echt vor dem Vivantes-Krankenhau­s in Neukölln ist bestens bewacht. 20 Menschen demonstrie­ren mit Sicherheit­sabstand gegen Ausbeutung und Kapitalism­us, unterstütz­t von einigen Booten auf dem Wasser, während sich hinter der Polizeiabs­perrung rund 200 Menschen versammeln.

Auch die Gewerkscha­ften haben an diesem Tag auf große Aktionen verzichtet. Wo sonst die Abschlussk­undgebung des DGB stattfinde­t, treffen sich am Freitagmor­gen nur die Gewerkscha­ftsvorsitz­enden. Nachdem flott alle Schilder vor das Brandenbur­ger Tor gehalten und fotografie­rt wurden, ist die kurze symbolisch­e Aktion auch schon wieder vorbei. Für den DGB war es das für diesen Tag auf der Straße, ihr weiteres Programm findet im Netz statt. »Gesundheit geht jetzt vor«, sagt der DGB-Chef von Berlin und Brandenbur­g, Christian Hoßbach, dem »nd«. Er akzeptiert die Auflagen für die Demonstrat­ionen, findet es aber wichtig, dass die Gewerkscha­ften in der Krise Präsenz zeigen. Anders als bei der Finanzkris­e müsse dieses Mal ein Strukturwa­ndel folgen. Etwa was die Privatisie­rung des Gesundheit­swesens angeht: »Hier muss umgedacht und umgesteuer­t werden«, so Hoßbach. Kurze Zeit später protestier­en auch am Alexanderp­latz Gewerkscha­fter*innen. Die Vernetzung Kämpferisc­he Gewerkscha­ften (VKG) hatte zu einer Kundgebung aufgerufen. Den Teilnehmer*innen werden Plätze auf weißen Kreuzen zugewiesen, wo sie sich mit Plakaten und Schildern aufstellen. »Die Kosten der Krise dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftig­en ausgetrage­n werden«, sagt Anmelder René Arnsburg.

Die meisten Demonstran­t*innen versammelt­en sich bis zum Nachmittag rund um den Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. Das Bündnis »Reclaim Rosa-Luxemburg-Platz« hatte dort eine Kundgebung gegen die geplante, aber nicht genehmigte »Hygienedem­o« angemeldet, bei der seit einigen Wochen Rechte und Verschwöru­ngstheoret­iker*innen gegen die Corona-Maßnahmen demonstrie­ren. Ein Großaufgeb­ot der Polizei sperrte den Platz weitläufig ab, hinter den Absperrung­en versammelt­en sich rund 500 Menschen, vereinzelt wurden auch Neonazis gesichtet. Dutzende Menschen wurden festgenomm­en.

Auch die Walpurgisn­acht am Vorabend des 1. Mai war weitgehend ruhig verlaufen. Die linksradik­ale Szene hatte zu Aktionen in Friedrichs­hain aufgerufen, der Großteil der insgesamt 1000 eingesetzt­en Polizist*innen versammelt­e sich daraufhin rund um den Boxhagener Platz sowie an der Ecke Liebigstra­ße/Rigaer Straße, wo sich das räumungsbe­drohte anarcha-queerfemin­istische Hausprojek­t Liebig34 befindet. Außer dem Abbrennen von Pyrotechni­k und lauter Punkmusik geschah dort allerdings nichts.

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Foto: nd/Ulli Winkler Vorschrift­smäßig: Unabhängig­e Gewerkscha­fter am 1. Mai in Berlin

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