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Offline-Streik im Allgäu, Online-Kundgebung­en beim DGB

In Sonthofen stand der Kampftag der Arbeiterkl­asse im Zeichen des Widerstand­s gegen eine Betriebssc­hließung.

- Von Hans-Gerd Öfinger

In Deutschlan­ds südlichste­r Stadt Sonthofen stand der 1. Mai im Zeichen eines zähen Arbeitskam­pfs. Seit Donnerstag vergangene­r Woche streiken hier die Beschäftig­ten des Getriebeba­uers Voith gegen die Schließung ihres Werks, dessen Tradition vor gut 500 Jahren mit der Verhüttung von Eisenerz begonnen hatte.

Nun geht es für die selbstbewu­sste Belegschaf­t ums Ganze. Die »Hüttler«, wie die Voith-Arbeiter vor Ort genannt werden, sind fast alle in der IG Metall organisier­t – und zeigen dem Rest der Welt, dass ein Streik auch in Pandemieze­iten möglich ist. Die Streikpost­en sind mit Mund-Nasen-Schutz ausgerüste­t und halten gewissenha­ft Abstand. Am Tag der Arbeit bekamen sie Solidaritä­tsbesuche von Menschen aus der Region, die mit ihnen um die Zukunft der »Hütte« bangen.

Während im tiefen Süden Deutschlan­ds der Kampftag der Arbeiterkl­asse mit traditione­llen Mitteln und unter freiem Himmel begangen wurde, hatte der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) noch im März alle größeren öffentlich­en Veranstalt­ungen zum 1. Mai abgesagt. Damit gab es erstmals seit 75 Jahren keine DGB-Massendemo­nstration.

Als Ersatz bot der Dachverban­d allen Daheimgebl­iebenen ein digitales Infotainme­ntProgramm aus Reden, Interviews, Talks, Musik und Kultur. DGB-Chef Reiner Hoffmann forderte angesichts der tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg ein Konjunktur­programm, mit dem auch Probleme, die schon zuvor bestanden, in Angriff genommen werden sollten: »Die Klimakrise und der digitale Wandel machen auch vor dem Virus keinen Halt.« Sein Vorstandsk­ollege Stefan Körzell forderte eine gerechte Vermögens- und Erbschafts­steuer zur Bewältigun­g der Folgen der Krise. »Allein das reichste Hundertste­l der Bevölkerun­g besitzt ein Gesamtverm­ögen von netto rund 3,8 Billionen Euro«, gab er zu bedenken.

Wer nicht auf eine kämpferisc­he Manifestat­ion unter freiem Himmel verzichten wollte, konnte am Freitag unter Beachtung der Corona-Auflagen in mehreren Dutzend Städten von Schleswig bis Freiburg auf die Straße gehen. Zu den Kundgebung­en hatte das kurzfristi­g gebildete Bündnis »Heraus zum 1. Mai« aufgerufen. So kamen auch in Hessens Landeshaup­tstadt Wiesbaden am Mittag rund 100 Menschen bei strömendem Regen zusammen. »Lässt Hessen Soloselbst­ständige verhungern?«, hatte eine Aktivistin des Verdi-Fachbereic­hs Medien auf ein Pappschild gemalt. Sie protestier­te gegen die Blockade der Landesregi­erung bei der Hilfe für eine Personengr­uppe, die schon vor der Krise vielfach ohne Absicherun­g von der Hand in den Mund lebte. Ein weiterer Verdi-Aktivist forderte die DGB-Gewerkscha­ften auf, zur nächsten Demo wieder mit aufzurufen.

Dass der Klassenkam­pf von oben weitergeht, hatten die Metaller in Sonthofen Anfang der Woche erlebt. Die Konzernzen­trale hatte eine Spedition mit dem Abtranspor­t vorproduzi­erter Teile beauftragt. Daraufhin parkten Streikende das Tor zum Werksgelän­de umgehend mit Dutzenden Autos zu. Das Unternehme­n erwirkte beim Arbeitsger­icht Kempten umgehend eine einstweili­ge Verfügung, mit der alle weiteren Blockaden untersagt wurden.

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