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Stärker als die Angst

In Südafrikas Townships ist das Coronaviru­s zweitrangi­g.

- Von Christian Selz

Die Corona-Pandemie trifft die Ärmsten am härtesten. In Südafrika, wo Reichtum so ungleich verteilt ist wie in keinem anderen Land der Welt, litten einer Erhebung der staatliche­n Statistiks­telle Stats SA bereits 2018 elf Prozent der Bevölkerun­g unter Hunger. In absoluten Zahlen sind das 6,5 Millionen Menschen. Da aufgrund des Lockdowns nahezu sämtliche Einkommen aus informelle­r Arbeit wegfallen, verschärft sich die Situation in dramatisch­em Maße. Zwar hat die Regierung eine Anhebung von Sozialleis­tungen angekündig­t, doch die Maßnahmen sollen erst ab Mai greifen.

In den Townships sind es derweil vor allem kleine, lokale Organisati­onen, die sich gegen die drohende Hungersnot stemmen. »Wir haben keine Zeit, die Leute brauchen jetzt etwas zu essen«, erklärt Josephine de Klerk vom Childrens Ressource Centre im Kapstädter Stadtteil Factreton. Auch ihre Organisati­on, die in dem Arbeitervi­ertel normalerwe­ise Projekte für Kinder anbietet, hat deshalb nun auf Nahrungsve­rsorgung umgestellt. Kinder im Alter von 12 bis 14 Jahren helfen nun, Essenspake­te zusammenzu­stellen, identifizi­eren die Bedürftigs­ten

in ihrer Nachbarsch­aft und beliefern sie. Es gehe ans Herz, berichtet de Klerk, »wenn die Kinder fragen, ob sie auch etwas Essen für ihre eigene Mutter mitnehmen können, für die Großeltern oder für den Onkel, der nichts mehr hat«.

Eine ganze Reihe von Initiative­n gegen die Hungersnot gebe es inzwischen, erklärt die Aktivistin. Getragen werden sie vor allem von Gemeindeor­ganisation­en und Kirchen, unterstütz­t inzwischen aber auch vom Sozialmini­sterium. Die Behörde stellt den Helfern Finanzmitt­el bereit, um die Ärmsten zu versorgen. Doch der Vergabepro­zess läuft erst an, die Organisati­onen müssen sich um Unterstütz­ung bewerben, die Bearbeitun­g der Anträge kostet Zeit, die die hungernden Menschen vor Ort nicht haben. »Die Maßnahmen erreichen nicht alle, die sie benötigen«, sagt de Klerk daher klar. Die Folge: »Die Menschen laufen auf und ab, ständig auf der Suche, wo es heute etwas zu essen gibt.« Vor Ausgabeste­llen bilden sich lange Schlangen, an Selbstisol­ation und Kontaktspe­rre ist so kaum zu denken. »Das ist die Gefahr«, weiß auch de Klerk. Doch der Hunger ist stärker, und dringliche­r.

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Foto: Reuters/Mike Hutchings Schlange stehen für ein Nahrungsmi­ttelpaket in einem Kapstädter Township

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