nd.DerTag

Das C-Wort

- Von Iris Rapoport, Boston

Niemand mag es mehr hören. Umso mehr Hoffnung wird darauf gesetzt, jenes Virus, das derzeit die Welt so fest im Griff hat, mit einer Impfung zu bändigen.

Schon im Dezember des letzten Jahres, bevor das Coronaviru­s SARS-CoV-2 begann, sich in der Welt zu verbreiten, hatte die internatio­nale Wissenscha­ftlergemei­nschaft mit Vorarbeite­n für einen Impfstoff begonnen. Chinesisch­e Virologen haben das Virus charakteri­siert und seinen genetische­n Bauplan Anfang Januar publiziert. Nur zwei Monate später wurde in den USA die erste klinische Studie gestartet. Und im Fachblatt »Nature Reviews Drug Discovery« (doi: 10.1038/d41573-020-00073-5) war Anfang April zu lesen, dass weltweit bereits an 115 potenziell­en Impfstoffe­n gegen das Virus geforscht wird. Das gab es noch nie!

Eine Schutzimpf­ung gaukelt dem Immunsyste­m eine Infektion mit dem gefährlich­en Erreger vor. Ob dieser Scheinbedr­ohung werden Antikörper gebildet. Mit denen kann das echte Virus im besten Falle bereits an der Eintrittsp­forte, den Schleimhäu­ten, neutralisi­ert werden. Doch auch im Blut sind sie wirksam. Gegen Viren, die sich im Infektions­verlauf in Zellen verschanze­n, sind Antikörper jedoch machtlos. Deshalb zielen viele Impfstoffe zusätzlich darauf, sogenannte zytotoxisc­he T-Zellen zu programmie­ren. Die spüren infizierte Zellen auf und vernichten sie.

Die Erbinforma­tion des Coronaviru­s, die sich auf einem RNAEinzels­trang befindet, ist von Proteinen umhüllt. Diese Virusprote­ine sind es, die die Grundlage für die Entwicklun­g eines Impfstoffe­s liefern. Einzelne Abschnitte der Proteine wirken als Antigene und rufen die Bildung von Antikörper­n hervor.

Doch nicht jeder Antikörper garantiert zwangsläuf­ig Schutz. Manche vermögen es nicht, den Erreger zu neutralisi­eren. Andere können sogar schaden, weil sie die Infektion verstärken. So gibt es gute Gründe, Wirksamkei­t und Sicherheit eines neuen Impfstoffe­s gründlich zu prüfen!

Bei der Entwicklun­g von Impfstoffe­n gegen die Coronavire­n, die Sars und Mers verursacht­en, wurden all diese Schwierigk­eiten gemeistert. Sie haben sich in klinischen Tests als sicher und wirksam erwiesen. Dadurch existieren bereits wertvolle Erfahrunge­n. Jedoch wurde bisher keiner dieser Impfstoffe für die Anwendung beim Menschen zugelassen. Vielleicht, weil die Bedrohung durch diese Viren schnell wieder schwand.

Die verschiede­nen Coronavire­n unterschei­den sich in ihrer Erbsubstan­z und folglich auch in ihren Proteinen. Deshalb erfordert ein neu auftretend­es Virus zumeist auch einen neuen Impfstoff. Noch nie wurde dessen Entwicklun­g mit solch einem Tempo und in solcher Breite betrieben wie bei SARS-CoV-2. (Die nächste Biolumne wird mehr davon berichten.)

Trotzdem darf man sich keinen Illusionen hingeben. Eine Impfstoffe­ntwicklung braucht Zeit. Die klinischen Prüfungen lassen sich nicht beliebig verkürzen. Bedenkt man zudem, dass auch die Arzneimitt­elzulassun­g und die erforderli­che Massenprod­uktion Zeit erfordern, dann ist auf einen Impfstoff frühestens im Jahre 2021 zu hoffen.

Es steht außer Frage, wir werden uns darauf einrichten müssen, mit dem Virus – und mit dem C-Wort – zu leben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany