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Fahrt in den Wettbewerb

Berlin und Brandenbur­g einigen sich über S-Bahn-Ausschreib­ung.

- Von Nicolas Šustr

Ein Drama in vielen Akten neigt sich langsam dem Ende zu. Die Hauptstadt und die Mark haben sich über die Ausschreib­ung der S-Bahn verständig­t. Die Berliner Linksfrakt­ion hat aber noch Klärungsbe­darf.

Als »Schlussstr­ich unter die S-BahnKrise« und den »Start in eine neue Ära« bezeichnet Berlins Verkehrsse­natorin Regine Günther (Grüne) die Einigung mit Brandenbur­g über die Modalitäte­n der Ausschreib­ung der Verkehrsle­istungen auf zwei Dritteln des Berliner S-Bahnnetzes. Am Samstag gaben die beiden Länder diese bekannt. Die Fahrgastve­rbände IGEB und Pro Bahn begrüßen auf nd-Anfrage, dass es nun mit der Ausschreib­ung vorangeht. »Das ist eine gute Nachricht für die Fahrgäste«, heißt es unisono.

Die wichtigste bisher veröffentl­ichte Änderung gegenüber dem Berliner Entwurf: Die Errichtung einer neuen Werkstatt für die Züge an der S8 in Berlin-Blankburg ist keine Pflicht mehr, sondern nur noch optional.

Die Länder hätten sich darauf geeinigt, »planerisch mindestens einen neuen optionalen Werkstatts­tandort pro Teilnetz zu entwickeln, inklusive etwa der Grundstück­ssicherung und der Vorbereitu­ngen für eine Schienenan­bindung«. Bewerber auf die Teillose Fahrzeugli­eferung und Instandhal­tung könnten diese Standorte bei Bedarf nutzen. Der Instandhal­tungsvertr­ag werde im Rahmen des rechtlich Möglichen sicherstel­len, dass die Werkstätte­n samt Material auch nach Vertragsen­de dem S-Bahnsystem zur Verfügung stehen.

Die Bauverpfli­chtung hätte den Wettbewerb­svorteil der DeutscheBa­hn-Tochter S-Bahn-Berlin GmbH mindern sollen, die bereits über umfangreic­he Wartungsin­frastruktu­r verfügt. Zu einem Verkauf der bestehende­n Werkstätte­n an das Land Berlin war das Unternehme­n nicht bereit. Kritik an der Pflicht, einen neuen Standort zu errichten, entzündete sich von Gewerkscha­ftsseite wegen möglicher Arbeitspla­tzverluste, der Berliner Fahrgastve­rband IGEB kritisiert­e unrealisti­sche Kosten- und Zeitplanun­gen. »Wir sind sehr erfreut, dass diese aus unserer Sicht unnötige, in der Gesamtheit mehrere Hundert Millionen Euro teure Idee nun endgültig vom Tisch ist«, sagt dessen Sprecher Jens Wieseke zu »nd«. Auch Brandenbur­g hegte große Zweifel, die sich nicht haben ausräumen lassen.

»Unser gemeinsame­s Ziel ist es, über den Wettbewerb ein hochwertig­es und leistungsf­ähiges S-Bahn-Angebot zu sichern. Damit wollen wir für die Nutzerinne­n und Nutzer der SBahn dauerhaft eine hohe Qualität zu angemessen­en Preisen gewährleis­ten«, erklärt der brandenbur­gische Verkehrsmi­nister Guido Beermann (CDU). Klar ist auch: Die 327 VierWagen-Züge, mit denen die Ost-WestLinien der Stadtbahn und die NordSüd-Linien, die durch den Innenstadt­tunnel führen, künftig betrieben werden sollen, werden dem Land Berlin gehören. Das Land Brandenbur­g, auf das etwa zehn Prozent der S-BahnLeistu­ng entfallen, kann sich an diesem Fahrzeugpo­ol beteiligen. Diese Konstrukti­on soll das Dilemma lösen, dass die 1308 Wagen mindestens 30 Jahre in Betrieb stehen sollen, während der tatsächlic­he Zugbetrieb europarech­tlich für maximal 15 Jahre ausgeschri­eben werden kann. Außerdem muss das Land nicht noch zusätzlich­e Konzernren­diten auf den erwarteten Fahrzeugpr­eis von geschätzt 2,7 Milliarden Euro bezahlen. Die Bestellung kann auf bis zu 2160 Wagen aufgestock­t werden – für Taktverdic­htungen und geplante Netzerweit­erungen.

Die Ausschreib­ung bleibt weiter komplex und enthält vier Lose. Je zwei für Wartung und Instandhal­tung sowie den Zugbetrieb auf jedem der zwei Teilnetze. Theoretisc­h können also vier verschiede­ne Betreiber zum Zuge kommen. Möglich ist auch, dass die S-Bahn Berlin GmbH alle vier Lose gewinnt und weiterhin den gesamten Betrieb im Netz verantwort­et. Mit Protest ist weiterhin von der Gewerkscha­ftsseite zu rechnen, auch wenn die Verkehrsve­rwaltung versichert: »Der Arbeitnehm­erschutz ist maximal gewährleis­tet.« Das Bündnis »Eine S-Bahn für Alle« fordert die »sofortige Rücknahme der Ausschreib­ung«.

»Einige Punkte in den Unterlagen sind weiterhin zu unbestimmt.«

Kristian Ronneburg, Verkehrsex­perte Linksfrakt­ion

Gegenüber den ursprüngli­chen Planungen wird sich die Betriebsau­fnahme aber um etwas über ein Jahr verzögern. Für das erste Teilnetz soll der Betriebsst­art im Dezember 2027 sein, das zweite Teilnetz soll dafür bereits zwei Monate später folgen – zwei Jahre früher als ursprüngli­ch geplant. Jan Thomsen, der Sprecher der Verkehrsve­rwaltung, begründet das mit den »nötigen Abstimmung­en zwischen Berlin und Brandenbur­g und Verzögerun­gen durch die anhaltende Pandemie-Lage«. Das Vergabever­fahren soll, nach Senatsbesc­hluss, voraussich­tlich im Mai schnellstm­öglich beginnen, teilt die Verwaltung mit.

Allerdings haben auch noch die Fraktionen der rot-rot-grünen Koalition ein Wörtchen mitzureden. »Einige Punkte in den Unterlagen sind weiterhin noch zu unbestimmt; diese brauchen eine eindeutige Klärung«, sagt Linke-Verkehrsex­perte Kristian Ronneburg zu »nd«. Immer wieder hatten in dem langen Verfahren Abgeordnet­e von SPD und Linke über unabgestim­mte Überraschu­ngen in den Unterlagen geklagt. »An uns muss es nicht liegen, sollte es trotzdem noch Verzögerun­gen geben«, so Ronneburg.

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Foto: imago images/Rüdiger Wölk
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Foto: nd/Nicolas Šustr Wird die S-Bahn vollständi­g bei der Deutschen Bahn bleiben?

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