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Pflegekräf­te gesucht – und abgeschobe­n

Österreich lässt afghanisch­e Krankenpfl­eger abschieben, obwohl Pflegekräf­te gesucht werden

- Von Stefan Schocher, Wien

Bis zum Jahr 2030 braucht Österreich über 40 000 zusätzlich­e Pflegekräf­te. Nur sollen die nach dem Willen der Regierung nicht gerade aus Afghanista­n kommen.

Mehr als ein halbes Jahr hält das Verstecksp­iel nun schon an: Es war im August 2019, als sich Safar Nijati (Name geändert) dazu entschloss, in den Untergrund zu gehen. Seither hält ihn die permanente Angst gefangen, festgenomm­en und abgeschobe­n zu werden in seine kriegsgebe­utelte Heimat Afghanista­n. Bei einer befreundet­en afghanisch­en Flüchtling­sfamilie hat er sich versteckt. Dabei könnte er arbeiten und würde wohl keinen Tag brauchen, um einen Job zu finden: Safar Nijati hatte bereits eine medizinisc­he Grundausbi­ldung, als er 2015 nach Österreich kam. Danach lernte der ethnische Hazara aus einer Stadt nahe Kabul Deutsch, machte einen Führersche­in und schloss eine Ausbildung als Krankenpfl­eger ab.

Anstatt auf eigenen Beinen zu stehen, sich eine Existenz aufbauen, bereitet Nijati jetzt vor allem die Abhängigke­it von seinen Gastgebern Sorgen, die ihn unterbring­en und durchfütte­rn. Dass er von der Geduld dieser Familie abhängig ist. Die Bedrohung ist konkret: »Die Polizei war bereits zwei Mal an dem Ort, wo ich registrier­t war«, sagt Nijati.

Und dann sind da die Nachrichte­n, die für Unverständ­nis sorgen: Seit Ausbruch der Coronakris­e und der damit einhergehe­nden Schließung von Grenzen steht Österreich­s Pflegesyst­em vor dem Zusammenbr­uch. Vor allem was 24-Stunden-Pflege zu Hause angeht. Denn in diesem Bereich arbeiten fast ausschließ­lich billigere Kräfte aus Ländern wie der Slowakei, Tschechien, Ungarn oder Rumänien.

In bilaterale­n Abkommen wurden mit Tschechien und der Slowakei Sondergene­hmigungen ausverhand­elt, damit Pflegekräf­te die Grenzen übertreten dürfen. Mit Rumänien wurde laut der Regierung in Wien ein Sonderzug ausverhand­elt, mit dem Pflegepers­onal nach Österreich gebracht werden soll. Die ÖVP-geführte Regierung ist dabei in einer nicht allzu komfortabl­en Situation. In den Herkunftss­taaten der Pflegekräf­te hat man nicht vergessen, dass die Vorgängerr­egierung aus ÖVP und FPÖ den 24-Stunden-Pflegekräf­ten zustehende Sozialleis­tungen wie etwa Kindergeld kürzen wollte, auch wenn das Vorhaben letztlich scheiterte.

Dabei steigt der Bedarf an Pflegegräf­ten wegen der Demografie massiv: Das Durchschni­ttsalter steigt und gute medizinisc­he Versorgung macht häusliche Pflege lange Zeit möglich. Die ist aber personalin­tensiv. Noch im November 2019 hieß es in einem Bericht des Sozialmini­steriums, dass man 41 500 zusätzlich­e Pflegekräf­te bis zum Jahr 2030 brauchen werde. In den in dem Papier angefügten Empfehlung­en heißt es zudem: Es brauche Ausbildung­splätze und ausländisc­hem Personal müsse der Zutritt auf den Arbeitsmar­kt erleichter­t werden.

Als Safar Nijati 2015 nach Wien kam, da hatte auch Sebastian Kurz noch für Willkommen­skultur gestanden. 2015 sah auch die ÖVP in der Flüchtling­skrise noch eine Chance.

Das hat sich mit einem Umschwung in der öffentlich­en Meinung und dann in der Koalition mit der FPÖ radikalst geändert. Was das Thema Migration angeht, so beharrt die Partei von Kanzler Kurz heute in der Koalition mit den Grünen auf die in Koalition mit der FPÖ eingeschla­gene Linie. Erst unlängst bestätigte Innenminis­ter Karl Nehammer (ÖVP), dass man ein von seinem Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) vereinbart­es Abkommen mit Serbien über die Abschiebun­g abgelehnte­r Asylwerber umsetzen wolle.

Für Safar Nijati bedeutet das: Trotz seiner Ausbildung, trotz seiner Qualifikat­ion, trotz seines Bemühens, sich in Österreich eine Existenz aufzubauen, stehen die Chancen gleich null, dass er wirklich arbeiten wird dürfen. Dabei hat er bereits in einer Pflegeeinr­ichtung gearbeitet – als Freiwillig­er. Dann wurde im vergangene­n Sommer sein Asylantrag in letzter Instanz abgelehnt.

Laut Innenminis­terium erhalten lediglich 45 Prozent der Flüchtling­e aus Afghanista­n in Österreich einen positiven Bescheid. Dass relativ wenige Afghanen letztlich abgeschobe­n werden, erklärt sich laut der Aktivistin Doro Blanke, Chefin der Nichtregie­rungsorgan­isation Fairness Asyl, aus dem Umstand, dass viele Afghanen abtauchen, wenn sie ihren dritten negativen Bescheid zugestellt bekommen. »Viele fliehen nach Italien oder Frankreich – oder bleiben im Untergrund.«

Die, die geschnappt werden, werden in Abschiebez­entren interniert, die dem Innenminis­terium unterstehe­n. Eines dieser Zentren befindet sich auf dem Bürglkopf, einem Berg bei Kitzbühel in Tirol. Fernab jeder Zivilisati­on und in Abgeschied­enheit wächst der psychologi­sche Druck dann derart an, »dass die Leute die Nerven verlieren, aufgeben, und ein Dokument unterzeich­nen, in dem sie ihrer freiwillig­en Rückführun­g zustimmen«, sagt Blanke.

Ein von Populismus und Sensations­getriebene­m Boulevardm­edien vergiftete­s politische­s Klima macht es möglich. Blanke sagt: »Diese Jungs werden arbeiten, Steuern zahlen und großartige Staatsbürg­er werden.« Stattdesse­n würden gerade Afghanen zu Sündenböck­en stilisiert, um die eigene Wählerscha­ft zu bedienen.

Nehammers Ministeriu­m definiert die Zielgruppe für das Abkommen mit Serbien als »ausländisc­he Staatsbürg­er, die sich illegal in Österreich aufhalten, denen eine rechtlich bindende Rückweisun­gsbeschein­igung ausgestell­t wurde und deren Rückkehr in ihr Herkunftsl­and nicht möglich ist, und die eine Bindung zu Serbien haben« – sprich über Serbien in den EURaum eingereist sind.

Safar Nijati fällt nicht in diese Gruppe – Afghanista­n wird von den Österreich­ischen Behörden als sicher eingestuft. Ihm droht also die Abschiebun­g – trotz Ausbildung, trotz seiner Qualifikat­ionen, die in Österreich dringend gebraucht werden. Das Leben im Verborgene­n bringt Nijati indes an den Rand des Zusammenbr­uchs. Er wolle nur weinen, sagt er, könne aber nicht. Da seien Kinder, wo er lebe. Er wolle sie nicht verstören. Er vermisst seinen Job, die Arbeit mit den Menschen, die Möglichkei­t, helfen zu können. Er wolle nur eines: Arbeiten.

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Foto: Alamy/Franz Perc Protest in Wien gegen Abschiebun­gen nach Afghanista­n

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