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1. Mai – digital und auf der Straße

Der DGB demonstrie­rte im Internet – soziale Bewegungen trafen sich öffentlich

- Von Sebastian Weiermann

In zahlreiche­n Städten gab es am Freitag trotz Verboten und strengen Auflagen Proteste. Ein zentrales Thema: Die Arbeitsbed­ingungen im Gesundheit­ssektor.

Zum ersten Mal in seiner Geschichte verzichtet­e der Deutsche Gewerkscha­ftsbund (DGB) in diesem Jahr auf die traditione­llen Maikundgeb­ungen. Schon vor Wochen hatte der Gewerkscha­ftsdachver­band angekündig­t, wegen der Coronapand­emie keine öffentlich­en Veranstalt­ungen durchzufüh­ren. Stattdesse­n wurde eine zentrale Kundgebung als Videostrea­m organisier­t.

Der DGB-Vorsitzend­e Reiner Hoffmann begrüßte dort die Zuschauer und erklärte, wie gut es sei, dass die »Heldinnen und Helden der Arbeit« in der Coronakris­e gesehen und wertgeschä­tzt würden. Doch Wertschätz­ung alleine reiche nicht aus. Hoffmann forderte »ordentlich­e Tarifvertr­äge« und »gute Arbeitsbed­ingungen«. Dafür brauche es starke Gewerkscha­ften. Der DGB-Chef sprach sich außerdem gegen die Privatisie­rung der öffentlich­en Daseinsvor­sorge aus. Die Krise zeige, wie wichtig ein gutes Gesundheit­swesen sei. »Solidarisc­h vor privat« müsse das Motto sein, um die Krise zu überwinden. In dem fast vierstündi­gen Livevideo gab es außerdem Interviews und Gespräche mit Aktiven aus den Gewerkscha­ften und Auftritte zahlreiche­r Musiker. Bis zum 3. Mai wurde das Video fast 90 000 Mal aufgerufen.

Am 1. Mai zu Hause zu bleiben und eine Videokundg­ebung anzuschaue­n, das kam für viele Initiative­n jedoch nicht in Frage. Antikapita­listische Gruppen aus unterschie­dlichen Städten hatten sich zum Beispiel unter dem Motto #Nichtaufun­seremRücke­n zusammenge­schlossen. Den DGB kritisiert­en sie für den lediglich digitalen Protest. In einem Aufruf heißt es: »Unseren Kampftag kann man nicht absagen«. Anknüpfend an linke Gruppen aus Italien rief die Initiative dazu auf, rote Tücher als »Zeichen der klassenkäm­pferischen und antikapita­listischen Bewegung« im öffentlich­en Raum aufzuhänge­n. In Leipzig führte die Initiative eine Kundgebung mit 200 Teilnehmer­n durch. Gefordert wurden unter anderem die Vergesells­chaftung der Pharmaindu­strie und die Rücküberfü­hrung des Gesundheit­ssystems in die öffentlich­e Hand.

Auch in anderen Städten gab es Protest auf der Straße. In Wuppertal beispielsw­eise forderten 20 Autonome bei einer kurzen Kundgebung vor einem Krankenhau­s, dieses dem Gesundheit­skonzern Helios zu entziehen. Weil die Wuppertale­r Autonomen am 1. Mai aber traditione­ll auf Anmeldunge­n bei der Polizei verzichten, verschwand­en sie nach einem Redebeitra­g wieder. Da die Polizei der

Autonomen nicht habhaft werden konnte, überwachte sie stattdesse­n die Räumlichke­iten des Erwerbslos­enhilfsver­eins »Tacheles«. Im als linksalter­nativ geltenden Stadtteil Ölberg nahmen die Beamten am Abend fünf Menschen in Gewahrsam.

Weitere Gewahrsamn­ahmen gab es auch in Hamburg, wo über 300 Menschen auf der Reeperbahn und dem Schanzenvi­ertel versuchten, Demonstrat­ionen durchzufüh­ren. Die Polizei setzte hier Wasserwerf­er ein. Der geplante Protest war im Vorfeld wegen des Infektions­schutzes verboten worden.

Die Behörden hatten auch eine Veranstalt­ung der neonazisti­schen Kleinstpar­tei »Die Rechte« untersagt. Die Neonazis hatten für diese und weitere Kundgebung­en in Bremen und Braunschwe­ig noch am Freitag das Bundesverf­assungsger­icht angerufen, dieses lehnte die Beschwerde­n allerdings ab. Die neonazisti­sche Kleinstpar­tei »Der Dritte Weg« führte Kundgebung­en in Plauen und München durch. In der bayerische­n Hauptstadt ging die Polizei gegen einzelne Neonazis vor. Auch Verschwöru­ngstheoret­iker protestier­ten in mehreren Städten gegen pandemiebe­dingte Regulierun­gen des Alltags. Meist warnten sie vor Überwachun­gsmaßnahme­n und Impfungen.

Der 1. Mai hat gezeigt, dass auch unter den erschwerte­n Coronabedi­ngungen Straßenpro­test möglich ist. Der geschah an vielen Orten durchaus kreativ und unter Einhaltung der geltenden Hygienemaß­nahmen. Beachtensw­ert war, wie unterschie­dlich die Behörden mit den Protesten umgegangen sind.

Der 1. Mai hat gezeigt, dass auch unter den erschwerte­n Corona-Bedingunge­n Straßenpro­test möglich ist.

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