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Vermutete Kritiker ausspionie­rt

Kolumbiani­sches Militär sammelte Informatio­nen über rund 130 Journalist­en, Politiker und NGO-Vertreter

- Von David Graaff, Medellín

Den Aktionen lagen weder richterlic­he Anordnunge­n zugrunde, noch sind ihr Zweck und Ziel bekannt. Ziel sei gewesen, das Image des kolumbiani­schen Militärs sauber zu halten.

Das kolumbiani­sche Militär hat laut einem Medienberi­cht systematis­ch Personen aus Politik, Medien und Zivilgesel­lschaft bespitzelt. Wie die Wochenzeit­schrift »Semana« in ihrer aktuellen Ausgabe berichtet, haben Einheiten des Militärgeh­eimdienste­s ein Jahr lang umfassende Informatio­nen über 130 Journalist­en, Mitarbeite­rn von Nichtregie­rungsorgan­isationen, Opposition­spolitiker, hochrangig­en Militärang­ehörigen und selbst einen ehemaligen engen Mitarbeite­r von Präsident Iván Duque zusammenge­tragen. Sie erstellten Bewegungsp­rofile, sammelten Kontaktdat­en, Telefonnum­mern und Adressen bis hin zu Bußgeldbes­cheiden, berichtet »Semana« unter Berufung auf ihr vorliegend­e Dokumente und Aussagen von Whistleblo­wern.

Die Operatione­n seien mit technische­m Gerät und Software durchgefüh­rt worden, die unter anderem mit Geldern der US-Militärhil­fe erworben waren. Washington ist seit mehr als zwei Jahrzehnte­n ein enger Partner des kolumbiani­schen Militärs und unterstütz­t dessen Kampf gegen Drogenanba­u und illegale bewaffnete Gruppen derzeit mit jährlich rund 220 Millionen US-Dollar.

Den Aktionen lagen weder richterlic­hen Anordnunge­n zugrunde, noch sind ihr Zweck und Ziel bekannt. Doch wie aus der Auswahl der Bespitzelt­en und dem zusammenge­stellten Material deutlich wird, standen vor allem jene im Fokus, die kritisch über die Regierung und das Militär berichtet hatten oder für ihre Arbeit Kontakt zu Guerillagr­uppen und der politische­n Opposition aufgenomme­n hatten. So gehörten die für Kritik am Militär bekannte Menschenre­chtsorgani­sation Human Rights Watch und das Anwaltskol­lektiv Cajar, als auch unabhängig­e Nachrichte­nportale von Nachwuchsj­ournaliste­n dazu wie renommiert­e Fotografen und Politikjou­rnalisten. Unter Letzteren befinden sich zahlreiche USJournali­sten, die unter anderem für die »New York Times«, der »Washington Post« und das »Time-Magazine« aus Kolumbien berichten.

Über Nick Casey, der ehemals für die Andenregio­n zuständige Reporter der »New York Times«, der vergangene­s Jahr über illegale Hinrichtun­gen von Zivilisten durch das Militär geschriebe­n hatte, wurde ein umfassende­s Organigram­m angelegt. »Wir sollten herausfind­en, mit wem er für seinen Artikel gesprochen hatte und Material finden, um zu versuchen, ihn und seine Zeitung zu diskrediti­eren«, zitiert »Semana« einen der Whistleblo­wer. Dieses Material sei dann an einen einflussre­ichen rechten Blogger weitergele­itet worden.

Die Reportage Caseys hatte für ein politische­s Erdbeben in Bogotá gesorgt und letztlich zum Rücktritt des damaligen Verteidigu­ngsministe­rs Guillermo Botero und zum Abdanken des Oberkomman­dierenden der Streitkräf­te General Nicacio Martínez beigetrage­n. Casey musste nach Anschuldig­ungen von prominente­n Politikern der Regierungs­partei Centro Democratic­o das Land verlassen.

Boteros Nachfolger Carlos Holmes Trujillo hatte bereits am Vortag der Veröffentl­ichung reagiert und die Entlassung von zehn Generälen und einem Offizier angekündig­t. Ein weiterer General, der die Geheimdien­stabteilun­g geleitet hatte, ersuchte um seine Entbindung vom Dienst.

Dass das kolumbiani­sche Militär unliebsame­n Kritikern hinterhers­pioniert, ist schon länger bekannt. Im vergangene­n Dezember enthüllten »Semana«-Recherchen, dass die Cyberspion­e in Uniform Richter des Obersten Gerichtsho­fs, Linkspolit­iker und Opposition­elle abgehört hatten. Auch die Mitarbeite­r der »Semana«Redaktion wurden überwacht, verfolgt und erhielten Morddrohun­gen. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt.

Alirio Uribe vom betroffene­n Anwaltskol­lektiv Cajar sagte dem »nd«, die Praxis der Bespitzelu­ng von regierungs­kritischen Personen erinnere ihn an das Vorgehen des mittlerwei­le aufgelöste­n Inlandsgeh­eimdienste­s DAS. Dieser hatte in der Amtszeit des rechten Präsidente­n Álvaro Uribe (2002 bis 2010), Parteifreu­nd und Ziehsohn des heutigen Staatschef­s Iván Duque, ähnliche Praktiken verfolgt. »Damals wurden dem Präsidente­npalast wöchentlic­h ein Bericht geliefert. Die Frage ist, wer diesmal den Befehl gegeben hat«, so der Jurist.

Verteidigu­ngsministe­r Carlos Holmes Trujillo hatte bereits am Vortag der Veröffentl­ichung reagiert und die Entlassung von zehn Generälen und einem Offizier angekündig­t.

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