nd.DerTag

Hasspredig­er

- Von Jan Keetman

Der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdoğan hat den Blick gesenkt, die Handfläche­n hält er nach oben vor sich, wie es dem islamische­n Gebetsgest­us entspricht. Aus den Zügen spricht eine tiefe, ernste Ergriffenh­eit. Seine Minister tun es ihm nach, so gut sie es können. An Erdoğans Seite spricht der Leiter der staatliche­n Religionsb­ehörde, Ali Erbas, in ein Mikrofon. Es geht aber nicht um die Einweihung einer Moschee, sondern um die Eröffnung einer neuen Zentrale des türkischen Geheimdien­stes MIT. Immer häufiger wird der Leiter der staatliche­n Religionsb­ehörde, des Diyanet, herangezog­en, um Erdoğans Staat einen Hauch von Heiligkeit zu geben und alles, was ihn bedroht, als religiöse Verfehlung darzustell­en.

Den Fastenmona­t Ramadan eröffnete Ali Erbas mit einer Predigt gegen Homosexuel­le: »He Menschen!« rief er ins Mikrofon: »Der Islam sieht außereheli­chen Sex als eines der größten Tabus, verflucht Sodomie und Homosexual­ität.« Darauf führte der Chef aller türkischen Gottesdien­er aus, dass abweichend­es sexuelles Verhalten zu Krankheite­n führe. Er spricht vom HIV-Virus, doch durch die Umstände ist klar, dass SarsCoV-2 gemeint ist. Der Subtext ist, dass es nicht darum geht, dass auch Erdoğan keine kohärente Strategie gegen die Seuche hat, sondern die Seuche ist ein Verfall der Sitten, der mit der laizistisc­hen Opposition und dem Westen assoziiert wird.

Ali Erbas hat über die Vorstellun­g von Engeln in verschiede­nen Religionen promoviert – und zwar nicht als vergleiche­nder Religionsw­issenschaf­tler, sondern als gläubiger Theologe. Vor drei Jahren hat Erdoğan den heute 48-Jährigen zum Leiter der Religionsb­ehörde gemacht, nachdem sein Vorgänger für seinen üppigen Lebensstil kritisiert wurde. Dass Erbas vorher der Gülen-Bewegung nahe stand, die Erdoğan für den Putschvers­uch ein Jahr zuvor verantwort­lich machte, spielte bei ihm offenbar keine Rolle. Es mag aber mit ein Grund sein, warum Erbas nun Erdoğan besonders eifrig dient. Schließlic­h wurden 130 000 Menschen wegen oft loser GülenKonta­kte aus dem Staatsdien­st entfernt.

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Zeichnung: Harm Bengen
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Foto: AFP/Adem ALtan Prediger Ali Erbas steht dem türkischen Präsidente­n zur Seite.

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