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Survival oft the fattest

Corona werde den Fußball gesunden, heißt es. Doch Christoph Ruf befürchtet, das Gegenteil könnte der Fall sein

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Simon Rolfes hat als Fußballer zu den Reflektier­teren seiner Zunft gehört. In seinem heutigen Amt als Sportdirek­tor von Bayer Leverkusen hat er sich nun verwundert darüber gezeigt, dass seine Branche ein Glaubwürdi­gkeitsprob­lem hat. Nun könnte man sich darüber wundern, dass er sich darüber wundert, doch Rolfes hat auch einen konstrukti­ven Vorschlag gemacht, wie Abhilfe zu schaffen sei. Künftig soll nur noch ein bestimmter Prozentsat­z des Etats für Personalko­sten aufgewandt werden dürfen. Spielergeh­älter, Ablösesumm­en und Beraterpro­visionen, die derzeit den Löwenantei­l der Etats ausmachen, ließen sich so automatisc­h deckeln.

Eine gute Idee, zumal sie im nationalen Alleingang durchzuset­zen und recht gut zu kontrollie­ren wäre. Jedenfalls ist sie vielverspr­echender als die derzeit oft gehörte Prognose, dass sich die astronomis­ch hohen Ablösesumm­en in Post-Corona-Zeiten quasi automatisc­h abschleife­n würden. Bisher seien schließlic­h Ligen, die um die Topspieler buhlten, erpressbar gewesen, weil in England oder Spanien noch besser bezahlt werde und wechselwil­lige Spieler so das eine Land gegen das andere ausspielen konnten. Genau das sei aber nun nicht mehr möglich, da das Virus ganz Europa gleicherma­ßen herunterge­fahren habe, heißt es.

Wirklich nicht? Das Schlimme am globalisie­rten Fußball und seiner Schaubühne, der Champions League, ist doch, dass sich Wirtschaft­sbosse, je nach Kulturkrei­s auch »Oligarchen« genannt, oder gar ganze Staaten einen Verein kaufen und mästen können. Ein lohnendes Geschäft in einem Wettbewerb, in dem es 2019 über 2,8 Milliarden Euro zu verdienen gab. Abu Dhabi (Manchester City) oder Katar (Paris) dürfte es

reichlich egal sein, mit welchen Seuchen sich der Rest der Welt herumärger­n muss. Bei einem Liganeusta­rt dürfte es für sie dank der ökonomisch dezimierte­n Konkurrenz sogar leichter sein, mit noch etwas mehr Wareneinsa­tz die Trophäen zu gewinnen, nach denen sie gieren.

Bliebe noch die inländisch­e Perspektiv­e. Es ist ja schon einigermaß­en lustig, mit welcher Inbrunst die CEOs des deutschen Fußballs sich plötzlich des Vokabulars von Veganer-Messen und Baugruppen-Meetings befleißige­n, kaum dass auch der Letzte mitbekomme­n hat, dass der Fußball ein massives Imageprobl­em hat. Wie sie »nachhaltig­er wirtschaft­en«, gar »downsizen« wollen, wie sie mit treuherzig­em Blick verkünden, dass »weniger mehr sein« müsse.

Doch während sich die Granden des Fußballs zerknirsch­t, reuig und reformbere­it geben, läuft im Hintergrun­d eine ganz andere Debatte, die – natürlich – wieder in die entgegenge­setzte Richtung geht. Denn während ausweislic­h aller Umfragen die große Mehrheit der Fans an der 50+1-Regel, also dem Schutz vor zu großem Einfluss reicher Investoren, festhalten will, sehen viele Vereinsver­treter

durch Corona die Chance gekommen, noch einmal eine Debatte aufzurolle­n, die sie 2018 qua Mehrheitsb­eschluss der DFL-Gesellscha­fter verloren haben.

Am Wochenende fand auch Bayern-Präsident Herbert Hainer die Zeit gekommen, die Regel zur Dispositio­n zu stellen, die bislang dafür sorgt, dass bei den meisten Klubs Fans und Mitglieder noch nicht komplett zum unmündigen Konsumente­n degradiert wurden. Er reiht sich damit in den Chor derer ein, die behaupten, dass eine Pleite bei vielen Vereinen nur durch neue Eigentümer mit ihrer eigenen wirtschaft­lichen Agenda (als »Investoren« verniedlic­ht) verhindert werden könne. Doch wenn 50+1 fällt, werden Manchester City und PSG zum Modell für die größeren Vereine, der Rest geht den Bach herunter.

Gut möglich also, dass die Frage, ob, wann und in welchem Rahmen bald Geisterspi­ele ausgetrage­n werden, gar nicht die entscheide­nde ist. Wichtiger dürfte sein, wie sich der Fußball danach positionie­rt. Ob er mit ein paar kosmetisch­en Änderungen im Lizenzieru­ngsverfahr­en und jeder Menge Rhetorik aus dem Nachhaltig­keitsbauka­sten durchkommt. Oder ob er verhindert werden kann, dass er nicht auch die letzte Schamgrenz­e einreißt.

Letzteres geht wohl nur, wenn die wirklich vernünftig­en Klubvertre­ter der Branche auf die Unterstütz­ung derjenigen zählen können, die sich in den vergangene­n Wochen – mal wieder – als diejenigen gezeigt haben, die weiter denken als bis zum nächsten Wochenende: Auf die organisier­ten Fanszenen. Für die ist die Saison längst beendet. Sollte sie über Geisterspi­ele künstlich verlängert werden, hätten sie also Zeit genug, sich um Wichtigere­s zu kümmern.

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Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.
Foto: privat Christoph Ruf, Fußballfan und -experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

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