Weil sie Menschen liebt
Eva Kreienkamp wird ab Oktober neue Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe
Die neue BVG-Chefin kommt aus Mainz. Von einem Unternehmen mit 850 Beschäftigten wechselt sie zu einem Koloss mit knapp 15 000 Mitarbeitern. Mit Menschen kann sie allerdings ziemlich gut. »Ich bedauere es sehr, dass Eva Kreienkamp Mainz verlassen wird«, sagt Martin Mendel, Vorsitzender des Fahrgastverbands Pro Bahn Rheinland-Pfalz/Saarland, zu »nd«. Die bisherige Co-Geschäftsführerin des kommunalen Verkehrsbetriebs Mainzer Mobilität wird am 1. Oktober ihr Amt als neue Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) antreten. Das hat deren Aufsichtsrat am Mittwoch beschlossen. Sie folgt damit auf die bisherige Vorstandsvorsitzende Sigrid Nikutta, die nach etwas über neun Jahren zum Jahreswechsel an die Spitze der Gütertochter DB Cargo der Deutschen Bahn wechselte.
»Mit Eva Kreienkamp konnten wir eine ausgewiesene Fachfrau für den Vorstandsvorsitz der BVG gewinnen. Ich bin überzeugt, dass sie gemeinsam mit Rolf Erfurt und Dirk Schulte sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Erfolgsgeschichte der BVG weiterführen wird«, erklärte die BVG-Aufsichtsratsvorsitzende, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne), nach der Wahl.
Die 57-jährige studierte Mathematikerin wurde im rheinland-pfälzischen Waldbreitbach geboren. Zehn Jahre ihres Berufslebens war sie in Leitungspositionen beim Versicherungskonzern Allianz tätig. In die Verkehrsbranche stieg sie 2009 ein als
Geschäftsführerin des Betreibers des letztlich gescheiterten privaten Fernzugs Hamburg-Köln-Express. Nach fünf Jahren verließ sie das Unternehmen, als deren Leiterin sie mehrfach öffentlich Ankündigungen machte, die nie eintrafen.
In ihrer Karriere engagierte sie sich für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und sexuelle Minderheiten. Sie war unter anderem Mitbegründerin der Wirtschaftsweiber, laut Selbstbeschreibung, einem »Netzwerk für erfolgreiche lesbische Frauen«.
Seit Mai 2015 ist Kreienkamp CoGeschäftführerin der Mainzer Verkehrsbetriebe, zuständig für die Bereiche Fahrpersonal, kaufmännischen Funktionen, Digitalisierung und Infrastrukturprojekte.
Beobachter führen ihre Bestellung auf Betreiben der Mainzer Verkehrsdezernentin der Grünen zurück. Sie sollte wohl ein Kontrapunkt zum seit 2002 an der Unternehmensspitze stehenden FDP-Mitglied Jochen Erlhof setzen. »Erlhof sperrte sich gegen alles, was Geld kostet, wie innovative Antriebe oder Klimaanlagen in den Fahrzeugen«, berichtet Pro-Bahn-Mann Mendel. Offenbar musste sich Kreienkamp intern ordentlich durchbeißen. Die Verweigerung von fahrgast- oder umweltfreundlichen Maßnahmen kennen die Berliner aus den Nikutta-Jahren der BVG nur gut genug.
Eine große Stärke sei die intensive Öffentlichkeitsbeteiligung gewesen, sagt Mendel. »Diese lief vorbildlich bei der Citybahn, was ich ihr direkt zuschreiben möchte.« Dabei geht es um die geplante Verlängerung der Mainzer Straßenbahn ins benachbarte Wiesbaden und darüber hinaus. Für die Region ein Mammutprojekt, das vor allem in der Nachbarstadt auf erhebliche Widerstände stößt. »Eine wirklich nette und zugängliche Frau«, nennt der Fahrgastvertreter Kreienkamp. Nach Bürgerbeteilungsverfahren sei die Chefin der Verkehrsbetriebe gerne auch noch mit den übrig gebliebenen Teilnehmern in eine Gaststätte eingekehrt. Schwer vorstellbar bei Sigrid Nikutta.
»Ich glaube, dass sie Ahnung davon hat, was sie tut«, so Jeremy Arndt, dem für die BVG zuständigen VerdiGewerkschaftssekretär, zu »nd«.
Auch der verkehrspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Kristian Ronneburg, hat durchaus ein gutes Gefühl bei der Personalie. »Wir stellen uns vor, dass sie als neue Chefin offen und mit Transparenz agiert. Dass sie sich nicht davor scheut, Probleme zu benennen und gemeinsam mit uns für die Interessen der BVG zu kämpfen«, so Ronneburg zu »nd«. Es sei gut, jetzt auch eine Chefin zu bekommen, die in Mainz bereits Erfahrungen gemacht hat mit der Ausweitung des Straßenbahnnetzes. In Kreienkamps Amtszeit fiel auch die Wiedereingliederung der Lohndumping-Tochter City-Bus Mainz GmbH. »Die vollständige Reintegration der BVG-Tochter Berlin Transport wäre auch ein Punkt, über den wir gerne sprechen würden«, sagt der Abgeordnete. 2019 hatte bereits die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus einen Vorstoß in dieser Richtung gemacht.
Eine große Herausforderung wird auch die Bewältigung der Corona-bedingten Einnahmenausfälle der BVG sein. Die Schätzungen allein für 2020 liegen zwischen 150 und 180 Millionen Euro. Wirtschaftssenatorin Pop appelliert an den Bund. »Es kann nicht sein, dass Rettungspakete für die Automobilindustrie geschnürt werden, aber die Nahverkehrsunternehmen in die Röhre gucken«, erklärt sie und fordert einen Rettungsschirm für Busse und Bahnen, »damit die Verkehrswende in den Städten nicht auf der Strecke bleibt.«
»Mut und die Kraft braucht die neue Chefin auch in Berlin«, sagt Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastverbands IGEB. Der Straßenbahnausbau im viertgrößten Netz der Welt stocke. »Sie übernimmt mit der BVG eine Großbaustelle, einen betriebssicheren Sanierungsfall«, erklärt der Fahrgastvertreter. »Ich wünsche ihr ehrlich viel Erfolg«, so Wieseke.