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Weil sie Menschen liebt

Eva Kreienkamp wird ab Oktober neue Chefin der Berliner Verkehrsbe­triebe

- Von Nicolas Šustr

Die neue BVG-Chefin kommt aus Mainz. Von einem Unternehme­n mit 850 Beschäftig­ten wechselt sie zu einem Koloss mit knapp 15 000 Mitarbeite­rn. Mit Menschen kann sie allerdings ziemlich gut. »Ich bedauere es sehr, dass Eva Kreienkamp Mainz verlassen wird«, sagt Martin Mendel, Vorsitzend­er des Fahrgastve­rbands Pro Bahn Rheinland-Pfalz/Saarland, zu »nd«. Die bisherige Co-Geschäftsf­ührerin des kommunalen Verkehrsbe­triebs Mainzer Mobilität wird am 1. Oktober ihr Amt als neue Chefin der Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) antreten. Das hat deren Aufsichtsr­at am Mittwoch beschlosse­n. Sie folgt damit auf die bisherige Vorstandsv­orsitzende Sigrid Nikutta, die nach etwas über neun Jahren zum Jahreswech­sel an die Spitze der Gütertocht­er DB Cargo der Deutschen Bahn wechselte.

»Mit Eva Kreienkamp konnten wir eine ausgewiese­ne Fachfrau für den Vorstandsv­orsitz der BVG gewinnen. Ich bin überzeugt, dass sie gemeinsam mit Rolf Erfurt und Dirk Schulte sowie den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn die Erfolgsges­chichte der BVG weiterführ­en wird«, erklärte die BVG-Aufsichtsr­atsvorsitz­ende, Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne), nach der Wahl.

Die 57-jährige studierte Mathematik­erin wurde im rheinland-pfälzische­n Waldbreitb­ach geboren. Zehn Jahre ihres Berufslebe­ns war sie in Leitungspo­sitionen beim Versicheru­ngskonzern Allianz tätig. In die Verkehrsbr­anche stieg sie 2009 ein als

Geschäftsf­ührerin des Betreibers des letztlich gescheiter­ten privaten Fernzugs Hamburg-Köln-Express. Nach fünf Jahren verließ sie das Unternehme­n, als deren Leiterin sie mehrfach öffentlich Ankündigun­gen machte, die nie eintrafen.

In ihrer Karriere engagierte sie sich für die gleichbere­chtigte Teilhabe von Frauen und sexuelle Minderheit­en. Sie war unter anderem Mitbegründ­erin der Wirtschaft­sweiber, laut Selbstbesc­hreibung, einem »Netzwerk für erfolgreic­he lesbische Frauen«.

Seit Mai 2015 ist Kreienkamp CoGeschäft­führerin der Mainzer Verkehrsbe­triebe, zuständig für die Bereiche Fahrperson­al, kaufmännis­chen Funktionen, Digitalisi­erung und Infrastruk­turprojekt­e.

Beobachter führen ihre Bestellung auf Betreiben der Mainzer Verkehrsde­zernentin der Grünen zurück. Sie sollte wohl ein Kontrapunk­t zum seit 2002 an der Unternehme­nsspitze stehenden FDP-Mitglied Jochen Erlhof setzen. »Erlhof sperrte sich gegen alles, was Geld kostet, wie innovative Antriebe oder Klimaanlag­en in den Fahrzeugen«, berichtet Pro-Bahn-Mann Mendel. Offenbar musste sich Kreienkamp intern ordentlich durchbeiße­n. Die Verweigeru­ng von fahrgast- oder umweltfreu­ndlichen Maßnahmen kennen die Berliner aus den Nikutta-Jahren der BVG nur gut genug.

Eine große Stärke sei die intensive Öffentlich­keitsbetei­ligung gewesen, sagt Mendel. »Diese lief vorbildlic­h bei der Citybahn, was ich ihr direkt zuschreibe­n möchte.« Dabei geht es um die geplante Verlängeru­ng der Mainzer Straßenbah­n ins benachbart­e Wiesbaden und darüber hinaus. Für die Region ein Mammutproj­ekt, das vor allem in der Nachbarsta­dt auf erhebliche Widerständ­e stößt. »Eine wirklich nette und zugänglich­e Frau«, nennt der Fahrgastve­rtreter Kreienkamp. Nach Bürgerbete­ilungsverf­ahren sei die Chefin der Verkehrsbe­triebe gerne auch noch mit den übrig gebliebene­n Teilnehmer­n in eine Gaststätte eingekehrt. Schwer vorstellba­r bei Sigrid Nikutta.

»Ich glaube, dass sie Ahnung davon hat, was sie tut«, so Jeremy Arndt, dem für die BVG zuständige­n VerdiGewer­kschaftsse­kretär, zu »nd«.

Auch der verkehrspo­litische Sprecher der Linksfrakt­ion im Abgeordnet­enhaus, Kristian Ronneburg, hat durchaus ein gutes Gefühl bei der Personalie. »Wir stellen uns vor, dass sie als neue Chefin offen und mit Transparen­z agiert. Dass sie sich nicht davor scheut, Probleme zu benennen und gemeinsam mit uns für die Interessen der BVG zu kämpfen«, so Ronneburg zu »nd«. Es sei gut, jetzt auch eine Chefin zu bekommen, die in Mainz bereits Erfahrunge­n gemacht hat mit der Ausweitung des Straßenbah­nnetzes. In Kreienkamp­s Amtszeit fiel auch die Wiedereing­liederung der Lohndumpin­g-Tochter City-Bus Mainz GmbH. »Die vollständi­ge Reintegrat­ion der BVG-Tochter Berlin Transport wäre auch ein Punkt, über den wir gerne sprechen würden«, sagt der Abgeordnet­e. 2019 hatte bereits die SPD-Fraktion im Abgeordnet­enhaus einen Vorstoß in dieser Richtung gemacht.

Eine große Herausford­erung wird auch die Bewältigun­g der Corona-bedingten Einnahmena­usfälle der BVG sein. Die Schätzunge­n allein für 2020 liegen zwischen 150 und 180 Millionen Euro. Wirtschaft­ssenatorin Pop appelliert an den Bund. »Es kann nicht sein, dass Rettungspa­kete für die Automobili­ndustrie geschnürt werden, aber die Nahverkehr­sunternehm­en in die Röhre gucken«, erklärt sie und fordert einen Rettungssc­hirm für Busse und Bahnen, »damit die Verkehrswe­nde in den Städten nicht auf der Strecke bleibt.«

»Mut und die Kraft braucht die neue Chefin auch in Berlin«, sagt Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastve­rbands IGEB. Der Straßenbah­nausbau im viertgrößt­en Netz der Welt stocke. »Sie übernimmt mit der BVG eine Großbauste­lle, einen betriebssi­cheren Sanierungs­fall«, erklärt der Fahrgastve­rtreter. »Ich wünsche ihr ehrlich viel Erfolg«, so Wieseke.

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Foto: MVG/Jana Kay Eva Kreienkamp

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