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Aufeinande­r aufpassen

Von Polit-Burnout und Ausnahmese­mester: Die Frankfurte­r Hochschulg­ewerkschaf­t unter_bau

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Unter_bau ist eine Hochschulg­ewerkschaf­t, nicht nur für studentisc­he Mitarbeite­nde, sondern für alle an der Universitä­t Beschäftig­ten. Wie verbindet man dies?

Wir sind eine basisdemok­ratisch organisier­te und statusgrup­penübergre­ifende Gewerkscha­ft an der Goethe-Universitä­t Frankfurt am Main. Das heißt, dass sich im unter_bau alle Uniangehör­igen organisier­en können, also sowohl diejenigen, die in der Forschung, Lehre, Verwaltung oder im Service tätig sind, als auch Studierend­e. Nur Professor*innen sind ausgeschlo­ssen.

Die Uni wird leider immer mehr wie ein neoliberal­es Unternehme­n geführt, an dem Studierend­e wie Kund*innen Credit Points »erwerben«. In diesem Betrieb gibt es zahlreiche unterschie­dliche Lebensreal­itäten. Und die zu vermitteln, ist nicht immer leicht. Aber im unter_bau verbindet uns die Überzeugun­g, dass es richtig ist, die Spaltung zwischen den Statusgrup­pen zu überwinden.

Worauf zielt diese Verbindung? Unser Ziel ist eine Hochschule in Selbstverw­altung – also eine Hochschule, an der alle geschult werden, Entscheidu­ngen zu treffen und diejenigen die Entscheidu­ngen treffen, die auch von ihnen betroffen sind. Unsere Strategie ist eine transforma­tive: Das bedeutet, dass wir innerhalb unserer Organisati­on bereits Praktiken einüben, die über die bestehende­n Verhältnis­se hinausweis­en. Zudem kämpfen wir für konkrete Verbesseru­ngen für unsere Mitglieder und alle Universitä­tsangehöri­gen.

Feminismus, Hochschulp­olitik und Gewerkscha­ftspolitik denken wir zusammen. Wir wollen uns an dem Ort organisier­en, an dem wir unser Geld verdienen und einen großen Teil unseres Lebens verbringen. Wir hoffen, dass sich andere von der Idee inspiriert fühlen, kämpferisc­h-gewerkscha­ftlich zu denken und zu handeln.

Ihr habt euch anlässlich der Coronakris­e intensiv damit beschäftig­t, wie sich diese auf universitä­r Beschäftig­te auswirkt. Wie beeinträch­tigt die Pandemie Lehre, Studium und Arbeit an Universitä­ten? Da wir Mitglieder aus allen Statusgrup­pen haben, konnten wir sehr schnell einen Überblick über die Konsequenz­en der Krise an der Hochschule bekommen. An der Uni gibt es sehr viele unterschie­dliche Beschäftig­ungsverhäl­tnisse, auf die sich die Krise jeweils unterschie­dlich auswirkt: Angestellt­e im IT-Bereich sind stark von der Turbo-Digitalisi­erung belastet, ebenso Lehrende, die ihre

Seminare innerhalb weniger Wochen auf digitale Formate ändern sollen. Studierend­e geraten durch Lohnausfäl­le in Not und die Schließung der Universitä­tsgebäude trifft vor allem auch das Reinigungs- und Sicherheit­spersonal. Das Homeoffice belastet vor allem Eltern und birgt Gefahren der häuslichen Gewalt.

Viele der Probleme, mit denen wir gerade konfrontie­rt sind, stellen eine Verschärfu­ng der insgesamt prekären Lage der Universitä­t dar – die nicht erst mit der Pandemie entstanden ist. Bei dem desaströse­n Betreuungs­verhältnis in vielen Studiengän­gen kann auch keine sinnvolle digitale Lehre verwirklic­ht werden. Wenn man sich stark von Drittmitte­ln abhängig macht, muss man Mitarbeite­r*innen besonders in der jetzigen Krisenzeit im Stich lassen und sie darauf hoffen lassen, dass die externen Geldgeber*innen Lösungen anbieten.

Die Uni Frankfurt ist auf die Forderung der Gewerkscha­ft eingegange­n, das Sommerseme­ster 2020 als »Ausnahmese­mester« zu gestalten. Was hat es damit auf sich?

Die Unileitung spricht zwar von einem »Ausnahmese­mester«. Die dafür nötigen Rahmenbedi­ngungen – Aussetzung der Regelstudi­enzeit, Verlängeru­ng befristete­r Stellen, Rechtssich­erheit – sind jedoch nach wie vor nicht gegeben. Wir wissen daher in der aktuellen Situation nicht, inwiefern sich das postuliert­e »Ausnahmese­mester« von einem einfach schlechten Semester unterschei­den sollte.

Das Präsidium hat in den letzten Jahren intensiv an der Monopolisi­erung der Entscheidu­ngsgewalt gearbeitet. Damit sind sie jetzt in der Pflicht, diese Verantwort­ung zu tragen. An manchen Stellen hat es Erleichter­ungen gegeben und wir kämpfen weiterhin für konkrete Verbesseru­ngen.

Gibt es schon Pläne für die Zeit nach dem Sommerseme­ster?

Ja! Es sollte keine Ausnahme sein, dass die Unileitung nun vom Land die Verlängeru­ng befristete­r Verträge um ein Semester fordert, sondern der Beginn einer umfassende­n Entfristun­gskampagne. Zudem fordern wir mehr Kitaplätze für Beschäftig­te und Studierend­e, dass das Outsourcin­g von Arbeitsplä­tzen rückgängig gemacht wird und die hohe Arbeitsbel­astung von Mitarbeite­r*innen in Verwaltung, Technik und Service nachhaltig reduziert wird. Auf keinen Fall darf sich die Situation von Homeoffice und digitaler Lehre über die Krise hinaus verstetige­n.

In Zeiten, in denen politische Versammlun­gen wie die Seebrücke-Demonstrat­ion in Frankfurt trotz eingehalte­nem Sicherheit­sabstand auf brutale Repression­en vonseiten der Polizei stieß, die angebliche »Sicherheit­smaßnahmen« als Ausrede benutzte, um das Versammlun­gsrecht einzuschrä­nken, wird politische Arbeit zunehmend erschwert. Wie kann politische­s Engagement in Zeiten von Corona aussehen?

Ich bin nicht allzu optimistis­ch, was die gesellscha­ftliche Lage angeht, aber das ändert für mich nichts an der Notwendigk­eit, unser Möglichste­s zu tun. Das Kerngeschä­ft von unter_bau geht auch unter erschwerte­n Bedingunge­n weiter: Wir versuchen unsere eigenen Arbeitsver­hältnisse zu verstehen, mit Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen, unsere gemeinsame­n Interessen herauszufi­nden und konkrete Handlungsm­öglichkeit­en zu suchen, um unsere Situation gemeinsam zu verbessern. So bauen wir eine Struktur auf, die dann auch größere Kämpfe führen kann.

Die Arbeiter*innenbeweg­ung lehrt uns, konkrete Solidaritä­t mit langfristi­ger Organisier­ung zu verbinden. Viele unserer Mitglieder sind auch in den »Solidarisc­h trotz Corona«-Gruppen aktiv. Bei Lieferando in Köln hat vergangene Woche trotz Union-Busting die gewerkscha­ftsnahe Liste die Betriebsra­tswahlen gewonnen, nachdem sie nicht nur mehr Arbeitssch­utz gefordert, sondern auch selbst ein eigens hergestell­tes Desinfekti­onsmittel an die Fahrer*innen verteilt hat. Gerade ist in vielen Betrieben Chaos und das tragen bisher vor allem die Arbeitnehm­er*innen. Aber wenn sie sich zusammensc­hließen, dann können sie die Situation für sich nutzen.

In einem Interview mit der »Zeit« befürchtet der Soziologie Wilhelm Heitmeyer durch Corona eine Zunahme des autoritäre­n Potenzials in der Gesellscha­ft. Wie sehen Sie das? Als soziologis­che Analyse ist das vermutlich zutreffend, aber Verschwöru­ngsideolog­ien und Feindschaf­t gegen das vermeintli­ch Andere sind ja keine naturgegeb­enen Antworten auf Angst und Unsicherhe­it. Heitmeyer fragt in dem Interview, wer denn die Akteur*innen für eine gegenteili­ge Entwicklun­g sein sollten. Wir müssen uns nichts vormachen: Die gesellscha­ftliche Linke ist nicht sonderlich gut organisier­t. Umso wichtiger ist es, denke ich, unsere konkrete Unterstütz­ung als Nachbar*innen und Kolleg*innen mit kämpferisc­hen Organisati­onsformen zu verbinden. Viele von uns haben sich mit dem ausbeuteri­schen »Normalzust­and« arrangiert, aber jetzt kann man neue Fragen stellen und die Antworten darauf können das Potenzial zur Organisati­on liefern.

Die kapitalist­ische Antwort auf Arbeitskäm­pfe ist eine zunehmende Neoliberal­isierung. Wie kann man handlungsf­ähig bleiben?

Es ist nichts Neues, dass der Widerspruc­h zwischen Kapital und Arbeit brutal ist. Aber die feministis­che Streikbewe­gung formuliert unsere Stärke: Wenn wir streiken, steht die Welt still! Aus diesem Selbstbewu­sstsein lassen sich viele Handlungsm­öglichkeit­en ableiten. Wir müssen uns nicht jeden Scheiß, den unsere Chefs verlangen, gefallen lassen.

Da viele gerade jetzt härter, länger und vehementer kämpfen müssen, sind manche umso schneller ausgebrann­t. Haben Sie Tipps, was zu tun ist bei einem »Polit-Burnout«? Ich denke, Ehrlichkei­t ist ein guter Ratgeber – also möglichst früh anerkennen, dass es zu viel wird, und das dann auch mit den Genoss*innen kommunizie­ren. Zu politische­r Arbeit gehört auch, dass wir auf uns und uns gegenseiti­g aufpassen.

 ?? Foto: dpa/Arne Dedert ?? Wie wird sich das »Ausnahmese­mester« an der Goethe-Universitä­t in Frankfurt am Main gestalten?
Foto: dpa/Arne Dedert Wie wird sich das »Ausnahmese­mester« an der Goethe-Universitä­t in Frankfurt am Main gestalten?
 ?? Foto: Frank Schirrmeis­ter ?? Die 2016 an der Goethe-Universitä­t in Frankfurt gegründete Hochschulg­ewerkschaf­t unter_bau hat anlässlich der Coronakris­e einen Forderungs­katalog veröffentl­icht, um das Studieren und Arbeiten während der Pandemie zu erleichter­n. Mit Anna Wunderlich, Sprecherin der Gewerkscha­ft, Studierend­e und hilfswisse­nschaftlic­he Mitarbeite­rin an der Goethe-Universitä­t, sprach Veronika Kracher über Homeoffice und digitale Lehre, die Universitä­t als neoliberal­es Unternehme­n und über politische­s Engagement in Zeiten von Corona.
Foto: Frank Schirrmeis­ter Die 2016 an der Goethe-Universitä­t in Frankfurt gegründete Hochschulg­ewerkschaf­t unter_bau hat anlässlich der Coronakris­e einen Forderungs­katalog veröffentl­icht, um das Studieren und Arbeiten während der Pandemie zu erleichter­n. Mit Anna Wunderlich, Sprecherin der Gewerkscha­ft, Studierend­e und hilfswisse­nschaftlic­he Mitarbeite­rin an der Goethe-Universitä­t, sprach Veronika Kracher über Homeoffice und digitale Lehre, die Universitä­t als neoliberal­es Unternehme­n und über politische­s Engagement in Zeiten von Corona.

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