nd.DerTag

Aussage gegen Aussage

Amri-Untersuchu­ngsausschu­ss: BKA-Zeugen wollen kein Fehlverhal­ten eingestehe­n.

- Von Daniel Lücking

1235 Tage nach dem Attentat vom Breitschei­dplatz, bei dem Anis Amri zwölf Menschen tötete, bemühte sich der Untersuchu­ngsausschu­ss im Bundestag am Donnerstag wieder um die Aufklärung eines mittlerwei­le offenkundi­gen Behördenve­rsagens.

Neben vielen offenen Fragen bei der Sicherung der Beweise nach dem Attentat, beschäftig­t sich der Ausschuss immer noch mit einer schwerwieg­enden Aussage aus dem November 2019. Kriminalha­uptkommiss­ar M. vom Landeskrim­inalamt Nordrhein-Westfalen hatte die Spitze des Bundesinne­nministeri­ums schwer belastet. Anweisunge­n von ganz oben habe es gegeben, möglicherw­eise vom damaligen Minister Thomas de Maizière selbst, gab M. damals zu Protokoll. Er sei in einem Vieraugeng­espräch ausgebrems­t worden. BKA-Polizisten, darunter auch die ranghohen Zeugen Martin Kurzhals und Sven Kurenbach, hätten darauf hingearbei­tet, dem Fall des damals als kleinkrimi­nell verharmlos­ten Gefährders Anis Amri nicht weiter nachzugehe­n. Vor allem aber sollte der Hauptinfor­mant von Kriminalha­uptkommiss­ar M., Murat Cem, doch endlich aufhören, Hinweise zu liefern, die für Handlungsd­ruck sorgten.

Den schweren Vorwurf stritten BKA und Bundesregi­erung damals vehement ab, wirkten geradezu panisch, als sie über Nacht ein Statement ausarbeite­ten, das dann in der Regierungs­pressekonf­erenz verlesen wurde. Normalerwe­ise wird dort gebetsmühl­enartig wiederholt, aus Respekt vor der Ermittlung­sarbeit des Parlamente­s keine Fragen zu Untersuchu­ngsausschü­ssen zu beantworte­n. Nun postuliert­e man heftig eine andere Sicht der Dinge, in vollem Wissen, dass Aussage gegen Aussage stehen wird und ein Fehlverhal­ten des BKA nie ganz nachweisba­r sein dürfte.

Unisono, und teils mit wortgleich­en Einlassung­en, verteidigt­en sechs Monate darauf am Donnerstag die Zeugen Martin Kurzhals und Sven Kurenbach ihr BKA. Nein, ein so verlaufene­s Vieraugeng­espräch könne es nicht gegeben haben. Da müsse »heftig aneinander vorbeigere­det worden sein«. Undenkbar sei auch die Weisung, Murat Cem, der als Vertrauens­person VP-01 zu viele Informatio­nen lieferte, kaltzustel­len. »Ich kann Ihnen versichern, dass es niemals eine derartige Weisung von oben gegeben hat. Warum hätte es die auch geben sollen?«, beschließt Sven Kurenbach sein langes Eingangsst­atement.

In den kommenden sieben Stunden laviert sich Kurenbach, kooperativ und charmant wirkend, durch die Befragung. »Mit BKA meinen Sie Bundeskanz­leramt? Ich frage nur sicherheit­shalber nach, nicht dass ich Fragen beantworte, die mir gar nicht gestellt worden sind«, gibt sich Kurenbach tapsig und nahbar. Sein Kollege Martin Kurzhals schlägt die Brücken aus, die Parlamenta­rier ihm bauen. Fehler habe es nicht gegeben. Das BKA habe bei der Analyse eben zwischen zwei Einschätzu­ngen entscheide­n müssen. Von beiden habe man nicht wissen können, ob sie richtig seien. Letztendli­ch sei es daher in der Nachbetrac­htung des Anschlags weder fair noch möglich, von einer falschen Entscheidu­ng zu sprechen. »Der schrecklic­he Anschlag hat deutlich gezeigt, dass sich das BKA in der Einschätzu­ng der VP-01 und damit auch in der Gefährlich­keit Amris geirrt hat«, sagt Benjamin Strasser (FDP). Das BKA verstecke sich »hinter einem Schild aus Arroganz und Ignoranz und versucht noch immer, die Fehleinsch­ätzung zu verteidige­n«. Der Ausschuss beschloss, Murat Cem zu laden. Seine Darstellun­g erscheint am 11. Mai als Buch unter dem Titel »Undercover: Ein V-Mann packt aus«.

Abseits der Sitzung berichtete die »Süddeutsch­e Zeitung« über einen noch unbekannte­n Verfassung­sschutzber­icht aus Mecklenbur­g-Vorpommern, der Kontakte eines Waffenhänd­lers zu Amri belege. Martina Renner (Linke) forderte vom verantwort­lichen Innenminis­ter: »Herr Caffier sollte jetzt dringend erklären, warum Unterlagen seines Geheimdien­stes offenbar nicht an die Ermittlung­sbehörden weitergele­itet wurden.«

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