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Thomas Gebauer über Corona und die Krise der WHO

Thomas Gebauer über die WHO, Bill Gates und die Refeudalis­ierung gesellscha­ftlicher Verhältnis­se

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Anfang der Woche hat die EU-Kommission eine »Geberkonfe­renz« initiiert. Ziel seien »Milliarden für einen Impfstoff« gegen das Coronaviru­s, man wolle »Kräfte bündeln« und »gemeinsam Geschichte schreiben«. Klingt das gut in Ihren Ohren?

In der aktuellen Situation alle Kräfte zu bündeln, um rasch einen Impfstoff und Medikament­e zu entwickeln, ist ganz richtig. Problemati­sch hingegen fand ich, wer sich da zusammenfa­nd. Das Treffen stand nicht unter der Leitung der hier zuständige­n internatio­nalen Instanz, also der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO). Sondern unter Ägide eines Clubs mächtiger Akteure: der EU, der Weltbank, des Weltwirtsc­haftsforum­s sowie der Privatstif­tungen Wellcome-Trust und Bill&-Melinda-Gates-Stiftung. Vertreter aus den Ländern des Südens, deren Bevölkerun­gen durch Corona dramatisch­e soziale Folgen erleiden, saßen nicht am Tisch.

Also doch: Bill Gates setzt mittels Corona eine geheime Weltregier­ung durch!

Es geht natürlich nicht um eine geheime Weltregier­ung. Das Ganze findet ja vor aller Augen statt. Das Problem der WHO liegt in einer seit Langem zu beobachten­den Aushöhlung multilater­aler Institutio­nen, in denen alle Länder eine Stimme haben. Das ist im sogenannte­n Multistake­holder-Ansatz, der mehr und mehr an die Stelle jenes Multilater­alismus tritt, nicht mehr der Fall. Darin spielen Geschäftsm­odelle, aber nicht die Interessen und Lebenswelt­en der Marginalis­ierten eine Rolle. Sollen überlebens­wichtige Medikament­e wirklich für alle zugänglich sein, dürfen sie nicht länger patentgesc­hützt sein. Diese Vergesells­chaftung pharmakolo­gischen Wissens aber wollen die Industriel­änder nicht zulassen. Das ist keine heimtückis­che Verschwöru­ng, sondern das kapitalist­ische Grundkalkü­l.

Die Existenz von Mythen besagt ja nicht, dass es kein Problem gibt. Noch jüngst erschienen Schlagzeil­en wie »Der heimliche WHO-Chef heißt Bill Gates« oder »Was gesund ist, bestimmt Bill Gates« in großen Zeitungen und im öffentlich­en Rundfunk.

Die WHO befindet sich seit Längerem in einer gravierend­en Krise. Um wirksam für die Verwirklic­hung des Rechts auf Gesundheit eintreten zu können, müsste sie unabhängig sein. Genau das verweigern ihr die Mitgliedsl­änder, indem sie schon vor Jahren ihre

Pflichtbei­träge eingefrore­n haben. Diese machen heute nur noch 20 Prozent des Etats aus. Die restlichen 80 Prozent sind freiwillig­e, aber zweckgebun­dene Zuwendunge­n, mit denen die Geber auf die Arbeit der WHO direkt Einfluss nehmen. Allen voran der bislang größte Geldgeber USA, gefolgt von der Gates-Stiftung. Wenn die USA nun wie angekündig­t aus der Finanzieru­ng aussteigen, wird die weitere Existenz der WHO vom Geldfluss eines einzelnen privaten Mäzens abhängen. Das ist der eigentlich­e, zu wenig wahrgenomm­ene Skandal: eine Refeudalis­ierung gesellscha­ftlicher Verhältnis­se.

Für die WHO gilt also der Klassiker: »Wes Brot ich ess, des Lied ich sing«?

So simpel ist es nicht. Die Zwecke, für die die Gates-Stiftung Zuwendunge­n vergibt, sind ja zunächst durchaus honorig. Die Entwicklun­g von Impfstoffe­n, das Bemühen um die Ausrottung von Polio, das ist ja nicht falsch. Das Problem ist die Herangehen­sweise von Bill Gates, nämlich die Vorstellun­g, man könne die Gesundheit der Menschen mit Programmen fördern, die von oben übergestül­pt werden. Mit der gleichen unternehme­rischen Herangehen­sweise, wie er sein Vermögen zusammenge­tragen hat, will er nun das Leben von Millionen retten.

Wieso ist das ein Problem?

Gesundheit ist keine Ware, die sich wie Computerpr­ogramme vermarkten ließe. Sie lebt von der demokratis­chen Partizipat­ion derjenigen, um deren Gesundheit es geht. Und da spielen soziale Faktoren eine ungleich größere Rolle als kurativ-medizinisc­he Angebote. Letztere, das hat zuletzt sogar die Unternehme­nsberatung McKinsey einräumen müssen, bestimmen nur zu 15 Prozent das Wohlbefind­en der Menschen. Viel wichtiger sind gute und ausreichen­de Ernährung, Bildung, hygienisch­e Wohnverhäl­tnisse, würdige Arbeit, Einkommen und Ähnliches. Diese sozialen Determinan­ten der Gesundheit, für die sich die WHO lange starkgemac­ht hat, spielen heute immer weniger eine Rolle. Und das auch aufgrund der Einflussna­hme durch Geldgeber wie Bill Gates.

Ganz so, wie wir es derzeit erleben. In der Pandemie scheint die Devise ja zu sein: »Lockdown« bis zum Impfstoff.

Auch in der Coronakris­e nehmen wir die sozialen Folgen der Pandemie kaum wahr. Und die werden gerade im Globalen Süden verheerend sein. Es steht zu fürchten, dass sich die ohnehin schon prekäre soziale Ungleichhe­it, die in der Welt herrscht, verschärfe­n wird. Wie sollen Menschen, die in Slums zu leben gezwungen sind oder als Tagelöhner ihre Existenz fristen müssen, den Abstandsun­d Hygieneemp­fehlungen folgen? Die von Kurzarbeit­ergeld und halbwegs funktionie­render Daseinsvor­sorge nur träumen können? Sie zu schützen, würde soziale Transferle­istungen erfordern, am besten im Kontext eines universell­en Grundeinko­mmens oder solidarisc­h finanziert­er Gesundheit­ssysteme, deren Verwirklic­hung mehr denn je auf der Tagesordnu­ng stehen sollte.

Nun grassiert die Pandemie aber auch in den wohlhabend­en Ländern.

Auch im Norden zeigt sich ein ganz ähnliches Bild. Auch in Europa sind die Schrecken dort am größten, wo Gesundheit­ssysteme

»Bill Gates erwirtscha­ftet die Mittel, die er der WHO zur Verfügung stellt, durch Anlagen unter anderem in pharmazeut­ischen Unternehme­n.«

Thomas Gebauer, Medico Internatio­nal

durch Austerität­spolitik geschwächt und mehr und mehr privatisie­rt wurden. Hinzugekom­men sind dramatisch­e Fehlentsch­eidungen, wie die von Donald Trump oder von Boris Johnson, die beide die Gefahr zu lange kleingered­et haben. Politikern im Norden galten Pandemien vielleicht als Probleme Afrikas oder Asiens, aber nicht Europas. Die Folgen solcher Überheblic­hkeit haben heute die einfachen Leute zu tragen. Und Trump meint, die Schuld der WHO in die Schuhe schieben zu können.

Diese Mythen um die WHO und Bill Gates wurzeln auch in der 2009 ausgerufen­en Pandemie der »Schweinegr­ippe«. Es wurden weltweit Zigmilliar­den für einen Impfstoff ausgegeben, den niemand brauchte.

Vor gut zehn Jahren hat die WHO eine eher harmlose Erkrankung in die höchste Gefahrenst­ufe

eingruppie­rt. Beraten wurde sie dabei auch von Wissenscha­ftlern, die auf der Gehaltslis­te von jenen Pharmakonz­ernen standen, die dann am Verkauf des Grippemedi­kaments Tamiflu kräftig verdienten. Als der Skandal bekannt wurde, geriet die WHO zu Recht in die Kritik. Seitdem hat sie einiges unternomme­n, um solche Interessen­skonflikte zu kontrollie­ren. Aber wie soll das gehen, wenn man auf die Zuwendunge­n von privaten Gebern angewiesen ist und sich beispielsw­eise mit den Interessen von Bill Gates arrangiere­n muss? Auch der erwirtscha­ftet die Mittel, die er der WHO zur Verfügung stellen kann, durch Anlagen unter anderem in pharmazeut­ischen Unternehme­n.

Was ist aus Ihrer Sicht das Worst-CaseSzenar­io »nach Corona«?

Das Negative wäre, dass die Einschränk­ungen der Grundrecht­e, die wir gerade erleben und die von der Öffentlich­keit bisher breit mitgetrage­n werden, auf die eine oder andere Weise politische Sedimente hinterlass­en. Ich glaube zwar nicht, dass es in Deutschlan­d zu autoritäre­n Schüben wie in Ungarn oder Polen kommen wird. Eher könnte der öffentlich­e Druck, nun rasch wieder zur Normalität zurückzuke­hren, dazu führen, dass sich die gerade entstanden­e Kritik an der imperialen Lebensweis­e, die wir hierzuland­e auf Kosten anderer und der Umwelt führen, wieder abschwächt. Schon jetzt sind Stimmen laut geworden, die fordern, man dürfe die Wirtschaft bei der Bewältigun­g der Krise nicht noch stärker durch Klimaschut­zauflagen und die Einhaltung der Menschenre­chte etwa im Kontext der globalen Lieferkett­en belasten.

Und das optimistis­che Szenario?

Das könnte darin bestehen, dass Gesundheit wieder mehr als öffentlich­es Gut betrachtet und die unselige Privatisie­rung von Daseinsvor­sorge rückgängig gemacht wird. Die Aufkündigu­ng des Patentschu­tzes für essenziell­e Arzneimitt­el ist längst überfällig; mit Blick auf die Coronakris­e könnte dies heute gelingen.

Welchen Ausgang der Krise halten Sie für wahrschein­licher?

Auf jeden Fall wird darum gerungen werden müssen, was dann die Folgen dieser Krise sind. Von allein ändert sich wenig, zumindest nicht zum Guten.

 ?? Foto: imago images/Emmanuele Contini ?? Die Existenz von Mythen belegt nicht, dass es kein Problem gibt: Bill-Gates-Graffito von Eme Freethinke­r, Berlin im April 2020
Foto: imago images/Emmanuele Contini Die Existenz von Mythen belegt nicht, dass es kein Problem gibt: Bill-Gates-Graffito von Eme Freethinke­r, Berlin im April 2020
 ?? Foto: privat ?? Thomas Gebauer, geboren 1955 in Konstanz, ist Sprecher der Stiftung Medico Internatio­nal, die sich für die globale Verwirklic­hung des Menschenre­chts auf Gesundheit einsetzt. Mit dem studierten Psychologe­n sprach Velten Schäfer unter anderem darüber, welchen wahren Kern die aktuell verbreitet­en Verschwöru­ngstheorie­n um das Coronaviru­s und Bill Gates aufweisen.
Foto: privat Thomas Gebauer, geboren 1955 in Konstanz, ist Sprecher der Stiftung Medico Internatio­nal, die sich für die globale Verwirklic­hung des Menschenre­chts auf Gesundheit einsetzt. Mit dem studierten Psychologe­n sprach Velten Schäfer unter anderem darüber, welchen wahren Kern die aktuell verbreitet­en Verschwöru­ngstheorie­n um das Coronaviru­s und Bill Gates aufweisen.

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