Standpunkte Leo Fischer über allzu lockere Lockerungen;
Leo Fischer über neue Experten, Maßnahmenaufheber und Wirtshausöffner
Der Lockdown war ein Riesen-Fehler«, schreibt die »Bild«-Zeitung, und lässt »Deutschlands klügste Corona-Skeptiker« zu Wort kommen, etwa die ehemalige »Bunte«-Chefin Patricia Riekel und den gruseligen Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel, der sich mal lautstark für die Genitalvermessung jugendlicher Geflüchteter starkmachte. Nachdem es Springer mit angeschlossener PR-Agentur Storymachine nicht schaffte, das »Heinsberg-Protokoll« und den quasi hauseigenen LockerungsVirologen Streeck als neuen Maßstab der Corona-Berichterstattung zu installieren, scheißt man jetzt gänzlich auf Expertise und wissenschaftlichen Konsens, um zu kurz gekommene C-Promis als »Skeptiker« aufzubauen: Nächste Woche sind dann Attila Hildmann und Xavier Naidoo im »Bild«-Experten-Panel.
Augenscheinlich ist der Autor dieser Zeilen in den letzten Wochen in einem anderen Land gewesen als Patricia Riekel, denn von einem »Lockdown« hat er nichts mitbekommen. Für ihn hat sich die Krise so dargestellt: Erst waren die Straßen voll mit Joggern, dann hat man gelegentlich mal eine Maske gesehen, und im Rewe musste man plötzlich einen Einkaufswagen nehmen, den man dann hinterm Regal stehenlassen konnte. Dann kam Armin Laschet und hob das alles wieder auf, worauf Markus Söder folgerichtig mit dem Beschluss nachzog, nächste Woche die Wirtshäuser aufzumachen. Man musste dazu nicht einmal in die »Bild«-Zeitung gucken: Es reichte, am Mittwoch eine Stunde lang Deutschlandfunk zu hören, wo erst eine Lehrerin treuherzig mitteilte, dass Videounterricht und moderne Medien natürlich nicht den guten alten Kreideschwamm ersetzen, dann ein Sprecher der Nordseetouristik, der die reizlosen Badeorte und ihre mediokre Ratskellergastronomie schon wieder ins beste Licht setzen durfte.
Mit dem Begriff der »Lockerungen« hatte man einen richtigen Geniestreich getan: Denn einerseits war die Krise samt Auflagen damit plötzlich etwas von außen Aufgezwungenes, eine harte Forderung der Weltgemeinschaft, der man sich in Deutschland wie immer gehorsam, aber widerstrebend und letztlich verständnislos fügte. Andererseits waren »Lockerungen« ein Zugeständnis an die Realität, denn ganz in den Aluhut-Dunstkreis wollte man dann doch nicht treten. Maßnahmen sollten schon her, nur locker sollten sie sein!
Spätestens seit der WM 2006 ist Deutschland ja auch Lockerheits-Weltmeister.
Dass viele Prominente plötzlich öffentlichkeitswirksam durchdrehten, weist den Weg, den die Lockerungen gehen werden. Denn gegen Maßnahmen hatten die Promis selbstverständlich nichts, solange sie nur die breite Bevölkerung trafen – wenn Frank Castorf hingegen an der Metzgertheke plötzlich Abstand halten soll wie irgendein Dahergelaufener, fängt er natürlich an, Trump gut zu finden, es ist nur logisch. Viele besitzen ja auch Immobilien, und als im sog. Lockdown ernsthaft darüber nachgedacht wurde, mit dem Mietezahlen aufzuhören, war gleichzeitig auch klar: Bevor die Leute zu kommunistisch werden, schickt man sie lieber wieder arbeiten.
Die »Lockerungen« werden demgemäß auch streng nach Klassenlogik entwickelt. Schon jetzt sperrt man die Arbeiter in die Fleischfabriken ein, verordnet Ausgangsperren für Geflüchtete, lockert die Bestimmungen für die Vorhöllen der Logistikbranche; von ihnen, von den Namenlosen, Unsichtbaren, wird das alles ausgehalten und getragen werden. Doch kein Opfer ist zu groß für die freie Sicht Frank Castorfs auf die Fleischtheke.
Als vorerst letzte Lockerungsübung empfiehlt die »Stimme der Vernunft«, die Lockerungen selbst zu lockern, d.h. es mit der Lockerheit nicht mehr allzu genau zu nehmen, auch wieder mal viere gerade sein zu lassen und einfach mal weniger streng mit der allgemeinen Lockerheitspflicht umzugehen.