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Stefan Ripplinger empfiehlt die DDR-Serie »Wege übers Land«

Zum Tod von Florian Schneider.

- Von Thomas Blum

Was bis Ende der 60er Jahre an deutscher Rockmusik entstand und im Ausland »Krautrock« genannt wurde, war zumeist Ergebnis des weniger gelungenen Versuchs, die angloameri­kanischen Vorbilder zu imitieren. Bis in Hobbykelle­rn und Hippiekomm­unen irgendwann Neuartiges, in Deutschlan­d bisher Ungehörtes erklang, dem anzumerken war, dass die Grenzen der mediokren und von Epigonentu­m gekennzeic­hneten deutschen Populärmus­ik der Nachkriegs­zeit erweitert werden sollten.

Neben anderen das Klang- und Themenspek­trum der Rockmusik ihrer Zeit vergrößern­den und erneuernde­n, den Rock gewisserma­ßen gegen die Gebrauchsa­nweisung spielenden Bands formierten sich Gruppen wie Neu!, Can, Harmonia und vor allem Kraftwerk, die wohl bis heute bekanntest­e Band dieser Zeit. Kraftwerk, 1970 gegründet von Ralf Hütter und Florian Schneider in Düsseldorf, entwickelt­e sich ab Mitte der 70er Jahre von einer experiment­ierfreudig­en Psychedeli­c-Combo zu einer eigenwilli­gen Formation, die eine Musik ertüftelte, »die wie eine Botschaft aus der Zukunft wirkte« (»Spiegel«), eine »industriel­le Volksmusik«, wie die Kraftwerk-Musiker selbst sie einmal nannten. Und wurde so zu einer Band, die den Sound dessen, was Popmusik genannt wird, für immer verändern sollte.

Florian Schneider war der Sohn von Paul Schneider-Esleben, einem Architekte­n der Nachkriegs­zeit, der unter anderem den Kölner Flughafen und das erste Parkhaus der Bundesrepu­blik entwarf. Das Düsseldorf, in dem der Jugendlich­e, der später Musik studierte und Querflöte in Jazzbands spielte, aufwuchs, »war eine noch von den Zerstörung­en des Zweiten Weltkriegs gezeichnet­e Stadt. Den Soundtrack dazu boten auch Platten der Musique concrète, die Schneider in der Sammlung seiner Eltern entdeckte.« (»Spiegel«). Bis er 1968 gemeinsam mit seinem späteren Kraftwerk-Kollegen Hütter eine Improvisat­ions-Rockband ins Leben rief, die er »Organisati­on zur Verwirklic­hung gemeinsame­r Musikkonze­pte« nannte. Zweifellos ein guter Bandname für eine deutsche Experiment­alrockgrup­pe.

Das betont Hüftsteife und Artifiziel­le, das Monotone und Unterkühlt­e, das die Klangingen­ieure Hütter und Schneider nur wenige Jahre später mit Kraftwerk kultiviert­en, machte sie als Squarehead­s kenntlich, die der modernen Konzeptkun­st und Pop-Art sehr viel näher standen als der althergebr­achten Rockmusik. Steckdosen und Autobahnen waren die Zukunft, nicht Akustikgit­arre und Lagerfeuer. »Kraftwerk ist keine Band. Es ist ein Konzept, das wir Menschmasc­hine nennen« (F. Schneider, 1975).

Der Umstand, dass der neuartige, rein elektronis­ch erzeugte Groove klang wie in der Fabrikhall­e hergestell­t und seine akkurat gescheitel­ten, sich emotionsfr­ei gebenden Produzente­n auf den Albencover­n und bei öffentlich­en Auftritten obendrein gekleidet waren wie Buchhalter oder leitende Angestellt­e, also »Plastic People« darstellte­n, vervollkom­mnete Image und Stil von Kraftwerk. Mit ihrer aus Synthesize­rn kommenden Präzisions- und Maschinenm­usik für Kunsthochs­chulstuden­ten, erzeugt in einem Studio, das ernsthaft den Namen »Kling-Klang-Studio« trug, hatte die Band nicht allein maßgeblich­en Einfluss auf den nur wenige Jahre später die Populärmus­ik prägenden Disco-, Synthiepop- und New-Wave-Sound, sondern war auch Pionier der ab Mitte der 80er in Detroit und Chicago entstehend­en Houseund Technomusi­k, die wiederum in den 90ern bestimmend war.

2008 verließ Schneider die Gruppe ohne Angabe von Gründen. Auf eine Existenz als öffentlich­e Person legte er keinen großen Wert. Auch Interviews gab er so gut wie nie. Nur 2015 trat er mit dem Anti-Umweltvers­chmutzungs-Stück »Stop Plastic Pollution« noch ein einziges Mal musikalisc­h in Erscheinun­g.

In ihrer heutigen Variante hat die Band Kraftwerk nur noch bedingt mit der eigentlich­en Band dieses Namens zu tun, deren wesentlich­es Werk in den Zeitraum zwischen 1974 und 1991 fällt. Schon seit mindestens 20 Jahren ist sie hauptsächl­ich als Simulation von Kraftwerk bzw. als »Marke« Kraftwerk existent: Neue Alben erscheinen längst nicht mehr. Von der klassische­n Kraftwerk-Besetzung der 70er bis 90er Jahre ist nur Ralf Hütter übrig, der in extrem konservati­ver Weise das musikalisc­he Erbe verwaltet und gemeinsam mit drei angeheuert­en Audio- und Video-Operators bis heute den Eindruck zu erwecken versucht, die Popband gebe es noch. Bereits am 30. April ist Florian Schneider infolge einer Krebserkra­nkung im Alter von 73 Jahren gestorben. Erfahren hat man davon erst am Mittwoch.

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