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Johanna Montanari Frauenrech­te und Feminismus in Jordanien

Jordanien ist, was Frauenrech­te angeht, konservati­ver als Tunesien, aber viel liberaler als Saudi-Arabien. NGOs wollen die Geschlecht­erungleich­heit im Land ändern.

- Von Johanna Montanari

In einer Nacht Anfang November letzten Jahres erblindete in Jerash, im Norden Jordaniens, die 25-jährige Fatima. Ihr Mann attackiert­e sie und stach ihr gewaltsam mit bloßen Händen beide Augen aus. Die Kinder, elf, neun und zwei Jahre alt, schliefen schon. Das Ehepaar hatte wiederholt gestritten, der Ehemann fürchtete, seine Frau könnte ihn verlassen.

Anders als seine Nachbarlän­der – Syrien und Irak zum Beispiel – ist Jordanien selten in den Nachrichte­n. Jordanien ist eine parlamenta­rische Monarchie. Staatsober­haupt König Abdallah II. regiert autoritär. Er bleibt im Amt, auch wenn die Regierunge­n wechseln. Parteien spielen kaum eine Rolle. Dafür gibt es Stabilität und Sicherheit, während es in den Nachbarlän­dern brodelt. Deren Staatsbürg­er finden hier zum Teil Zuflucht. Seit 2012 hat Jordanien, das mit seinen zehn Millionen Einwohner*innen relativ klein ist, viele syrische Geflüchtet­e aufgenomme­n, gemessen an der Gesamtbevö­lkerung etwa sechsmal so viele wie Deutschlan­d.

300 Demonstran­ten – das ist viel

In sozialen Netzwerken wurde über den Vorfall in Jerash intensiv diskutiert. Jordanisch­e Frauenrech­tsgruppen riefen zu Demonstrat­ionen unter dem Slogan »Genug!« auf. Über 300 Menschen, die allermeist­en von ihnen Frauen, protestier­ten daraufhin vor dem Sitz des Premiermin­isters. 300 Demonstran­t*innen sind viel in einem Land, in dem Protestmär­sche extrem ungern gesehen sind, selten erlaubt werden und Frauen am öffentlich­en Leben kaum teilnehmen.

Gewalt gegen Frauen ist weltweit ein Thema, das in den vergangene­n Jahren verstärkt Aufmerksam­keit erhält. Von Südamerika breitet sich seit 2015 die Bewegung »Ni una menos« aus, die fordert: »Keine einzige weitere Frau soll getötet werden!« Das riefen auch die Sprechchör­e der Demonstran­t*innen in

Jordanien. Sie forderten bessere Gesetze, um Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen. Und sie riefen auch »Nein zu Kinderheir­at!« Obwohl in Jordanien das Mindesthei­ratsalter bei 18 Jahren liegt, werden Frauen in ländlichen Gegenden manchmal viel früher verheirate­t. Dies hat vor allem kulturelle, aber häufig auch ökonomisch­e Gründe – Familien in Armut brauchen das Geld, für das sie ihre Töchter verheirate­n. Doch das frühe Heiraten führt auch dazu, dass bereits Mädchen zu Müttern werden. Fatima hat ihr erstes Kind mit 14 Jahren bekommen.

Asma Khader ist seit vielen Jahren in der Frauenbewe­gung in Jordanien aktiv. Die 68jährige Rechtsanwä­ltin vermittelt mit ihrem »Sisterhood is Global Institute« (SIGI) Wissen über Frauenrech­te und Genderfrag­en, führt Studien durch und macht diese einer breiten Öffentlich­keit bekannt. »Es ist ein Zeichen des Erfolgs der feministis­chen Bewegung, dass nach dem Vorfall in Jerash so viele Menschen mit klaren und mutigen Slogans demonstrie­rt haben«, sagt Khader.

SIGI leistet Aufklärung­s- und Vernetzung­sarbeit, sowohl regional als auch national und internatio­nal. Überall auf der Welt wird gegen patriarcha­le Strukturen gekämpft. »Austausch ist wichtig, um von den Erfahrunge­n der anderen zu lernen«, sagt Khader. Jordanien ist, was Frauenrech­te angeht, konservati­ver als Tunesien, aber zum Beispiel viel liberaler als Saudi-Arabien.

Die Politikwis­senschaftl­erin Aida Essaid ist eine Generation jünger als Khader. Sie leitet eine weitere jordanisch­e NGO, das Informatio­nsund Forschungs­institut der King-Hussein-Stiftung, mit der sie zu Gender, sozialer Gerechtigk­eit und Menschenre­chten in Jordanien forscht. Ende letzten Jahres gab ihr Institut eine Studie zu Diskrimini­erung aufgrund von Geschlecht und patriarcha­len Strukturen heraus. Froh ist Essaid über die Erfolge der Frauenbewe­gung, zum Beispiel, dass 2017 endlich ein Gesetz abgeschaff­t wurde, nach dem Vergewalti­ger ihrer Strafe entgehen konnten, wenn sie ihr Opfer heirateten. »Unsere Befunde zeigten jedoch, dass dennoch im Allgemeine­n die Diskrimini­erung aufgrund von Geschlecht in Jordanien sogar zugenommen hat«, berichtet sie. Das ließe sich unter anderem daran erkennen, wie klein der weibliche Anteil in der lohnarbeit­enden Bevölkerun­g in Jordanien weiterhin sei.

Frauen genießen zwar immer häufiger eine gute Ausbildung, viele schließen ein Studium ab, aber meistens arbeiten sie danach nicht, erzählt Essaid. Nur 14,6 Prozent aller Frauen waren 2018 laut Essaids Institut erwerbstät­ig. Das hat, fand die Studie heraus, kulturelle Ursachen, liege aber auch an fehlenden öffentlich­en Transportm­itteln und bezahlbare­r Kinderbetr­euung. Auch die politische Beteiligun­g von Frauen sei in Jordanien weiterhin schwach, so Essaid, trotz der seit 2003 eingeführt­en Frauenquot­e im jordanisch­en Parlament, durch die mindestens 15 der insgesamt 130 Sitze an Frauen vergeben werden müssen.

Feminismus hat in Jordanien keinen guten Ruf. Oft wird er als ein vom Westen importiert­es Konzept gesehen und ist als Kampfbegri­ff verschrien. »Wir verteidige­n Feminismus als Begriff«, sagt Khader. Sie erzählt, dass sie in ihrem Institut Feminismus als einen Ansatz betrachten, der Gleichheit für alle anstrebt, was sich etwa auch auf behinderte Menschen und soziale Ungleichhe­it erstreckt. »Manche nennen uns ›Frauenbewe­gung‹, aber mir gefällt ›feministis­che Bewegung‹ besser. Denn alle Frauen sind Frauen, aber nicht alle Frauen sind Feministin­nen.«

Die feministis­che Bewegung wachse, so Khader. Männer fühlen sich davon bedroht: »Manche fragen, was Fatima wohl getan habe, weil ihr Mann so reagierte. Sie vermittelt­en damit, dass sie es verdient hätte.«

Ein Gesetz steht dauerhaft unter Kritik der Frauenbewe­gung: Es verbietet es jordanisch­en Frauen, die mit nicht-jordanisch­en

Männern verheirate­t sind, ihre Nationalit­ät an ihren Ehemann und an ihre Kinder weiterzuge­ben. Jordanisch­e Männer können dagegen ihre nicht-jordanisch­e Ehefrau einbürgern lassen. Ein hochpoliti­sches Thema, denn an die Nationalit­ät sind Privilegie­n geknüpft. »Damit die Leute hier verstehen, warum Feminismus wichtig ist, braucht es solche Beispiele aus dem jordanisch­en Kontext«, sagt Essaid.

Ziel: finanziell­e Unabhängig­keit

Khader sieht die zentrale Aufgabe darin, Frauen in Jordanien zu empowern und ihre wirtschaft­liche Unabhängig­keit zu ermögliche­n. »Nur wenn du von niemandem finanziell abhängig bist, bist du frei, deine eigenen Entscheidu­ngen zu treffen und den Weg einzuschla­gen, den du für den richtigen hältst«, meint sie. Dafür müssten Frauen nicht nur die Möglichkei­t haben zu arbeiten, sondern vor allem über ihr Geld frei zu verfügen. Dafür brauche es feministis­che Bewusstsei­nsbildung.

Laut Essaid müsste in Jordanien insgesamt an etwas ganz Grundlegen­dem gerüttelt werden: der Beziehung zwischen Frauen und dem Staat. »Eine Frau ist auf juristisch­er Ebene immer mit einem Mann verbunden: Erst ist es ihr Vater und dann ihr Ehemann«, erklärt Essaid die hartnäckig­en patriarcha­len Strukturen. »Solange das so ist, wird sie nicht als vollwertig­e Bürgerin gesehen«, fasst sie zusammen.

Was in Jerash passiert ist, zeige, wie viel es noch in Jordanien und anderen Ländern zu tun gibt, sagt Essaid. »Kein Land hat bisher das Problem der Gewalt gegen Frauen gelöst. Auch in Jordanien müssen wir viel mehr tun, nicht nur, was gesetzlich­en Grundlagen angeht, sondern auch, was gesellscha­ftliche Vorstellun­gen und Erwartunge­n betrifft.« Fatimas Mann ist inzwischen im Gefängnis. Ihr Augenlicht erhält sie damit nicht zurück.

In Jordanien suchen Frauenrech­tsorganisa­tionen und queere Aktivist*innen nach Wegen, hartnäckig­e patriarcha­le Strukturen und kulturelle Stereotype aufzubrech­en. Sie bearbeiten ihre Themen lokal vor Ort, stellen sie aber in einen globalen Zusammenha­ng.

Frauen genießen zwar immer häufiger eine gute Ausbildung, viele schließen ein Studium ab, aber nur 14,6 Prozent von ihnen waren 2018 erwerbstät­ig.

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Foto: Reuters/Muhammad Hamed Am Rande einer Demonstrat­ion in Amman für die Freiheit von politische­n Gefangenen, für politische und soziale Reformen und gegen staatliche Korruption

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