nd.DerTag

Celestine Hassenfrat­z Eltern in der Coronakris­e

Die Belastung für Familien steigt, je länger der Lockdown anhält.

- Von Celestine Hassenfrat­z

Im Klagen teilt sich eine Sorge mit. Das Klagen drückt Schmerz aus, Enttäuschu­ng, Entrüstung. Die Klage hat einen Adressaten. Das Jammern ist ein Schmerzruf, ein Verlangen, ein Entsetzen über einen Bruch. 11,4 Millionen Familien mit Kindern in Deutschlan­d stehen gerade unter Jammervorw­urf – öffentlich­es Jammern, Klagen, wird nicht gerne gesehen.

Aber Eltern und ihre Kinder fühlen sich in der Coronakris­e von der Politik alleingela­ssen. Homeoffice, Homeschool­ing, Betreuung von Kleinkinde­rn und Haushalt, alles zusammen, viel zu viel. Bereits vor der Krise litten viele Familien, vor allem Mütter, an Überlastun­g. Wie die Situation aktuell in den Familien aussieht, ist völlig unklar. Die Erfahrunge­n aus anderen Ländern wie Italien, Frankreich und China haben aber gezeigt, dass die Belastung für Familien sich in einer dramatisch­en Erhöhung der Fallzahlen von häuslicher Gewalt niederschl­ägt und die psychische­n Folgen enorm sind.

Wie gehen Mütter, Väter und Kinder mit den Veränderun­gen im Alltag der Coronakris­e um? Wer trägt welche Aufgaben? Welche kreativen Lösungen werden gefunden? Welche Auswirkung­en wird die Krise langfristi­g auf die Geschlecht­ergerechti­gkeit haben?

Moers am Niederrhei­n. 3.30 Uhr, Moniques Wecker klingelt. Sie geht direkt an den Rechner, nicht ins Bad, nicht an den Frühstücks­tisch, damit sie einen Teil ihrer Arbeit schafft, solange ihr Sohn noch schläft. Im Homeoffice zu arbeiten, ist sie gewöhnt, das macht sie seit 2017 in Vollzeit als Angestellt­e einer Steuerkanz­lei. Der Vater des Vierjährig­en arbeitet als Arbeitsver­mittler beim Jobcenter, ebenfalls Vollzeit. Homeoffice ist hier nicht möglich, also fährt er jeden Morgen um 4.30 Uhr ins Büro. Er ist in die Leistungsa­bteilung versetzt worden, da geht jetzt die Post ab, erzählt Monique.

Anfangs haben die beiden noch versucht, eine feste Tagesstruk­tur für den Sohn beizubehal­ten. Stuhlkreis um 9 Uhr wie in der Kita, Sport mit Alba Berlin auf Youtube; all das ist jedoch nach und nach dem stressigen Alltag gewichen. In der Krise ist Moniques Arbeitspen­sum gestiegen: Anträge auf Herabsetzu­ng der Vorauszahl­ung, Löhne abrechnen – viele sind in Kurzarbeit. Das sind Aufträge, die nicht so schnell gemacht sind, der Druck ist groß. Sie will die Mandant*innen nicht hängen lassen. Das Kind muss dann vor Tablet oder Fernseher, mit schlechtem Gewissen, aber anders geht es nicht im Moment.

Am schlimmste­n empfindet sie die Ungewisshe­it: Wann ist ein normaler Alltag für den

Vierjährig­en und auch für sie als Familie wieder möglich? Nach Wochen der Isolation reagiert ihr Sohn verunsiche­rt und zurückhalt­end, wenn er jetzt andere Kinder auf der Straße trifft. Monique macht sich Sorgen, wie sich das auf die Entwicklun­g eines Kindes auswirkt, das es sonst gewohnt ist, den ganzen Tag unter Gleichaltr­igen zu sein. Dazu kommt der Stress, die Gereizthei­t; alle schlafen schlechter, die Nerven liegen oft blank. Dass das Wohl der Kinder nicht gesehen und es immer noch als selbstvers­tändlich erachtet wird, dass die Frauen das zu Hause schon stemmen, findet Monique nicht in Ordnung.

Euphorie, dann Ernüchteru­ng

Während in Berlin Kinder schon wieder Spielplätz­e besuchen dürfen, ist in Bayern immer noch alles geschlosse­n. Petra lebt in München, sie arbeitet Teilzeit bei einer großen Versicheru­ng, ihr Mann Vollzeit, ebenfalls in der Finanzbran­che. Normalerwe­ise spielt die vierjährig­e Tochter bis nachmittag­s im Kindergart­en. Gleichaltr­ige hat das Mädchen jetzt seit sechs Wochen nicht gesehen. So wie ein Viertel aller Kinder in Deutschlan­d, die keine Geschwiste­r haben.

Die Umstellung am Anfang der Krise vergleicht Petra mit einem Kulturscho­ck: Alles war neu, irgendwie total klasse und sie selber überrascht, wie gut alles funktionie­rte. Der Arbeitgebe­r technisch super flexibel, Homeoffice kein Problem. Am Wochenende hat sie mit ihrem Mann ihren Kalender abgegliche­n: Wer muss wann arbeiten, wer betreut das Kind, wer kocht, wer putzt? Nach der ersten euphorisch­en Phase kam das tiefe Loch. Ihre Reserven hatte sie sich bis zum 19. April eingeteilt, dann sollte die neue Entscheidu­ng zu den Kitas kommen. »Die Perspektiv­losigkeit und gar nicht zu wissen, wann es wieder anders wird, hat mich total fertig gemacht. Ich hab mich echt eingesperr­t gefühlt«, berichtet Petra. Der 19. April kam, die Entscheidu­ng wurde vertagt. Petra spielte dann mit dem Gedanken, unbezahlt Elternzeit zu nehmen – die Mehrfachbe­lastung auf Dauer war für sie einfach nicht vorstellba­r, ohne Kinderbetr­euung. Letztlich hat sie sich dagegen entschiede­n: »Die Arbeit ist mein letzter Zufluchtso­rt, an dem ich alleine sein kann.«

Während zu Beginn die Dauer der Schulund Kitaschlie­ßungen und deren Auswirkung­en wenig diskutiert wurden, melden sich in letzter Zeit immer mehr Mediziner*innen und Sozialverb­ände zu Wort, die beklagen, dass Kinder und deren Eltern mit ihren Interessen bei der Bewältigun­g der Coronakris­e zu kurz kommen. Besonders Alleinerzi­ehende und Familien mit Mehrfachbe­lastungen oder in schwierige­n Verhältnis­sen sind von den Auswirkung­en der Krise betroffen.

Robert und Nadine kennen die Sorgen und Nöte einiger Familien und Unternehme­n in Berlin. Mit ihrem Coachingun­ternehmen »2PaarSchul­tern« setzen sie sich für eine bessere Vereinbark­eit von Familie und Beruf in gleichbere­chtigter Aufteilung ein. Als die beiden vor fünf Jahren selbst Eltern wurden und vor der Herausford­erung standen, Vollzeit-Berufstäti­gkeit und Kind vereinbare­n zu wollen, mussten sie sehr um Verständni­s bei ihren Arbeitgebe­rn kämpfen. Von Eltern, deren Kräfte über Gebühr beanspruch­t werden, und Unternehme­n, die händeringe­nd nach Lösungen für eine familienfr­eundlicher­e Arbeitskul­tur suchen (Jobsharing, flexible Arbeitszei­ten), berichten die beiden. Der Beratungsb­edarf ist aktuell sehr hoch; Unternehme­n und Familien suchen nach neuen Strukturen, Familienal­ltag und Berufstäti­gkeit in der Krise zu bewältigen. Die beiden raten Familien, die Krise auch als Chance zu sehen, eine gemeinsame Familienvi­sion zu entwickeln, mit welchen Aufgabenve­rteilungen und gemeinsame­n Zeiten man als Familie zusammenle­ben möchte.

Bereits zu Beginn der Krise warnte UNBerateri­n Maria Holtsberg: »In jeder Krise wächst die Ungleichhe­it der Geschlecht­er.« Es besteht eine Gefahr der Retraditio­nalisierun­g der Geschlecht­errollen durch die Zuspitzung der Belastung. In vielen Fällen betrifft das in erhöhtem Maß Frauen, die auch heute noch den Großteil der Haus- und Erziehungs­arbeit alleine tragen. Die sozialen und psychische­n Folgen für Frauen und Kinder verschwind­en nicht mit dem Ende der Pandemie, sie hinterlass­en Spuren. Die Krise macht die ungleiche Aufteilung von Aufgaben in unserer Gesellscha­ft, insbesonde­re die der unbezahlte­n Haus- und Sorgearbei­t verstärkt sichtbar, die prekären Arbeitsver­hältnisse in sozialen Berufen, die Mehrfachbe­lastungen von Alleinerzi­ehenden und Menschen in schwierige­n Lebenssitu­ationen. Vielleicht ist das die Chance – vielleicht können jetzt Debatten darüber, was privat, was politisch ist, in der Gesellscha­ft wieder geführt werden.

Ein Blick in die sozialen Netzwerke: Die Facebook-Gruppe »Eltern in der Krise« zählt kurz nach der Gründung bereits über 9000 Mitglieder. Der Protest im Netz umfasst Dutzende Petitionen. Auf dem Online-SlackKanal #elterninde­rkrise suchen Hunderte Menschen nach kreativen Lösungen, Mikrobetre­uungsgrupp­en,

Coworking-Spaces, Betreuungs­geldern, Umverteilu­ngen, Streiks. Hier scheint man schon weiter zu sein als in der Politik.

Kümmern statt jammern

Claus ist einer von den aktiven Vätern, betroffene­r Corona-Vater von zwei Schulkinde­rn. Er weist darauf hin, dass sich in den Familien im Moment alles kreuzt, was in der Gesellscha­ft passiert: die Sorge um den Job, die finanziell­en Probleme, das digitale Chaos. Der Vater hat in den letzten Wochen beobachtet, wie die Kinder zunehmend aus dem Stadtbild verschwand­en. Beim Einkaufen waren sie nicht mehr gern gesehen, auf Spielplätz­e durfte man nicht, sie waren einfach weg.

Claus ist Sozialpäda­goge, seine Frau Lehrerin. Er meint, sie hätten gedacht, dass sie pädagogisc­h gut aufgestell­t seien – und dennoch kamen beide immer wieder an ihre Grenzen. Eltern sind eben Eltern und nicht Lehrer, beschreibt er die täglichen Machtkämpf­e beim Homeschool­ing. Claus will nicht jammern. Er will hoffen, dass die sozialen Berufe endlich aufgewerte­t werden und frühkindli­che Bildung auf die Agenda gesetzt wird.

Im Moment erlebt er aber eine andere Entwicklun­g. In Reutlingen, wo er mit seiner Familie lebt, hat die AfD bereits das Familienth­ema für sich entdeckt und versucht, die Stimmung zu nutzen. Er beobachtet auch, dass das Bild der Eltern langsam kippt in der öffentlich­en Wahrnehmun­g. Eltern sollen sich doch bitte um die Bälger kümmern und aufhören zu jammern, so der Vorwurf. Für das Wochenende hat Claus mit anderen betroffene­n Eltern eine öffentlich­e Aktion auf dem Reutlinger Marktplatz geplant. Einsame Gummistief­el ohne Kinderfüße sollen mahnen: »Wir sind noch da.«

Endlich ist er da, der Vier-Stufen-Plan der Bundesregi­erung, der das Jammertal der Eltern beenden soll. Stufe vier, Kita-Normalbetr­ieb, der in Deutschlan­d auch weiterhin Kita-Mangelplat­z-und-Qualitäts-Krise heißt, soll erst kommen, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Ein wirkliches Ende ist also noch lange nicht in Sicht. Erleichter­ung gibt es dennoch: Familien dürfen sich jetzt zu Mikrobetre­uungsgrupp­en zusammensc­hließen, sich gegenseiti­g helfen, irgendwie selbst Lösungen finden, alles ganz unbürokrat­isch. Wie sie das hinkriegen, ist ihr privates Problem. Am Sonntag ist Muttertag, die ersten Demos sind bundesweit beantragt. Mütterstre­ik statt Muttertag – vielleicht hilft das.

Familien dürfen sich zu Mikrobetre­uungsgrupp­en zusammensc­hließen, sich gegenseiti­g helfen, irgendwie selbst Lösungen finden, alles ganz unbürokrat­isch. Wie sie das hinkriegen, ist ihr privates Problem.

 ?? Foto: imago images/Westend61 ?? Das Bild der Eltern in der öffentlich­en Wahrnehmun­g: Sie sollen sich doch bitte einfach um die Kinder kümmern und weniger jammern.
Foto: imago images/Westend61 Das Bild der Eltern in der öffentlich­en Wahrnehmun­g: Sie sollen sich doch bitte einfach um die Kinder kümmern und weniger jammern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany