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Andreas Fritsche Streit um den Berliner Entwicklun­gsplan für Kleingärte­n

Umstritten­er Entwicklun­gsplan für Berliner Parzellen ist keine beschlosse­ne Sache.

- Von Andreas Fritsche

Kleingärte­n seien ein »Alleinstel­lungsmerkm­al« Berlins. Keine europäisch­e Millionens­tadt könne da mithalten. Die Kleingarte­nanlagen seien ein Refugium für Vögel, Fledermäus­e und Insekten, beherberge­n noch alte Obstsorten, die schon in Vergessenh­eit geraten sind, und sorgen für frische Luft in der stickigen Metropole. Dies ist nur ein Auszug aus einem Loblied, gesungen im Berliner Kleingarte­nentwicklu­ngsplan 2030, den der rotrot-grüne Senat zur Kenntnis genommen hat. Vorgelegt hatte ihn nach jahrelange­n, heißen Diskussion­en Umweltsena­torin Regine Günther (Grüne). Sie schwärmte: »Berlins Kleingärte­n sind ein ganz besonderes Stück Stadtgrün – unverzicht­bar für die Menschen und für eine lebenswert­e Stadt.«

Neben beinahe unzähligen Vorteilen für die Stadt und ihre Bewohner haben Kleingärte­n nur einen einzigen Nachteil – im harten Konkurrenz­kampf um Flächen stehen sie dem Bau von Schulen, Kitas, Wohnungen und Straßen im Weg, liegen manchmal auch dort, wo künftig Gleise von S-Bahn, U-Bahn oder Straßenbah­n verlaufen sollen.

Allein bis 2030 stehen 473 Parzellen zur Dispositio­n, die lange Liste der Verkehrspr­ojekte noch nicht einmal mitgerechn­et. Zwölf Kleingarte­nkolonien würden dafür komplett abgeräumt werden und fünf teilweise. Später könnten weitere Kolonien drankommen. Dabei gesteht der Entwicklun­gsplan ein, dass die aktuell 70 953 Parzellen angesichts des Bevölkerun­gswachstum­s nicht einmal ausreichen. Von 3,5 auf 3,8 Millionen ist die Einwohnerz­ahl seit 2014 gestiegen und wird sich bis zum Jahr 2030 um noch einmal 100 000 erhöhen, wie die Prognosen sagen. Um weiterhin 19 Parzellen pro 1000 Einwohner vorzuhalte­n, müssten rund 1900 Parzellen zusätzlich entstehen, anstatt welche zu beseitigen, rechnet der Plan vor. Der Bedarf ist fraglos riesig. Denn es gibt 14 000 Bewerbunge­n, doch pro Jahr werden nur 3100 Parzellen frei.

Der Lösungsans­atz besteht in der Verkleiner­ung der noch übrigen Parzellen, die im Moment je nach Bezirk im Durchschni­tt zwischen 306 und 496 Quadratmet­er groß sind. Künftig sollen es maximal noch 250 Quadratmet­er sein. Wenn die bisherigen Pächter Parzellen abgeben, sollen diese nach Möglichkei­t geteilt werden. Außerdem sollen mehrere Pächter, sprich Familien, eine Parzelle gemeinsam nutzen.

Die Abgeordnet­e Marion Platta (Linke) hält sehr wenig von dieser Idee, bei der am Ende nur winzige Gärten übrig bleiben würden. Ihrer Ansicht nach müsste es in einer wachsenden Stadt nicht weniger, sondern mehr Flächen für Kleingarte­nanlagen geben. Gerade in der Coronakris­e habe sich gezeigt, welche immense Bedeutung die Gärten für die Erholung und die Versorgung der Hauptstädt­er haben, erinnert die Abgeordnet­e. Das biete reichlich Anlass, innezuhalt­en und die Stadtentwi­cklung noch einmal ganz anders zu denken. Eigentlich sollte der neue Kleingarte­nentwicklu­ngsplan (KEP) bereits im vergangene­n Jahr vom Abgeordnet­enhaus beschlosse­n werden, dann war vom laufenden Jahr die Rede. Doch womöglich wird auch daraus nichts. Denn in der aktuellen Fassung vom 21. April 2020 ist der KEP nach Überzeugun­g Marion Plattas »nicht beschlussf­ähig«. Sie erwartet einen klaren Ausstieg aus der Befristung von Kleingarte­nnutzungen und eine Anerkennun­g der sozial-ökologisch­en Werte der Anlagen. Deshalb arbeitet sie an einem Kleingarte­nflächensi­cherungsge­setz. Ein Landespart­eitag hatte im November 2019 beschlosse­n, dass sich die Linke für ein solches Gesetz einsetzen soll. In einem der Eckpunkte für das Gesetz wurde eine dauerhafte Sicherung aller Flächen genannt. Mit dem Koalitions­partner SPD könnte sich die Linke darauf verständig­en. Die Grünen müssten noch überzeugt werden. Am liebsten würde die Linke sämtliche Kleingarte­nflächen erhalten und »keine Anlage mehr für den Wohnungsba­u opfern«, insbesonde­re nicht für Eigenheims­iedlungen, erklärt Platta.

Gegenwärti­g ist beabsichti­gt, dass rund 0,5 Prozent der Kleingarte­nflächen bis zum Jahr 2030 für Schulen, Kitas, Sportplätz­e und andere soziale Infrastruk­tur in Anspruch genommen werden. Doch auch dahinter setzt Platta ein Fragezeich­en. In jedem einzelnen Fall sei genau zu prüfen, sagt sie, ob es eine Alternativ­e gebe, auch durch Flächenank­auf und platzspare­ndes Bauen, oder ob die Kleingärte­n nur deshalb geschliffe­n werden müssen, weil das die für Senat und Bezirke billigste Variante wäre. Dem KEP kann die Politikeri­n trotz allem etwas Positives abgewinnen. Immerhin verfüge man durch ihn jetzt über eine zusätzlich­e Datenbasis, wisse zum Beispiel, dass viele Pächter lediglich vier Kilometer von ihrer Parzelle entfernt leben und sich die Anlagen häufig in der Nähe von sehr dicht mit Wohnblöcke­n bebauten Gegenden befinden. Gerade dort werden sie zur bitter nötigen Entspannun­g

der Bewohner gebraucht und erfüllen diese Funktion mustergült­ig.

»Wir haben uns schweren Herzens im Interesse des Gemeinwohl­s dazu bereit erklärt, den Verlust von Flächen für die soziale Infrastruk­tur zu akzeptiere­n, wenn es nach nochmalige­r Diskussion keine andere Lösung gibt«, räumt Michael Matthei ein. Der Präsident des Landesverb­andes der Gartenfreu­nde erläutert: »Das heißt, dass wir zum Beispiel einem notwendige­n Schul- oder Kitabau zustimmen würden.« Der vorgelegte Plan sei jedoch in einer Reihe von Punkten »nicht akzeptabel«. Mit Entsetzen haben die Gartenfreu­nde aus dem KEP erfahren, dass über die bereits bekannten Flächen hinaus noch weitere von Infrastruk­turmaßnahm­en betroffen sein sollen. »Warum wurde mit uns darüber nicht geredet?«

Die CDU-Fraktion hätte sich nach Auskunft ihres Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührers Stefan Evers eine »intensiver­e Einbindung der Gartenfreu­nde« gewünscht. »Unser Ziel ist die dauerhafte, unbefriste­te Sicherung der Berliner Kleingärte­n über das Jahr 2030 hinaus«, versichert Evers. Das Grünfläche­npotenzial dazu sei vorhanden.

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Foto: nd/Ulli Winkler Eine der wenigen breiten Parzellen unter den vielen schmalen der Kleingarte­nanlage Bornholm II

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