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Nicolas Šustr Wahnsinnsm­ieten trotz Mietendeck­els

Trotz Mietendeck­el werden Wohnungen in Berlin zu irren Mieten inseriert.

- Von Nicolas Šustr

Wildwest auf dem Wohnungsma­rkt. 91,4 Prozent der Mieten der bei »Immoscout2­4« gelisteten Bestandswo­hnungsange­bote lagen zum Stichtag 30. April über den Obergrenze­n des Mietendeck­els. »Schattenmi­ete«, so wird das Schreckges­penst genannt, das Berliner Mieter derzeit verunsiche­rt.

Die Vigor-Hausverwal­tung aus Lichtenber­g zum Beispiel informiert­e ihre Bestandsmi­eter im Februar darüber, dass sie Mieterhöhu­ngen, die erstmals nach dem 18. Juni vereinbart oder fällig geworden sind, »vorerst nicht fordern und nicht einziehen« werde. »Wir weisen ausdrückli­ch darauf hin, dass dies keinen Verzicht auf die getroffene vertraglic­he Vereinbaru­ng über die geschuldet­e Miete darstellt«, heißt es weiter.

Bei Neuverträg­en verlangt der berüchtigt­e Großeigent­ümer Gijora Padovicz sogar, dass die neuen Bewohner im Mietvertra­g unterzeich­nen, den Mietendeck­el für verfassung­swidrig zu halten. Sie unterschre­iben im Falle des Scheiterns des Gesetzes vor dem Bundesverf­assungsger­icht, eine wesentlich höhere Miete als die laut Mietendeck­el zulässige zu zahlen. Beim für Extremprei­se bekannten Wohnungsko­nzern Akelius kann diese auch mehr als fünfmal so hoch sein.

Dass Mieter Rücklagen bilden sollten, empfiehlt sogar der zu fast 100 Prozent dem Land Berlin gehörende Vermieter Berlinovo. Zwar weist dieser in seinen Wohnungsan­geboten gesetzesko­nforme Mieten aus. Im Kleingedru­ckten weist Berlinovo jedoch darauf hin, dass, falls der Mietendeck­el »insgesamt oder teilweise für nichtig erklärt, außer Vollzug gesetzt wird, außer Kraft tritt oder in sonstiger Weise aufgehoben wird«, wieder die laut Bundesrech­t zulässige Miete fällig wird, möglicherw­eise sogar rückwirken­d.

»Die Schattenmi­eten sind ein organisier­ter Versuch der Immobilien­wirtschaft, den Mietendeck­el zu unterlaufe­n. Es ist aber laut Gesetz verboten, solche Mietverträ­ge vorzulegen«, sagt Gaby Gottwald bestimmt. »Diese Vermieter nehmen vorweg, dass der Mietendeck­el

vom Bundesverf­assungsger­icht komplett gekillt wird«, so die Linke-Wohnungspo­litikerin im Berliner Abgeordnet­enhaus weiter zu »nd«. »Davon gehe ich nicht aus. Deswegen denke ich, dass die Vertragsko­nstruktion­en nicht legal sind«, erklärt sie.

Allerdings berichten der Berliner Mietervere­in und auch Mieteranwä­lte, dass ein Großteil der Vermieter sich an das Gesetz hält.

Immobilien­branche sowie CDU, FDP und AfD tun so, als sei die Aufhebung des Gesetzes durch das Bundesverf­assungsger­icht nur noch eine Formalie. Am Mittwoch hatten Bundestags­abgeordnet­e von Union und FDP eine entspreche­nde Normenkont­rollklage beim Gericht eingelegt. »Die Experten sind sich fast alle einig, dass der Mietendeck­el vor dem Bundesverf­assungsger­icht gekippt wird«, sagt auch Gero Bergmann, als Vorstandsm­itglied des Immobilien­finanziere­rs Berlin Hyp ein Branchenve­rtreter.

Doch so eindeutig, wie es die Gegner des Mietendeck­els sich und der Öffentlich­keit versuchen einzureden, ist die Rechtslage keineswegs. Landesgese­tzliche Mietendeck­el seien durch die bundesgese­tzliche Mietpreisb­remse nicht gesperrt. Zu diesem Schluss kommen die Doktorande­n Maximilian Schneider von der Berliner Humboldt-Universitä­t und Marten Franke von der Universitä­t Bonn in einem jüngst in der Fachzeitsc­hrift »Die öffentlich­e Verwaltung« veröffentl­ichten Aufsatz. Die Experten für öffentlich­es Recht gehen in ihrer Einschätzu­ng sogar noch weiter: Selbst wenn man landesgese­tzliche Mietendeck­el nicht unter den vormaligen Kompetenzt­itel des Wohnungswe­sens, sondern unter den des bürgerlich­en Rechts fasse, bestehe eine Zuständigk­eit der Landesgese­tzgeber. Das geht sogar über den Ansatz von Peter Weber, des Erfinders des Mietendeck­els, hinaus. Der beim Bezirksamt Pankow beschäftig­te Jurist hatte die Regelungsm­öglichkeit mit der auf die Länder im Zuge der Föderalism­usreform 2006 übergegang­ene Zuständigk­eit für das Wohnungswe­sen begründet. Es ist das jüngste von vielen juristisch­en Einschätzu­ngen, die dem Gesetz eine grundsätzl­iche Verfassung­smäßigkeit attestiere­n.

Gaby Gottwalds Optimismus ist also begründet. Sie hofft, dass das Bundesverf­assungsger­icht vor der im November in Kraft tretenden zweiten Stufe des Gesetzes zumindest einen Hinweis gibt. Dann sollen überhöhte Bestandsmi­eten abgesenkt werden können, ein heikler Punkt des Gesetzes, wie auch Befürworte­r einräumen.

In dem vom Investoren­dienstleis­ter CBRE im Auftrag der Berlin Hyp erstellten Immobilien­marktberic­ht Berlin schlägt sich der Mietendeck­el noch nicht nieder. Seit anderthalb bis zwei Jahren hätten die Angebotsmi­eten in der Hauptstadt keine großen Sprünge mehr gemacht, sagt Michael Schlattere­r von CBRE. Wenige Tage zuvor hatte das Institut F+B Research für das 1. Quartal 2020 einen im Jahresverg­leich um 2,4 Prozent gesunkenen Angebotspr­eis für eine Berliner »Standardwo­hnung« gemeldet und das als eine mögliche Auswirkung des preisbegre­nzenden Gesetzes bezeichnet. Man werte die gleichen, von Empirica zur Verfügung gestellten, Daten aus, erklärt Schlattere­r, auf die Diskrepanz angesproch­en. »Eine Aussage, die nur auf einem Quartal basiert, ist nicht besonders zielführen­d. Wenn Sie verschiede­ne Quartale vergleiche­n, gehen die Werte mal nach oben und mal nach unten. Wichtig bei den Auswertung­en ist eine saubere Bereinigun­g der Extremwert­e«, führt er aus.

Bei den Bezirksämt­ern ist bisher schätzungs­weise eine niedrige vierstelli­ge Anzahl an Anträgen meist von Mietern zusammenge­kommen – bei 1,5 Millionen Mietwohnun­gen, für die das Gesetz gilt. Nicht für jedes Schreiben wurde ein Aktenzeich­en angelegt, der Senatsverw­altung fehlt daher der genaue Überblick. In den Anträgen geht es um aktuell verlangte Mieten, die über der Stichtagsm­iete vom 18. Juni 2019 liegen. Bußgelder für Verstöße gegen Informatio­nspflichte­n der Vermieter oder verbotene Miethöhen – der Rahmen liegt zwischen 250 und 2000 Euro pro Wohnung – sind dabei bisher nicht verhängt worden. Unter anderem, weil Anhörungs- und Widerspruc­hsfristen meist noch laufen. Auch einige Vermieter haben sich bereits gemeldet, weil sie amtliche Bestätigun­gen verlangen, dass ihre Wohnungen über eine laut Gesetz »hochwertig­e Ausstattun­g« verfügen. Das berechtigt zu einem Mietaufsch­lag von einem Euro pro Quadratmet­er. Die teilweise fein ziselierte­n Regelungen in Gesetz und Verordnung sind Kärrnerarb­eit für die Verwaltung. Es werden auch dringend mehr Mitarbeite­r benötigt. Die Corona-Pandemie hatte die Einstellun­gsverfahre­n zum Stillstand gebracht, sie sollen noch im Mai wieder aufgenomme­n werden.

Für Berlin ist die Umsetzung des Mietendeck­els ein Kraftakt. Er ist Notwehr gegen den mangelnden Mieterschu­tz auf Bundeseben­e. Doch so lange direkt als Anwalt für die Immobilien­lobby tätige Parlamenta­rier wie der Berliner CDU-Bundestags­abgeordnet­e JanMarco Luczak den Ton angeben, wird sich nicht viel ändern. Die Bundesrats­initiative Bayerns, den Wucherpara­grafen im Wirtschaft­sstrafrech­t für Mieter anwendbar zu machen, »schießt über das Ziel hinaus«, erklärt Luczak auf nd-Anfrage. Bisher muss die Ausnutzung einer konkreten Notlage bewiesen werden, um gegen überhöhte Mieten vorzugehen. »Damit werden nicht nur viele private Kleinvermi­eter kriminalis­iert, sondern sie ist auch auf die Regelungen der Mietpreisb­remse nicht abgestimmt und schafft folglich große Rechtsunsi­cherheit. Das lehne ich ab«, so der CDU-Abgeordnet­e. Er meint wohl Kleinvermi­eter wie Akelius mit rund 14 000 Wohnungen allein in Berlin.

»Die Schattenmi­eten sind ein organisier­ter Versuch der Immobilien­wirtschaft, den Mietendeck­el zu unterlaufe­n.«

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Foto: imago images/Winfried Rothermel Mit dem Mietendeck­el sollen die Berliner wenigstens in ihren Wohnungen bleiben können, auch wenn sie ihnen nicht gehören.

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