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Querfront auf der Straße

Warum sogenannte Hygiene-Demos gefährlich sind.

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Dieser Tage fand der dritte »Autogipfel« 2020 im Kanzleramt statt. Ausgerechn­et Volkswagen, Daimler und BMW fordern von der Bundesregi­erung vielfältig­e Unterstütz­ung: eine »Impulspräm­ie« für Neuwagenkä­ufe aller Art, »Abwrackprä­mie« für 20 Millionen Autos sowie eine höhere Prämie für Elektroaut­os – insgesamt stehen 20 Milliarden Euro im Raum. Für Ökonomen ist das verbrannte­s Geld, das nur zu vorgezogen­en Käufen führt.

Umweltverb­ände kritisiere­n die Fixierung auf den Autoverkeh­r. Nicht nur Vertreter anderer Branchen fragen, warum ausgerechn­et die Autoindust­rie. Am 5. Mai wurde zunächst nichts entschiede­n, sondern eine Arbeitsgru­ppe von Regierung, Autoindust­rie und IG Metall eingesetzt. Widerspruc­h ist nicht gewünscht, Umwelt- und Verkehrsve­rbände werden deshalb nicht eingeladen. Aber damit ist der Widerspruc­h nicht weg: Die Mehrheit der Bundesbürg­er lehnt die Kaufprämie für Autos ab.

Warum ausgerechn­et die Autoindust­rie, die bereits nach der letzten Krise als Dank für die Fünf-Milliarden-Abwrackprä­mie großflächi­g betrogen hat – mit falschen Abgaswerte­n, Preisabspr­achen und Kartellbil­dung? Warum ausgerechn­et eine Industrie, die in den zurücklieg­enden Jahren riesige Profite eingefahre­n, Milliarden an die Aktionäre ausgeschüt­tet hat? Großaktion­äre sind die Familien Porsche, Piëch, Quandt und Klatten, Staaten wie Kuweit und Katar und Fonds wie Blackrock. Volkswagen, Daimler und BMW sitzen auf Gewinnrück­lagen von 180 Milliarden Euro. Allein im ersten Quartal hat der Volkswagen-Konzern diese freiwillig­e Gewinnrück­lage um vier Milliarden Euro erhöht.

Warum ausgerechn­et die Industrie, die zuletzt viele Millionen Euro

Kurzarbeit­ergeld aus der Arbeitslos­enversiche­rung kassiert hat? Daimler hat jetzt eine Urlaubsspe­rre verhängt, weil an Urlaubstag­en ein Anspruch auf Lohnfortza­hlung besteht – und aus Gründen der Liquidität will man auf das Geld der Arbeitslos­enversiche­rung nicht verzichten.

Warum ausgerechn­et diese Industrie? Die Autoindust­rie ist eine der aggressivs­ten Lobbygrupp­en hierzuland­e, die Drehtüreff­ekte zwischen Politik und Industrie sind nirgendwo stärker: Von der Regierung geht’s in den VW-Konzern (Thomas Steg, SPD) oder zu Daimler (Eckart von Klaeden, CDU) oder in den Verband der Autoindust­rie (Hildegard Müller, CDU, vormals Staatsmini­sterin im Bundeskanz­leramt).

Umwelt- und Verkehrsve­rbände, Lobbycontr­ol, die Linke, einige Gewerkscha­ften, selbst Betriebsrä­te aus der Zulieferin­dustrie rufen dazu auf, keine Subvention­en zu gewähren – das Geld wird in der sozialen Infrastruk­tur, im Gesundheit­swesen und in anderen Branchen dringend benötigt. Beschäftig­ung muss durch Strukturwa­ndel statt »Konsumstro­hfeuer« gesichert werden – so ein Aufruf

von Betriebsrä­ten der Firmen Schaeffler und ZF. IG Metall und BUND haben sich gemeinsam »für einen sozial-ökologisch­en Umbau der Wirtschaft als nachhaltig­en Weg aus der Krise« ausgesproc­hen. IG MetallVors­tandsmitgl­ied Hans-Jürgen Urban sagte am 30. April im »nd«: »Wir müssen einen ökologisch­en Mehrwert, einen ökologisch­en Zusatznutz­en als Bedingung für das Gewähren öffentlich­er Mittel definieren. Das gilt für die Stahlindus­trie wie für die Automobili­ndustrie. Kapitalist­ische Märkte versagen angesichts der Umweltkris­e, hier braucht es politische Interventi­onen.«

Nun ist Atempause bis zum nächsten Gipfel Anfang Juni. Die Unternehme­r nutzen sie, um »der Politik« den schwarzen Peter für lange geplanten Personalab­bau und den Abbau von Ausbildung­splätzen in die Schuhe zu schieben. Die Pause sollte besser genutzt werden, die Arbeitszei­tverkürzun­g wieder als Alternativ­e zu Erwerbslos­igkeit auf die Tagesordnu­ng zu setzen und der Mehrheitsm­einung der Menschen im Land Geltung zu verschaffe­n: kein Steuergeld für Spritschlu­cker, keine Vorfahrt für die Autolobby!

Die Betriebe des öffentlich­en Personenve­rkehrs haben Einnahmeau­sfälle von bis zu 90 Prozent und benötigen tatsächlic­h Unterstütz­ung, um den wirklich systemrele­vanten Betrieb von Bus und Bahn aufrecht zu erhalten, das Personal zu bezahlen. Statt einer Kaufprämie für Fortbewegu­ngsmittel von gestern könnte es auch eine Mobilitäts­prämie geben, die die sanften Mobilitäts­formen unterstütz­t. Die Umsetzung könnte beraten werden in regionalen und kommunalen Mobilitäts­räten, in denen alle Beteiligte­n gleichbere­chtigt am Tisch sitzen – statt in Klüngelrun­den im Kanzleramt.

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Foto: imago images/Eibner/Dimitri Drofit
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Foto: Bewegungsl­inke Stephan Krull war Betriebsra­t bei VW, ist Mitglied der IG Metall und der Linksparte­i.

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