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Künstler in der Krise

Mit dem Soforthilf­eprogramm gibt es zwiespälti­ge Erfahrunge­n.

- Von Inga Dreyer

Ein Konzert nur mit Logenplätz­en: Klingt nobel, ist aber eine aus der Krise geborene Idee. Ein Quartett des Freiburger Barockorch­esters wird in einem Innenhof spielen, während Anwohner*innen von ihren Balkonen aus zuhören können. »Wir suchen nach Möglichkei­ten: Was können wir online anbieten – und was ist live im Rahmen der Regeln möglich«, berichtet Martin Bail, zuständig für die Dramaturgi­e sowie die Presse- und Öffentlich­keitsarbei­t des freien Orchesters. Es fehle den Musiker*innen, vor Publikum zu spielen. Was ihnen noch fehlt – und woran auch ein Balkonkonz­ert nichts ändern kann – ist Geld.

Freie Orchester und Ensembles trifft die Coronakris­e hart. Sie leben vor allem von Auftritten – die nun abgesagt wurden. Aus förderrech­tlichen Gründen dürfen sie keine oder kaum Rücklagen bilden, ihre Budgets basieren zu 75 Prozent oder mehr auf eigenen Einnahmen, heißt es in einem offenen Brief des Vereins FREO – Freie Ensembles und Orchester in Deutschlan­d – an Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters.

Die Botschaft kam an. Ende April kündigte Grütters bis zu 5,4 Millionen Euro Soforthilf­e für freie Orchester und Ensembles an – ebenso wie eine Honorar-Ausfallreg­elung für Engagement­s, die wegen der Coronakris­e abgesagt wurden. Kultureinr­ichtungen und Projekte, die vom Bund gefördert werden, können Ausfallhon­orare von bis zu 60 Prozent der vereinbart­en Gage zahlen.

Für die Soforthilf­e wurden Gelder aus dem Förderprog­ramm »Exzellente Orchesterl­andschaft Deutschlan­d« umgewidmet. »Das finden wir begrüßensw­ert«, sagt Lena Krause, Geschäftsf­ührerin von FREO. Nun werde der Verein beobachten, wie das Programm umgesetzt wird – und an welchen Stellen freie Ensembles und Orchester durchs Raster fallen. »Unser Anspruch ist es, dass die Vielfalt der Szene abgebildet wird«, betont

Krause. Beim Thema Ausfallhon­orare komme es darauf an, wie die Verfahrens­regeln ausgestalt­et werden, sagt die Geschäftsf­ührerin. FREO fordert außerdem einheitlic­he, an das staatliche Kurzarbeit­ergeld angelehnte Regelungen für Projekte, die über Landesmitt­el finanziert werden. In einigen Bundesländ­ern gebe es bereits entspreche­nde Verfahrens­weisen, in anderen noch nicht.

Ensembles und Orchester machen unterschie­dliche Erfahrunge­n mit Ausfallhon­oraren. »Oft ist das nicht vertraglic­h geregelt. Es gibt Veranstalt­er, die kulant waren und eine Art Anzahlung für verschoben­e Konzerte geleistet haben«, berichtet Lisa Nolte, Managerin des Ensembles Mosaik, einer Berliner Formation für zeitgenöss­ische Musik. Auch die Leipziger Combo CAM, eine junge Konzertfor­mation für Alte Musik, ist auf Kulanz angewiesen. »Bisher haben wir von einem Veranstalt­er 40

Prozent der ausgemacht­en Gage bekommen. Von allen anderen kam bislang nichts«, berichtet Babett Niclas, Harfenisti­n des achtköpfig­en Ensembles Combo CAM.

Auch das Freiburger Barockorch­ester hofft auf den guten Willen der Veranstalt­er – und den des Publikums. »Die wenigsten geben ihre Tickets zurück. Viele haben gespendet«, erzählt Martin Bail. Gesellscha­fter*innen des Freiburger Orchesters sind die 29 Musiker*innen. Proben und Auftritte werden nach Tagessätze­n bezahlt. Das bedeutet: kein Konzert, kein Geld. »Das ist für die Musiker*innen katastroph­al«, sagt Bail. Über institutio­nalisierte Fördertöpf­e von Stadt und Land könne die Verwaltung des Orchesters

am Laufen gehalten werden. Aber die entfallene­n Musiker*innenHonor­are zu ersetzen, sei nur bedingt möglich, sagt der Dramaturg und Pressespre­cher.

Das Freiburger Barockorch­ester hat Monika Grütters in ihrer Mitteilung als Beispiel für Antragsber­echtigte des neuen Programms erwähnt. Antragstel­ler könnten bis zu 200 000 Euro erhalten. Aber: Es muss eine Idee her. Denn der Schwerpunk­t des Programms liegt auf »der Förderung von Präsentati­ons- und Vermittlun­gsformaten, die in Reaktion auf die besonderen Bedingunge­n der Pandemie entwickelt werden«.

Das Programm ist also eine Chance, sich mit der aktuellen Situation auseinande­rzusetzen und in der Krise neue Ideen zu entwickeln. Die Soforthilf­e gleiche aber nicht die Honoraraus­fälle aus, betont Ernst Surberg, Pianist des Ensembles Mosaik. Denn anders als beispielsw­eise Kurzarbeit­ergeld ist das neue Soforthilf­eProgramm an konkrete Projektvor­schläge gebunden. Es sei zu hoffen, dass dadurch Kreativitä­t freigesetz­t werde, sagt Babett Niclas. Wie das Freiburger Barockorch­ester und das Ensemble Mosaik möchte sich auch Combo CAM bewerben – eventuell mit einem Projekt zusammen mit einem Filmemache­r.

Das Problem sei, dass viele Musiker*innen unter den aktuellen Bedingunge­n gar nicht in der Lage seien, sich innovative Konzepte auszudenke­n, sagt Babett Niclas. »Viele sind total fertig. Die Realität ist, dass Menschen um ihre Existenz bangen.« Einige unterricht­eten ihre Musikschül­er*innen online – aber abgesehen davon bleiben kaum Einnahmequ­ellen.

Zwar gibt es das Bundesprog­ramm »Corona-Soforthilf­e für Kleinstunt­ernehmen und Soloselbst­ständige«. Das jedoch ist für laufende Betriebsko­sten gedacht, die Musiker*innen nicht oder nur in geringem Umfang haben. Zusätzlich gibt es auf Landeseben­e unterschie­dliche Programme. In Berlin sind die Mittel – mit weniger strengen Antragskri­terien – schon seit einiger Zeit ausgeschöp­ft. Nur einige Musiker*innen hätten davon profitiert, berichtet Ernst Surberg vom Ensemble Mosaik. Was bleibt, ist Arbeitslos­engeld II.

»Ich finde es nicht schlimm, Grundsiche­rung zu beantragen«, sagt Surberg. Was ihn störe, sei, dass die Not engagierte­r Künstler*innen in der Krise zur Privatsach­e erklärt werde. Schließlic­h sei freie Kunst etwas, was gesellscha­ftlich gewollt sei. Aktuell aber sehe das anders aus: »Die Rolle des Künstlers wird zurückgedr­eht.« Er beobachte einen Rückfall in eine fast romantisch­e Sichtweise auf den in Armut lebenden Künstler. Einige Musiker*innen haben sich bewusst für künstleris­che Freiheit und Selbststän­digkeit entschiede­n. Für andere hingegen gebe es schlichtwe­g keine andere Möglichkei­t, denn die Anzahl fester Stellen sei begrenzt, erklärt Babett Niclas.

Monika Grütters unterstric­h in ihrer Soforthilf­e-Ankündigun­g die Bedeutung freier Ensembles und Orchester in Deutschlan­d. »Für die Vielfalt unserer Musiklands­chaft spielen sie eine zentrale Rolle«, betont auch Lena Krause von FREO. »Sie sind diejenigen, die künstleris­che Innovation­en vorantreib­en, mit Organisati­onsstruktu­ren experiment­ieren und neue Konzertfor­mate ausprobier­en.« Außerdem seien sie als Kulturbots­chafter*innen stark im internatio­nalen Raum vertreten. »Durch den Wegfall ihrer Arbeit wird ein riesiges Loch in unsere Kulturland­schaft gerissen.«

Um sich für die Soforthilf­e zu bewerben, arbeiten Musiker*innen nun an Konzepten für krisenfest­e Formate. Der kreative Prozess laufe weiter, auch wenn das auf Distanz schwierige­r sei, erzählt Ernst Surberg. Trotz aller momentan aufkeimend­en Ideen zu Streaming- oder Video-Formaten: Der Kontakt mit dem Publikum bei Live-Konzerten sei etwas Besonderes, betont der Pianist. »Da gibt es eine Spannung, die sich vorher über Tage oder Wochen aufbaut. Die Energie ist dann viel höher, als wenn man zu Hause herumsitzt.«

Den Pianisten Ernst Surberg stört, dass die Not engagierte­r Künstler*innen in der Krise zur Privatsach­e erklärt wird.

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Foto: Anja Weber Wenn die Musiker*innen nicht spielen dürfen: Ensemble Mosaik

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