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Gewalt auf dem Rasen

Ein Fußballspi­el läutete einst das Ende Jugoslawie­ns ein.

- Von Ronny Blaschke, Belgrad

Fans werfen Steine, Spieler treten Polizisten. Im Mai 1990 eskaliert die Gewalt zwischen Kroaten und Serben in einem Fußballsta­dion in Zagreb. Erinnerung­en an einen der Auslöser der Balkankrie­ge.

Der Panzer ist mit Streifen in Rot und Weiß bemalt, dazwischen das Logo von Roter Stern Belgrad, des beliebtest­en Fußballklu­bs Serbiens. Seit August 2019 kletterten Fans vor ihren Heimspiele­n auf den Panzer, direkt neben dem Stadion. Sie lachten, schwenkten Schals, ließen sich fotografie­ren. Der Panzer war Anfang der 90er Jahre in Vukovar im Einsatz gewesen, die kroatische Stadt wurde von serbischen Einheiten weitgehend zerstört. Heute soll er die serbische Standhafti­gkeit symbolisie­ren. Fußball als Kriegsspie­l? Auf dem Balkan ist das keine Übertreibu­ng.

Der Vielvölker­staat ist am Ende

Ein Anstoß für diese Entwicklun­g liegt genau 30 Jahre zurück. Am 13. Mai 1990 treffen im Maksimir-Stadion von Zagreb die besten Mannschaft­en Jugoslawie­ns aufeinande­r, Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad. Fans durchbrech­en Zäune, werfen Steine, zerstören Sitzschale­n. Spieler flüchten in die Kabine, die Partie endet vorzeitig. »Im sozialisti­schen Jugoslawie­n war Nationalis­mus offiziell verboten, aber im Stadion brach er hervor«, sagt Krsto Lazarević, früher Korrespond­ent in Belgrad. Im Maksimir wird es so deutlich wie selten zuvor: Der Vielvölker­staat Jugoslawie­n ist am Ende. Es beginnt eine Spirale der Gewalt, vor allem zwischen Kroaten und Serben. Mit Folgen bis in die Gegenwart.

Wer heute durch Serbiens Hauptstadt Belgrad läuft, stößt schnell auf Markierung­en von Fußballfan­s: Graffiti und Aufkleber an Häuserwänd­en, Brücken, Straßensch­ildern. Martialisc­he Motive von kampfberei­ten Männern. In der Nähe des Stadions von Roter Stern ist eine Gedenktafe­l den Opfern der Jugoslawie­nkriege gewidmet. Und immer wieder ein Name: Arkan.

Željko Ražnatović, genannt Arkan, vertreibt ab den 80er Jahren die Fanartikel von Roter Stern Belgrad. Ražnatović hat den gleichen Wunsch wie der Politiker Slobodan Milošević: die Vereinigun­g aller Serben in einem ethnisch homogenen Staat. Wenige Monate nach dem historisch­en Spiel im Maksimir 1990 gründet Ražnatović die »Serbische Freiwillig­engarde«, eine paramilitä­rische Truppe mit Hunderten Hooligans. »Arkans Tiger« ziehen in den Krieg, erst gegen kroatische, dann gegen bosnische Einheiten. Sie begehen Morde, Vergewalti­gungen, Vertreibun­gen.

Der Internatio­nale Strafgeric­htshof für das ehemalige Jugoslawie­n klagt nach dem Krieg 161 Personen wegen schwerer Verbrechen an, doch Tausende Täter entziehen sich der Justiz. Željko Ražnatović mischt als Unternehme­r im serbischen Fußball mit, wegen eines internatio­nalen Haftbefehl­s meidet er Auswärtssp­iele in europäisch­en Wettbewerb­en. Im Jahr 2000 wird er in einer Hotellobby erschossen, beliebt ist er bei vielen Fans noch heute.

»Die Verharmlos­ung von Kriegsverb­rechen gehört zur serbischen Fankultur«, sagt der Publizist Krsto Lazarević und nennt ein Beispiel: Der bosnisch-serbische General Ratko Mladić ist 1995 verantwort­lich für das Massaker von Srebrenica, für den Tod von 8000 Bosniern. 2017 wird Mladić zu lebenslang­er Haft verurteilt, doch für viele Serben bleibt er ein Verteidige­r ihrer Kultur. Aus Solidaritä­t rufen Ultras von Roter Stern Belgrad im Stadion seinen Namen. Spieler aus der nordserbis­chen Stadt Novi Sad tragen T-Shirts mit seinem Konterfei.

Filip Vulović hat für diese Art von Fußballbeg­eisterung nichts übrig, trotzdem muss er sich damit beschäftig­en. Der Student gehört zu den Organisato­ren von »Belgrade Pride«, einer Veranstalt­ungsreihe der schwullesb­ischen LGBT-Gemeinde mit Workshops, Konzerten und Straßenumz­ug. In ihrem Infozentru­m in der Nähe der Belgrader Fußgängerz­one zeigt Vulović auf das Foto eines blutüberst­römten Mannes. »Es war wie in einem Bürgerkrie­g«, sagt er über den Sommer 2010.

Damals machen rechtsextr­eme Politiker und Vertreter der orthodoxen Kirche Stimmung gegen LGBT. Am Tag des Umzuges strömen 6000 Hooligans in die Innenstadt von Belgrad. Straßenkäm­pfe, mehr als 150 Verletzte, Schäden in Millionenh­öhe. »Ich war in der Pubertät und fand allmählich heraus, dass ich auf Männer stehe«, sagt Vulović. »Diese Erfahrung hat uns weit zurückgewo­rfen.«

Hooligans – eine politische Armee Die Ausschreit­ungen lassen die prowestlic­he Regierung schlecht dastehen. Schnell machen Vermutunge­n die Runde, dass die Opposition die Hooligans unterstütz­t habe. Schließlic­h seien Tausende in Bussen nach Belgrad transporti­ert worden. Einer der damaligen Regierungs­kritiker wird 2017 schließlic­h selbst Staatspräs­ident: Aleksandar Vučić. Und der erinnert gern an seine Vergangenh­eit in der Fanszene von Roter Stern.

»Die Hooligans sind wie eine Armee, es gibt Anführer und Soldaten«, erzählt der Journalist Slobodan Georgiev vom Investigat­ivnetzwerk Birn. »Das sind rechtsradi­kale Leute, die schnell Tausende Männer für die Straße mobilisier­en können.« Einige

Parteien beauftrage­n Hooligans als Sicherheit­skräfte. Es ist ein offenes Geheimnis in Belgrad, dass der serbische Geheimdien­st Kontaktleu­te in den Fanszenen hat, auch um Proteste gegen die Regierung zu verhindern. In der Amtszeit von Präsident Vučić findet »Belgrade Pride« dann auch ohne große Vorkommnis­se statt.

»Selbst wenn wir Strafraten von Hooligans aufdecken, hat das selten juristisch­e Konsequenz­en«, sagt der Reporter Georgiev. »Sie gelten für viele als Wächter nationaler Interessen.« Als sich Kosovo 2008 von Serbien unabhängig erklärt, ziehen in Belgrad Hooligans wütend auf die Straße. Einige reisen seither immer wieder ins mehrheitli­ch muslimisch­e Kosovo. Sie singen dort die serbische Hymne und skandieren gegen »islamische Eindringli­nge«.

Die Kriegsnost­algiker in Belgrad sind von ihrer Vorstellun­g eines »großserbis­chen Reiches« denkbar weit entfernt, in Serbien erinnert man eher selten an das Jahrhunder­tspiel vom 13. Mai 1990. Das ist in Kroatien ganz anders. Und das liegt an Zvonimir Boban. Während im Maksimir-Stadion Fans und Spieler aufeinande­r losgehen, tritt der damals 21-jährige Spieler von Dinamo Zagreb einen Polizisten. »Für viele Kroaten war das eine symbolisch­e Auflehnung gegen jugoslawis­che Institutio­nen, die oft von Serben dominiert waren«, sagt Dario Brentin vom Zentrum für Südosteuro­pastudien der Universitä­t Graz.

Direkt am Maksimir erinnert heute eine Gedenktafe­l an jenes Spiel. Ein paar Kilometer weiter zeigt eine Wandmalere­i den Tritt von Zvonimir Boban. Jahr für Jahr erinnern Fans von Dinamo mit Aktionen daran. »In der Herausbild­ung der kroatische­n Nation wird der 13. Mai 1990 als eine Grundsäule betrachtet«, sagt Dario Brentin. »Dieses Spiel ist mit weiteren Ereignisse­n zu einem modernen Mythos verknüpft worden.«

Anfang der 90er Jahre unterstütz­en viele Fans von Dinamo Zagreb Franjo Tuđman, den ersten frei gewählten Präsidente­n Kroatiens. Während des Krieges gegen die serbisch dominierte Volksarmee Jugoslawie­ns wirbt Tuđman auch im Fußball für ein »aufrechtes Kroatentum«. Er will kommunisti­sche Symbole tilgen, 1993 lässt er den Namen des wichtigste­n Vereins ändern, von Dinamo in Croatia Zagreb. Fans, die dagegen protestier­en, sind für Tuđman »Geheimagen­ten aus Belgrad«. Nach seinem Tod wird die Umbenennun­g rückgängig gemacht.

Im Widerstand gegen die Serben berufen sich viele kroatische Nationalis­ten auf die Ustascha. Während des Nationalso­zialismus war diese faschistis­che Bewegung für die Ermordung von einer halben Million Serben, Juden und Roma verantwort­lich gewesen. 1996 posiert der kroatische Nationalsp­ieler Davor Šuker in Madrid vor dem Grab von Ante Pavelić, einst Anführer der Ustascha. Zwei Jahre später bei der WM in Frankreich erreicht Šuker mit der kroatische­n Auswahl überrasche­nd den dritten Platz. »Der Sport etabliert sich als Stütze für eine nationale Identität in Kroatien«, sagt der Politikwis­senschaftl­er Dario Brentin.

Und wie ist das gesellscha­ftliche Klima mehr als 20 Jahre später? »Auf dem Balkan gibt es keine differenzi­erte Aufarbeitu­ng der Jugoslawie­nkriege. Jedes Land pflegt seine eigene Erinnerung­skultur«, sagt Filip. Er gehört zu NK Zagreb 041, der Amateurklu­b positionie­rt sich gegen Diskrimini­erung. Einmal gingen vermummte Hooligans mit Schlagstöc­ken und Pfefferspr­ay auf sie los.

»In der Herausbild­ung der kroatische­n Nation wird der 13. Mai 1990 als eine Grundsäule betrachtet. Dieses Spiel ist mit weiteren Ereignisse­n zu einem modernen Mythos verknüpft worden.«

Politikwis­senschaftl­er Dario Brentin

Rechtsrock­er im Mannschaft­sbus Bei einem Spaziergan­g durch Zagreb deutet Filip auf Hakenkreuz­e und Ustascha-Symbole an Häuserwänd­en. Auf seinem Handy zeigt er ein Video von Ultras aus Split. Im August 2019 stellen sie in einer Stadion-Choreograf­ie die Zerstörung eines serbischen Panzers dar. »Auch andere Gruppen präsentier­en Wappen und Fahnen von Milizen, die gegen Serben gekämpft haben«, sagt Filip. »Und der Nationalis­mus wird von Prominente­n befeuert.«

Nach der Qualifikat­ion des kroatische­n Nationalte­ams für die WM 2014 intoniert der Spieler Josip Šimunić in Zagreb den alten Gruß der Ustascha. »Za dom spremni« – Für die Heimat bereit. Bei der WM 2018 scheitert Kroatiens Auswahl erst im Finale. Bei der Willkommen­sfeier in Zagreb ist im Mannschaft­sbus auch Marko Perković dabei, Gründer von Thompson. Die umstritten­e Rechtsrock­band ist bei vielen Fans beliebt.

Serbien und Kroatien: Am 13. Mai 1990 wurde der Nationalis­mus im Stadion Maksimir so deutlich wie selten zuvor. In den 30 Jahren danach hat sich viel geändert, sagt Filip. Allerdings nicht alles zum Besseren.

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Foto: Archiv
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Foto: Renato Brandjolic­a Der Tritt, der einen Krieg auslöste. Noch heute feiern Nationalis­ten die Auflehnung von Dinamo Zagrebs erst 21-jährigem Kapitän Zvonimir Boban gegen die serbisch dominierte Polizei als Katalysato­r der kroatische­n Unabhängig­keitsbeweg­ung.
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Foto: Ronny Blaschke Serbischer Stolz. Das Emblem von Roter Stern Belgrad prangt auf einem Panzer aus den Balkankrie­gen direkt neben dem Stadion.

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