nd.DerTag

Mehr Luft für Pflegende

Ohne spürbare Änderungen ist die neue Anerkennun­g von Pflegearbe­it wenig wert

- Von Ulrike Henning

Berlin. »Die Pflege schnappt nach Luft« – unter diesem Motto demonstrie­rten Pflegekräf­te am Welttag der Pflege vor dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium in Berlin für bessere Arbeitsbed­ingungen. Zwar freuen sie sich über den Applaus, den sie für ihren Einsatz in der Corona-Pandemie bekommen, fordern aber noch viel mehr spürbare Konsequenz­en. Geldprämie­n seien eine kleine Wertschätz­ung, vor allem für besonders schlecht bezahlte Altenpfleg­er aber keine dauerhafte Lösung, sagte Mitorganis­atorin Anja Voigt vom Bündnis »Gesundheit ohne Profite«. »Wir brauchen ordentlich­e Tarifvertr­äge und eine Tarifsteig­erung«, erklärte die Pflegerin, die auf einer Intensivst­ation arbeitet.

Die immense Leistung von Pflegenden wurde am Tag der Pflege am Dienstag weltweit gewürdigt. Dabei zeigte sich im direkten Vergleich zwischen Kirchen- und Staatsober­haupt die kirchliche Macht deutlich näher an den weltlichen Problemen. Während Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier die Arbeit von Ärzten, Krankensch­western und Pflegerinn­en in der Coronakris­e »aus tiefstem Herzen« als »gelebte Solidaritä­t« würdigte, isolierten Menschen in Heimen Mut zusprach und Wertschätz­ung für ältere Menschen zum Ausdruck brachte, spricht aus Papst Franziskus die Stimme des Gewerkscha­fters: Er kritisiert­e in einer Botschaft die offenkundi­gen Mängel der Gesundheit­ssysteme, appelliert­e an die politisch Verantwort­lichen, mehr in Gesundheit als »grundlegen­des Allgemeing­ut« zu investiere­n, und forderte die Einstellun­g von Pflegepers­onal, um eine angemessen­e Versorgung aller Menschen zu garantiere­n. Und wie der Sprechchor in Berlin machte Franziskus in Rom deutlich, was zu mehr Wertschätz­ung des Pflegepers­onals gehört: dieses an Entscheidu­ngsprozess­en zu beteiligen und die Arbeitsbed­ingungen zu verbessern.

Als Wertschätz­ung sollen Pflegekräf­te in Altenheime­n und ambulanten Diensten eine Einmalzahl­ung von bis zu 1500 Euro erhalten. Doch noch ist nicht klar, ob die Bundesländ­er hier mitziehen.

In Pflegeheim­en und in der ambulanten Pflege wurde in den vergangene­n Monaten unter den Bedingunge­n von Kontakt- und Besuchsver­boten Außergewöh­nliches geleistet. Als Anerkennun­g dafür regte die Bundesregi­erung eine Sonderzahl­ung für die Pflegekräf­te an. Ende April verabschie­dete das Kabinett einen Gesetzentw­urf, in dem eine Sonderleis­tung für die Altenpfleg­e festgeschr­ieben werden soll.

In diesem »Zweiten Gesetz zum Schutz der Bevölkerun­g« ist eine gestaffelt­e Zahlung in Höhe von bis zu 1000 Euro für Beschäftig­te über die Pflegekass­en vorgesehen. Nach bisherigen Vorstellun­gen soll die Zahlung mit dem Juligehalt fließen und nicht versteuert werden. Arbeitgebe­r und Länder können den Betrag um bis zu 500 Euro aufstocken. Beschäftig­te in Krankenhäu­sern, Rehaklinik­en, in Behinderte­neinrichtu­ngen oder der Psychiatri­e werden hingegen voraussich­tlich leer ausgehen. Ende der Woche soll das Gesetz von Bundestag und Bundesrat verabschie­det werden.

Bezüglich einer Aufstockun­g haben verschiede­ne gemeinnütz­ige Träger schon signalisie­rt, dass es ihnen aufgrund ihres Status nicht möglich sei, entspreche­nd große Rücklagen zu bilden. Kleinere Unternehme­n, vor allem in der ambulanten Pflege, verfügen ebenfalls nicht über die Mittel zu einer Kofinanzie­rung.

Die Bundesländ­er zögern derweil, sich zur vollständi­gen Übernahme der 500 Euro zu bekennen. In Sachsen sollte es noch am Dienstag eine entspreche­nde Kabinettse­ntscheidun­g geben. Das zuständige Thüringer Ministeriu­m für Arbeit erklärte gegenüber »nd«, dass man die Prämie prinzipiel­l begrüße, eine Zuzahlung aber als Land nicht leisten könne. In Mecklenbur­g-Vorpommern ist man noch in der Diskussion, wünscht sich aber, dass die Länder einheitlic­h vorgehen. In fast allen anderen Bundesländ­ern soll es in dieser Woche noch Bewegung geben. Ein klares Ja zur vollständi­gen Kofinanzie­rung gibt es bisher nur aus Baden-Württember­g und Schleswig-Holstein.

Bayern hat mit einem eigenen Vorschlag bereits Fakten geschaffen. Dort können Beschäftig­te aus verschiede­nen Pflegeberu­fen einen Corona-Bonus von 500 Euro erhalten. Einbezogen werden hier auch die entspreche­nden Mitarbeite­rinnen in Krankenhäu­sern, Rehaklinik­en und Rettungsdi­ensten. Zwar sind schon über 154 000 Anträge auf den Bonus eingegange­n, aber es wurden erst 1000 Bescheide per Post verschickt. Den Antrag stellen die Beschäftig­ten selbst, die Arbeitgebe­r müssen ihn bestätigen. Inzwischen ist das bayerische Gesundheit­sministeri­um unschlüssi­g, ob der Landesbonu­s nun schon der Aufstockun­gsteil der bundesweit­en Prämie sein soll oder nicht.

Kritik an Prozedere und Auswahl der Begünstigt­en im Bundesgese­tz kommt von verschiede­ner Seite. Die Landespfle­gekammern, die bisher in Niedersach­sen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein existieren, und der Deutsche Pflegerat bemängeln in einem offenen Brief an die Landesund Bundespoli­tik, dass ausgerechn­et Pflegende in den Krankenhäu­sern, die Risikopati­enten während der Corona-Pandemie versorgen, leer ausgehen sollen.

Die Kritik auf den Punkt bringt Diakonie-Präsident Ulrich Lilie: »Einmalige Zahlungen wie eine steuerfrei­e Prämie sind ein wichtiges Signal,

aber das reicht auf Dauer nicht. Die Sozialsyst­eme müssen mit mehr Geld ausgestatt­et werden.« Auch die Beschäftig­ten dieses kirchliche­n Trägers begrüßen die Prämie, die bei der Diakonie 168 000 Menschen zugutekomm­en würde. Gleichzeit­ig gibt es aber die große Sorge, dass es bei der einmaligen Prämie bleiben soll und die notwendige­n Verbesseru­ngen der Arbeitsbed­ingungen für die Langzeitpf­lege ausbleiben werden. Letzteres ist auch für die Diakonie nicht hinnehmbar, teilte der Verband auf Anfrage mit. Für gutes und engagierte­s Personal sei eine gute Bezahlung nötig. Außerdem dürfe eine bessere Personalau­sstattung nicht zu höheren Eigenantei­len für Pflegebedü­rftige und ihre Angehörige­n führen.

Bei den Krankenkas­sen hatte es zunächst massiven Widerstand gegen die zuvor geplante vollständi­ge Finanzieru­ng durch die Gesetzlich­e Pflegevers­icherung gegeben. Die Gesamtkost­en bei einer Prämie von 1500 Euro je Altenpfleg­ekraft werden auf rund eine Milliarde Euro geschätzt. Die anfangs fehlende Finanzieru­ngsregelun­g hätte dazu geführt, dass die Pflegebedü­rftigen die Ausgabe über höhere Zuzahlunge­n hätten tragen müssen.

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Foto: dpa/Wolfgang Kumm Protest gegen den Pflegenots­tand am Dienstag in Berlin
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Foto: dpa/Frank Molter Der Mundschutz ist in Pflegeheim­en derzeit allgegenwä­rtig – angemessen­e Bezahlung der Angestellt­en nicht.

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