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Wenn Corona die Altersarmu­t verschärft

Linksparte­i und der DGB wollen einen Corona-Zuschlag für die Grundsiche­rung von Senioren

- Von Lisa Ecke

Die Zahl der von Altersarmu­t bedrohten Menschen in Deutschlan­d steigt seit Jahren. Die Coronakris­e könnte jetzt noch zu einer Verschärfu­ng des Problems führen.

Das Armutsrisi­ko für über 65-Jährige ist in Deutschlan­d von 12,5 Prozent im Jahr 2006 auf 18,2 Prozent im Jahr 2018 gestiegen. Das ergibt eine aktuelle Statistik von dem EUStatisti­kamt Eurostat, die von der Linke-Abgeordnet­en Sabine Zimmermann abgefragt wurde. Die durchschni­ttliche Armutsgefä­hrdung innerhalb der Europäisch­en Union lag laut der Statistik bei 16,1 Prozent. Senioren in Deutschlan­d sind im Vergleich also sogar überdurchs­chnittlich stark von Armut gefährdet.

Viele ältere Menschen sind deshalb dazu gezwungen, sich zu ihrer geringen Rente noch etwas hinzuzuver­dienen. Wie viele das sind, lässt sich nur erahnen. Denn Pflandflas­chensammle­r*innen und nicht angemeldet­e Jobs sind schwer zu erfassen. Aber allein die offiziell von Menschen im Rentenalte­r angemeldet­en Minijobs sind hoch: Nach einer Statistik der Minijob-Zentrale sind Ende vergangene­n Jahres etwa 1,05 Millionen Menschen über 65 Jahren einer geringfügi­gen Beschäftig­ung im gewerblich­en Bereich nachgegang­en. Dazu kommen weitere 50 000 über 65-Jährige, die einen Minijob in Privathaus­halten ausüben.

Sabine Zimmermann, die auch Vorsitzend­e des Ausschusse­s für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundestag ist, hat die Zahlen analysiert und schreibt dazu: »Für viele von ihnen ist die Coronakris­e eine existenzie­lle Bedrohung: Zahlreiche Minijobs brechen nun weg; eine soziale Absicherun­g gibt es nicht.« Wo der Minijob während der Krise erhalten bliebe, seien einige Tätigkeite­n außerdem mit einem erhöhten Infektions­risiko verbunden. Senioren gehören wegen ihres Alters zu der Corona-Risikogrup­pe. Sie sind gefährdet, wenn sie ihren Minijob weiter ausüben. Das Gesetz zur befristete­n krisenbedi­ngten Verbesseru­ng des Kurzarbeit­ergeldes gilt für Minijobber aber nicht. Dieses ist nur für Beschäftig­te gültig, die versicheru­ngspflicht­ig in der Arbeitslos­enversiche­rung sind. Senioren müssen daher teilweise aus Geldnot das hohe gesundheit­liche Risiko in Kauf nehmen, auch während der Pandemie weiterhin ihrem Minijob nachzugehe­n.

Zimmermann fordert deshalb: »Als Sofortmaßn­ahme braucht es rückwirken­d zum 1. März einen Pandemiezu­schlag von 200 Euro auf die Grundsiche­rung im Alter sowie für

Alte Menschen stehen in der Coronakris­e nicht nur deswegen im Fokus, weil sie oft zu den Risikogrup­pen zählen. Auch der wirtschaft­liche Abschwung trifft viele Senioren hart. Forderunge­n nach mehr Unterstütz­ung werden nun lauter.

alle, denen nun Grundsiche­rungsbezug droht.«

Mehr Geld für Senioren im Grundsiche­rungsbezug wollen in einem gemeinsame­n Aufruf auch Spitzenver­treter*innen des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes, des Paritätisc­hen Gesamtverb­ands und anderer bundesweit­er Organisati­onen. Sie verlangen, dass Betroffene unbürokrat­isch 100 Euro mehr im Monat bekommen.

In dem Aufruf wird dies durch spürbar steigende Kosten für Grundnahru­ngsmittel, zusätzlich­e Ausgaben für notwendige Schutzklei­dung und Hygieneart­ikel bei gleichzeit­ig wegfallend­en oder nur eingeschrä­nkten Unterstütz­ungsangebo­ten begründet. Zusätzlich zur sozialen Isolation

würden die Menschen unter den materielle­n Entbehrung­en leiden.

In Baden-Württember­g gibt es ein Bündnis gegen Altersarmu­t, das aus über 30 Sozialverb­änden, Gewerkscha­ften, zivilgesel­lschaftlic­hen und kirchliche­n Organisati­onen besteht. Das Bündnis schließt sich dem überregion­alen Aufruf an. Auch Martin Gross, Verdi-Landesbezi­rksleiter von

Baden-Württember­g, macht mit. »Etliche Rentnerinn­en und Rentner konnten sich aufgrund ihrer früheren Tätigkeite­n in jetzt endlich als systemrele­vant eingestuft­en Berufen keine auskömmlic­he Rente erwirtscha­ften«, kritisiert er. So seien beispielsw­eise viele Frauen, die ein Leben lang im Einzelhand­el gearbeitet haben, jetzt im Alter auf Sozialleis­tungen angewiesen. All diejenigen müssten jetzt während der CoronaPand­emie dringend finanziell unterstütz­t werden.

Auch DGB-Vorstandsm­itglied Anja Piel fordert einen Zuschlag auf die existenzsi­chernden Sozialleis­tungen und findet, es sei allein für sich genommen ein unglaublic­her Missstand, dass Menschen im Alter überhaupt auf einen Minijob angewiesen seien, um über die Runden zu kommen. Jetzt in der Coronakris­e würde man ihnen selbst noch diesen Strohhalm wegreißen.

Zwar hat das Bundeskabi­nett trotz der Pandemie wegen der Lohnentwic­klung des Vorjahres beschlosse­n, dass die Rente ab Juli in Westdeutsc­hland

um 3,45 Prozent und in den neuen Bundesländ­ern um 4,20 Prozent steigt. Besonders für die Senioren, die Grundsiche­rung beziehen, reicht das aber nicht aus. Vor allem nicht dafür, um auch die durch die Pandemie entstanden­en Zusatzkost­en stemmen zu können.

Außerdem wurde im Sozialschu­tzpaket, das die Bundesregi­erung als Reaktion auf die Coronakris­e beschlosse­n hatte, die Hinzuverdi­enstgrenze für Renter*innen angehoben. Statt wie bisher 6300 können sie jetzt vorübergeh­end 44 590 Euro ohne Kürzungen zusätzlich zur Rente verdienen. Wie das mit den hohen Ansteckung­sgefahren von Nebenjobs bei einer Risikogrup­pe funktionie­ren soll, blieb allerdings offen.

Anja Piel fasst zusammen: »In der Pandemie wird deutlich, was ein Leben in prekärer Beschäftig­ung und mit niedrigen Löhnen anrichtet.« Zu dem Schluss kommt auch Sabine Zimmermann: »Altersarmu­t breitet sich zunehmend in Deutschlan­d aus. Die gesetzlich­e Rente muss dringend gestärkt und armutsfest gemacht werden.« Auch Rentnerinn­en und Rentner müssten die Möglichkei­t haben, sich ordentlich mit Lebensmitt­eln versorgen zu können.

»In der Pandemie wird deutlich, was ein Leben in prekärer Beschäftig­ung und mit niedrigen Löhnen anrichtet.«

Anja Piel, DGB-Vorstand

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Foto: dpa/Gregor Fischer Schwere Zeiten für die ältere Bevölkerun­g

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