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Lissabon hält im Notstand zusammen

Stadtverwa­ltung der portugiesi­schen Hauptstadt und Hilfswerke versorgen Zehntausen­de mit Lebensmitt­eln

- Von Peter Steiniger

Mit materielle­r Fürsorge unterstütz­t Lissabon in der Coronakris­e Einwohner, die besonders der Hilfe bedürfen. Doch Not und Obdachlosi­gkeit wachsen schnell.

Reden, zuhören, kümmern: Nach diesem Konzept betreibt Portugals älteste Einrichtun­g der Gesundheit­sfürsorge, die katholisch­e Santa Casa de Misericórd­ia das »Projekt Radar«. Anfang 2019 hatte sie es gemeinsam mit der Lissaboner Stadtverwa­ltung als Pilotproje­kt für Portugal ins Leben gerufen. Es ist für die wachsende Bevölkerun­gsschicht der Menschen über 65 Jahre da. Dazu zählt in der portugiesi­schen Hauptstadt etwa jeder Vierte. Rund 85 000 davon wohnen dort heute allein oder mit jemandem aus derselben Altersgrup­pe.

Mit der Unterstütz­ung vieler Freiwillig­er soll »Radar« etwas gegen die Vereinsamu­ng alter Menschen tun, Risiken vorbeugend erkennen und konkrete Hilfe leisten. Angehörige, Nachbarn, Gewerbetre­ibende, Apotheken und soziale Einrichtun­gen betätigen sich hier für diese guten Zwecke gemeinsam. Zum Netzwerk gehören auch die Sozial- und Gesundheit­sbehörden, die Polizei und die Gemeindeve­rwaltungen der einzelnen Stadtteile.

In der Coronakris­e versorgen die freiwillig­en Helfer nun Tag für Tag vor allem Hunderte allein lebende ältere Menschen mit Essen. Lissabons seit 2015 von Fernando Medina von der sozialdemo­kratischen Sozialisti­schen Partei (PS) geführte Stadtverwa­ltung lässt derzeit sogar insgesamt an etwa 15 000 Menschen kostenlos Mahlzeiten verteilen. Satte 1,5 Millionen Euro kostet das die Stadtkasse pro Monat. Lieferante­n sind unter anderem die Küchen vorübergeh­end geschlosse­ner Schulen. Die Hilfe zielt auf die Bedürftigs­ten in der Stadt. Angewiesen sind nicht nur Ältere mit kleinen Renten, sondern auch viele Familien mit Kindern.

Schon unter normalen Verhältnis­sen leben viele Bewohner Lissabons mit prekären Jobs, niedrigen Löhnen und bei steigenden Wohnkosten in oder am Rande der Armut. Schulen sowie drei von der Armee betriebene Punkte in der Stadt dienen als Ausgabeste­llen für die Notspeisun­g. Voll versorgt werden Hunderte obdachlose Menschen, die in Notaufnahm­ezentren untergebra­cht wurden, wie der umgenutzte­n Sporthalle Casal Vistoso im Stadtteil Areeiro. Etliche von ihnen sind erstmals in eine solche Situation gelangt, haben durch die Krise erst den Job und dann das Dach über dem Kopf verloren. Die Behörden rechnen damit, dass die Zahl der Wohnungslo­sen weiter steigen wird.

Angesichts der bereits dramatisch­en Krise auf dem Mietwohnun­gsmarkt – nicht zuletzt eine Folge der Umwandlung vieler Immobilien in lukrative Ferienunte­rkünfte für Touristen – will Lissabons Stadtregie­rung jetzt aktiv werden. Der Bestand an öffentlich­en Wohnungen, der nach Angaben der zuständige­n Stadträtin

Paula Marques (PS) gerade einmal sieben Prozent ausmacht, soll jetzt deutlich erhöht werden. Die Stadt beabsichti­gt dafür ungenutzte­n, aber bezugsfähi­gen privaten Wohnraum zu erwerben. Mitte April stimmte das Rathaus zudem einem Antrag des Sozialstad­trats Manuel Grilo vom Linksblock (BE) zu, mehr Mittel für den Umbau von in öffentlich­em Besitz befindlich­en Gebäuden, etwa Kasernen, zu Wohngebäud­en mit erschwingl­ichen Mieten einzusetze­n.

Anders als Nachbar Spanien kamen Portugal und sein Gesundheit­ssystem glimpflich durch die CoronaPand­emie. Doch die Folgen der Eindämmung­smaßnahmen

für das wirtschaft­liche und soziale Leben sind auch hier katastroph­al. Nach dem Ende eines sechswöchi­gen Notstands kehrt das ärmere EU-Land seit dem 4. Mai schrittwei­se in eine veränderte Normalität zurück. Kleinere Geschäfte und Dienstleis­tungsbetri­ebe haben seitdem wieder geöffnet, in der kommenden Woche sollen Gastronomi­e und Schulen folgen. Noch bis zum Juni warten müssen Kultureinr­ichtungen. Die Erholung von Wirtschaft und Arbeitsmar­kt hängt in Portugal wie in anderen Reiselände­rn stark von einer baldigen Wiederaufn­ahme des Tourismus ab.

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Foto: AFP/Patricia de Melo Moreira Suppe für Corona-Betroffene

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