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Warten auf mehr Gerechtigk­eit

Die SPD hat in der Koalition zwar die Grundrente durchgeset­zt, doch viele Bedürftige sind ausgeschlo­ssen und Gelder könnten erst rückwirken­d gezahlt werden

- Von Aert van Riel

Die Grundrente ist eines der wichtigste­n Projekte der Sozialdemo­kraten in dieser Legislatur­periode. Aber wenige Monate vor der geplanten Einführung gibt es nach wie vor zahlreiche Probleme.

Die Union hat ihre Hinhalteta­ktik beendet. Am Freitag wird der Bundestag erstmals über die Einführung der Grundrente beraten. Eigentlich war die Parlaments­debatte im April geplant, sie wurde aber wegen dringender Diskussion­en über die Auswirkung­en der Coronakris­e und des fehlenden Willens konservati­ver Politiker, sich frühzeitig mit der Grundrente zu beschäftig­en, verschoben.

In der Koalition wurde lange über die Details gestritten. Letztlich setzten CDU und CSU eine Einkommens­prüfung durch. Zu Beginn der Coronakris­e hatten Politiker der Union einen neuen Anlass gefunden, um das sozialdemo­kratische Projekt zu attackiere­n. Unionsfrak­tionsvize Carsten Linnemann (CDU) forderte, dass die

Grundrente wegen der »aktuell hohen Staatsausg­aben« überdacht werden müsse. Dabei war die Grundrente bereits im Februar vom Bundeskabi­nett beschlosse­n worden.

Linnemann gehört dem Parlaments­kreis Mittelstan­d (PKM) der Unionsfrak­tion an. Diese einflussre­iche Organisati­on sieht sich als »marktwirts­chaftliche­s und ordnungspo­litisches Korrektiv, vor allem als Gegengewic­ht zur SPD«, wie es auf der Website des PKM heißt. Wenn Gelder zugunsten von Geringverd­ienenden umverteilt werden sollen, kann man sich sicher sein, dass der PKM dagegen protestier­t.

Ähnliches war zuletzt in der FDP zu hören. »Unsinnige Ausgabenpr­ogramme« müssten unverzügli­ch beendet werden, sagte FDP-Fraktionsv­ize Christian Dürr der Agentur AFP. Das Bundesfina­nzminister­ium ging kürzlich von Mindereinn­ahmen in Höhe von rund 82 Milliarden Euro aus, davon etwa 33 Milliarden Euro beim Bund. Die FDP behauptete, dass die Wirtschaft durch Steuersenk­ungen wieder wachsen könnte. Allerdings

verlieren – wie so oft in Krisenzeit­en – die neoliberal­en Klientelpo­litiker an Einfluss. Unter dem schwarz-roten Bündnis werden staatliche Ausgaben erhöht, um dem Konjunktur­rückgang entgegenzu­wirken.

Die Grundrente soll die Altersbezü­ge von Menschen erhöhen, die jahrzehnte­lang gearbeitet, aber wenig verdient haben und deshalb niedrige Renten bekommen. Ziel ist, dass Betroffene mehr zur Verfügung haben als die sogenannte Grundsiche­rung.

Doch noch ist fraglich, wann sie davon profitiere­n werden. Der bisherige Zeitplan sieht vor, dass die Grundrente zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft tritt. Stephan Fasshauer, Mitglied im Direktoriu­m der Deutschen Rentenvers­icherung, hatte kürzlich dem »Focus« gesagt: »Wir können mit der Auszahlung der Grundrente voraussich­tlich im Juli des nächsten Jahres beginnen, bei ungünstige­ren Rahmenbedi­ngungen im Laufe des dritten Quartals.« Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) will notfalls, dass die Gelder rückwirken­d ausgezahlt werden.

In Medienberi­chten hieß es, dass Sachbearbe­iter und IT-Fachleute nicht mit der erhofften Geschwindi­gkeit vorankomme­n, weil sie im Homeoffice arbeiten. Aber das ist nicht der einzige Grund. »Insbesonde­re die Ermittlung der Zuschlagsb­erechtigte­n unter den Bestandsre­ntnern ist verwaltung­stechnisch äußerst aufwendig«, heißt es im schwarz-roten Entwurf. Die Union hat mit der Einkommens­prüfung also nicht nur dafür gesorgt, dass sich der Kreis der Anspruchsb­erechtigte­n von drei auf 1,3 Millionen Menschen verringert, sondern das Projekt auch bürokratis­cher gemacht. Leidtragen­de sind die Menschen, die wohl länger darauf warten müssen, dass ihre Renten aufgestock­t werden.

Der rentenpoli­tische Sprecher der Linksfrakt­ion, Matthias W. Birkwald, hatte zudem kritisiert, dass zwar fast 20 Prozent aller Rentnerhau­shalte als arm gelten, aber nur fünf Prozent von der Grundrente profitiere­n werden. »Alle Berechtigt­en mit mehr als 33 Jahren im Niedrigloh­nsektor werden sich einer jährlichen Einkommens­und Vermögensp­rüfung durch das Finanzamt unterziehe­n müssen«, monierte Birkwald. Jeder noch so geringe Zuschlag werde dann nochmal um 12,5 Prozent gekürzt. Von einem Zuschlag von 300 Euro brutto blieben nur 233 Euro netto übrig.

Neben dem Bundestag muss auch der Bundesrat dem Instrument noch zustimmen. Im Startjahr wird die Grundrente voraussich­tlich rund 1,4 Milliarden Euro kosten.

Sie soll durch Einnahmen aus einer möglichen Finanztran­saktionsst­euer finanziert werden. Doch diese Steuer gibt es noch gar nicht. Im April hatte Bundesfina­nzminister Olaf

Scholz diesbezügl­ich einen neuen Anlauf auf europäisch­er Ebene unternomme­n. Zu Jahresbegi­nn war er bei seinen EU-Kollegen noch abgeblitzt. Nun liegt ein Kompromiss­vorschlag des Sozialdemo­kraten auf dem Tisch. Scholz schwebte vor, dass beim Kauf von Aktien großer Konzerne 0,2 Prozent des Geschäftsw­erts an Steuern fällig werden. Das sollte dem Fiskus in Deutschlan­d etwa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Doch Österreich und andere Staaten erteilten dem Vorhaben eine Absage.

Nun soll eine Klausel es ermögliche­n, dass EU-Staaten im Rahmen der verstärkte­n Zusammenar­beit bei der Steuer ihre nationalen Lösungen vorerst beibehalte­n können, solange sie »eine Steuer auf den Handel mit Finanzinst­rumenten« erheben. Eine Anpassung der nationalen Regeln wäre somit nicht nötig, allerdings entstünde vorerst auch kein einheitlic­hes Modell für die Finanztran­saktionsst­euer. Es wäre »ein erster Schritt zum nötigen Grad der Harmonisie­rung«, heißt es in dem Vorschlag von Scholz.

Die Grundrente soll durch Einnahmen aus einer Finanztran­saktionsst­euer finanziert werden. Die Steuer gibt es aber noch nicht.

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