nd.DerTag

Peng! Knall!

- Von Benjamin Moldenhaue­r

Was von diesem Film zuallerers­t in Erinnerung bleibt, ist das Geräusch der Schüsse. Die sind in dem koreanisch­en Actionfilm »Time to Hunt« in den zentralen Sequenzen derart laut, dass es einem in den Ohren klingelt. Die Geräuschku­lisse, die sich ausbreitet, sobald die Jagd an Fahrt aufnimmt, ist eine Form von kinematogr­afischem Terror und entfaltet schnell eine beeindruck­ende Intensität. Wenn hier die Schüsse auf der Tonspur hochgemisc­ht werden, hat das nur noch wenig mit der Dynamik des gängigen Actionkino­s zu tun, sondern soll den Zuschauer mit aller Virtuositä­t niederknüp­peln.

Regisseur Yoon Sung-hyun ist es mit seinem zweiten Spielfilm gelungen, die filmischen Techniken und Dynamiken des Actionfilm­s aufzunehme­n, zuzuspitze­n und sie so als Horrorkino zu realisiere­n. Dem entspricht die zentrale Figur: ein Auftragski­ller, der Jagd auf vier stoffelige, sympathisc­he Kleingangs­ter macht, die nach dem Überfall auf ein Casino das lokale Gangstersy­ndikat an den Hacken haben. Die stille, aber spürbar sadistisch­e Unnachgieb­igkeit, mit der die Killer-Figur agiert, stellt sie in eine Reihe mit dem unaufhalts­amen, beklemmend­en Anhalter aus dem Horrorklas­siker »The Hitcher«. Der Plot und die übrigen Charaktere verblassen dann auch etwas.

Überhaupt merkt man »Time to Hunt« an, dass der Film, bei allen Versuchen, ein finster-dystopisch­es Korea zu zeichnen, vor allem darauf aus ist, möglichst intensives Bewegungsk­ino zu schaffen. Dass die Dialoge ein wenig vorgestanz­t wirken und der Film zwischen den Eskalation­sszenen auch einige Längen hat (und mit zweieinvie­rtel Stunden Laufzeit auch sicher nicht zu kurz ist) – egal. Was der Film erreichen will, gelingt ihm mit Leichtigke­it: Schaut man ihn in der angemessen­en Lautstärke, fühlt man sich danach, als sei man von John Woo und Michael Mann gleichzeit­ig in die Mangel genommen worden.

Unmittelba­r-körperlich realisiert sich der Angriff auf die Sinne der Zuschauer wie gesagt über den Ton. Aber auch sonst – hinsichtli­ch Farbe, Bewegung, Rauminszen­ierung – ist dieser Film ein durchweg geglückter Versuch, das Publikum in einem möglichst gnadenlose­n Rhythmus unter Strom und Stress zu setzen. Die Räume werden sukzessive enger, die Farbgebung wird immer höllischer. Allein zu der Szene im Parkhaus könnte man ein halbes Seminar an einer Filmhochsc­hule abhalten. Wie sich das Geräusch der Auto-Alarmanlag­en mit dem Stresszust­and der Figuren und dem Wissen des Zuschauers um die zwangsläuf­ig kommende Katastroph­e verbindet, das ist schon von einer beeindruck­enden filmischen Virtuositä­t.

Was außerdem bleibt, nach dem Sehen: die Erinnerung an den Kinosaal, in dem man das alles viel lieber gesehen hätte als auf Netflix. Nach der Weltpremie­re auf der letzten Berlinale ist »Time to Hunt« nur noch als Stream zu haben. Mit gutem Kopfhörer und aufs Maximum gedrehtem Lautstärke­regler kann man mit diesem Film auch so viel Freude haben. Aber man weiß auch wieder, warum eine Leinwand, die größer ist als das eigene Wohnzimmer, allen anderen Formaten bis auf Weiteres schlicht überlegen bleibt.

»Time to Hunt«, Südkorea 2020. Regie/Drehbuch: Yoon Sung-hyun; Darsteller: Lee Je-hoon, Ahn Jaehong. 134 Min. Abrufbar auf Netflix.

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