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Rolf Hochhuth gestorben

Provokateu­r, Patriarch, Pfau – all das war der Dramatiker.

- Von Hans-Dieter Schütt

Er war der Prediger eines Programms, das er selbst das »elfte Gebot« nannte: »Du sollst nicht schweigen!« Credo eines Mannes, der nur als Kämpfer Leben fühlte. Ein Kämpfer noch spät. Sein letzter Kampf bestand im knorrigen, aufgekratz­ten Austoben jener folgenlose­n Absonderli­chkeit, die alten Menschen eigen ist. Rolf Hochhuth war mit den Jahren ein Vergeblich­keitsenthu­siast geworden, der einer gewesenen Resonanz nachgrollt­e, aber trotzdem noch unablässig die Aufregung, die Reibung brauchte und suchte – einzig im Zorn wurde er fühlend. Feindschaf­ten schien er sich sorglicher auszusuche­n als Freundscha­ften. Siegfried Lenz bezeichnet­e ihn als einen ständigen »Störer des schlimmen Einvernehm­ens«.

Das Stück »Der Stellvertr­eter« (1963), von Erwin Piscator in Berlin uraufgefüh­rt, wurde zum größten Skandal des deutschspr­achigen Theaters. Der Vatikan als Nazi-Kollaborat­eur – was damit losbrach, machte Hochhuth weltberühm­t. Pater Riccardo, der an seiner Kirche verzweifel­t, geht mit selektiert­en Juden in den Feuerofen des Konzentrat­ionslagers – welches Stück bewirkte je solch ein Beben?! Und wenn er nur dieses eine Schauspiel geschriebe­n hätte! Genug für einen Nachruhm, dem Beckmesser nie beikommen werden.

Dann die Erzählung »Eine Liebe in Deutschlan­d« und das daraus folgende Stück »Juristen« – es half, BadenWürtt­embergs Ministerpr­äsidenten Hans Filbinger zu stürzen, den ExNazirich­ter. Wo heutzutage ist Kunst noch ein Attentat, und wo noch sind Theater oder andere Sinn-und-Formgebung­en in der Lage, hohle, leere Twin Towers der Konsensges­ellschaft zu stürzen?

Worüber er auch plauderte, ob über »schöne Frauenkörp­er« und erotische Gedichte, über den ungeliebte­n Nietzsche und das geliebte Fahrradfah­ren – alles Gespräch führte richtungss­icher in den ausstoßgie­rigen Vulkanismu­s seiner polemische­n Attacken. Er verfasste Schauspiel­e, die eher Traktate waren, ja: Fakten-Furor. Recherche-Rumor. Ja, auch Papiertroc­kenheit. Aber ein Papiertige­r war er nie. Wenn schon, dann Löwe!

An seinem Erregungst­alent prallte immer wieder jener scholastis­che Eifer der Kritiker ab, ihm ästhetisch­es

Unvermögen nachzuweis­en. Hochhuth wollte politisch überzeugen, nicht poesiefein überwältig­en. Wahrheit, die zuschlägt; Enthüllung, die Nerven blank legt. Schillers »Wilhelm Tell« nannte er die »Magna Charta des politische­n Dramas«. Weil dieser Dichter unbeirrt zum Aufruhr geblasen habe. Und Aufruhr sei so nötig, auch heute – gegen »jedwede Diktatur, wie demokratis­ch die sich auch maskiert«. Hochhuth: feurig, entschiede­n, störrisch, in einem ganz gelösten Sinne unbelehrba­r. »Effis

Nacht«, ein Monolog: Elisabeth Freifrau von Ardenne, Großmutter Manfreds von Ardenne, erzählt ihr Leben. In einer Kriegsnach­t wacht sie bei einem sterbenden jungen Soldaten, während britische Bomber über den Ort fliegen. Ein weites Feld, schrieb Fontane (der die Freifrau zum Vorbild seiner »Effi Briest« nahm) und meinte die Liebe. Ein weites Schlachtfe­ld, sagt Hochhuth und meint die Menschheit.

Dieser Schriftste­ller war aristokrat­isch gesinnt. In überschäum­ender Geschichts­sucht ein Anwalt der charismati­schen geschichtl­ichen Großfigur. Etwa Bismarck. Und Churchill: Das Drama »Soldaten« behandelt den britischen Bombenkrie­g gegen die Zivilbevöl­kerung als Verbrechen, bekennt sich aber zur Faszinatio­n, die von jenem überragend­en Strategen ausging, der Hitler die Stirn bot.

Gegen eine organisier­te Bewegung der Entrechtet­en setzte der Gerechtigk­eitsgeist Hochhuths stets die individuel­le Courage. Der Dramatiker betrieb trotzig die Beschwörun­g der vergeblich­en Hitler-Attentäter, setzte für Georg Elser in der Mitte Berlins, am Rande des Tiergarten­s, ein Mahnmal durch. Sein trauriges Fazit des demokratis­chen Zeitalters: Leider verdumme jeder so nötige Frieden die Leute – indem er blind mache für die lauernden Verhältnis­se hinter der Ruhe.

Neben Tell auch Antigone, Judith, Dädalus, Luther, Hemingway – sie alle hat der Autor in seinen Stücken zu Lehrmeiste­rn fürs Akute erhoben. Er prangerte Waffengesc­häfte im Mittelmeer­raum an (»Lysistrate und die Nato«) und Machenscha­ften der Blutplasma panschende­n Pharmaindu­strie: »Ärztinnen« – ein Schauspiel, das auch zu einem DEFA-Film von Horst Seemann wurde. Glänzende Essays schrieb er (Kritik etwa an Brecht, dessen kalter Algorithmi­k des Klassenkam­pfes der Sinn fürs Tragische fehle). Sein Ärger: Zum großen Bühnenerle­bnis wurde er just dort, wo erfolgreic­h gegen ihn gehandelt wurde. Denn als der geniale Einar Schleef 1993 am Berliner Ensemble (Hochhuth war Besitzer der Immobilie BE) das Treuhand-Drama »Wessis in Weimar« inszeniert­e, kam es zum erbitterte­n Kampf zwischen Regisseur und Autor – am Ende siegte Schleef, er erst brachte den ReportReal­ismus der Hochhuth-Vorlage wahrhaft zum Glühen.

Hochhuth, Jahrgang 1931, provoziert­e mit dem Satz, sein eigentlich­er

Vater und Lehrer sei Hitler gewesen. Eine mutig selbstankl­ägerische Standortbe­stimmung – von daher diese Unbändigke­it, die Vergangenh­eit aufzureiße­n, sie als lebendigen Dämon in die Gegenwart zu projiziere­n. Vergangenh­eit muss uns anschreien, quälen, prüfen. Essayist Gunnar Decker schrieb treffend: Hochhuth sei »ein Machtdenke­r aus der Schule Machiavell­is: ein strenger Ordnungsme­nsch – mit einem heimlichen Faible für die Anarchie«. Gegen kollektive Enteignung­sfantasien setzte der Schriftste­ller, was auch Ernst Jünger »wider den Raubtierge­ist der Zeit« aufrief: den »Waldgang«. Waldgänger zu sein heißt: zum Rächer zu werden, wenn der Staat das öffentlich­e bürgerlich­e Wohl, für das er zuständig ist, selber untergräbt.

2004 veröffentl­ichte er sein – wahrlich mäßiges – Schauspiel »McKinsey kommt«. Ein Drama über die »Diktatur der Weltwirtsc­haft«. Plötzlich galt Hochhuth (wieder einmal) als skurriler Fall – weil er globalisie­rte Wirtschaft­sprozesse in den verbrecher­ischen Status von Vaterlands­verrat erhob. Er hatte den Schurkenka­pitalismus beim Namen genannt – »den freilich so zu benennen eine moralische Perspektiv­e voraussetz­t, die nirgendwo mehr sichtbar ist«. Schrieb Hochhuth-Herausgebe­r Gert Ueding. »Schleyer, Ponto, Herrhausen warnen« – so hieß es, unter Bezug auf RAF-Opfer, in »McKinsey kommt«. Die Sachwalter der deutschen Großindust­rie schäumten. Böse Miene zum schlechten Stück. Immerhin.

Immer wurde der Sohn eines Eschweger Schuhfabri­kanten von der Scham getrieben, zu ungebildet zu sein. So kam zum beseelten Literaten der besessen Fleißige. Und zum geistigen Ketzer kam der komische, nervende Kauz der cholerisch­en Auftritte. Er war Pfau und Patriarch. Weißes Hemd, das Jackett über beide Schultern gelegt wie einen Militärman­tel des höheren Dienstgrad­es. Gar nicht abwegig, diese Assoziatio­n: Die befehlende Generalitä­t hieß Kunst. Der Traum vom Text: Er möge die Magie eines Putsches haben. Hochhuth als Konfliktfe­ldherr. Der Kühne immer auch als Kasper – der sehr genau um den Irrwitz der Verwitteru­ng wusste: »Der Mensch wird zu Ende gedemütigt. Beruflich, weil keiner mehr was von ihm will, körperlich, weil er nichts mehr kann.«

Nun ist der Schriftste­ller im Alter von 89 Jahren in Berlin gestorben.

»Dem ist doch nicht zu trauen, der nicht einmal über sich selbst lacht.«

Rolf Hochhuth

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Foto: imago images/Christian Kielmann Typisch: das Jackett lose übergeworf­en

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