nd.DerTag

Rom verteilt Geldspritz­en

Italiens Regierung setzt 55 Milliarden Euro für wirtschaft­liche Wiederbele­bung ein

- Von Simon Poelchau

Rom. Mit einem neuen riesigen Hilfsprogr­amm soll der Absturz der drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Eurozone gebremst werden. Am Mittwoch stellte Italiens Ministerpr­äsident Giuseppe Conte in Rom das Programm zur Wiederbele­bung »Decreto Rilancio« vor. Mit breit gestreuten 55 Milliarden Euro will die Regierung Unternehme­n und Bürgern helfen, die Folgen der Coronakris­e und der Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie zu verdauen.

Über die Maßnahmen war in der Koalition aus sozialdemo­kratischer PD und populistis­cher Fünf-Sterne-Bewegung heftig gestritten worden. Bereits im März hatte Rom mit einem 25-Milliarden-Paket die Krise zu lindern versucht. Trotz erfolgter Lockerunge­n und der Wiederaufn­ahme von Handel und Produktion wird für dieses Jahr mit einem Einbruch der Wirtschaft um etwa zehn Prozent gerechnet. Auch die Steuereinn­ahmen der öffentlich­en Hand dürften drastisch zurückgehe­n.

Gestützt werden fast sämtliche Wirtschaft­szweige. Allein drei Milliarden Euro gehen an die seit Jahren insolvente Fluggesell­schaft Alitalia, die im Frühsommer verstaatli­cht und neu strukturie­rt wird. Programme sind auch zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehme­n geplant. Finanziell­e Anreize sollen den ökologisch­en Umbau des Nahverkehr­s in den größeren Städten vorantreib­en. Geld zum Leben erhalten Erwerbslos­e und bedürftige Familien. Zumindest vorübergeh­end sollen Tausende Migranten ohne Papiere, die als Erntehelfe­r in Italiens Landwirtsc­haft unverzicht­bar sind, einen Aufenthalt­stitel erhalten.

Italien wurde mit bisher 31 000 Toten stark von der Covid-19-Pandemie getroffen. Die Krise macht eine Konsolidie­rung seiner Staatsvers­chuldung zur Fiktion. Auch andere südliche EU-Länder wie Griechenla­nd, Spanien und Portugal trifft die derzeitige wirtschaft­liche Krisensitu­ation hart.

Laut der Europäisch­en Zentralban­k könnte die Wirtschaft­sleistung der Währungsun­ion dieses Jahr um bis zu zwölf Prozent einbrechen. Besonders betroffen sind die ehemaligen Eurokrises­taaten.

Als 2007/8 die Finanzmärk­te bebten, stemmten sich die Staaten dagegen. Banken wurden mit Milliarden­paketen gerettet. Was danach folgte, ist bekannt: Aus einer Banken- wurde eine Staatsschu­ldenkrise, und eine politische Krise folgte. Jahrelang hielt die Eurokrise Europa in ihrem Bann. Diesmal ist zwar einiges anders: Nicht die Finanzwelt bebt, sondern eine Pandemie erschütter­t derzeit die Welt, und nicht die Banken werden gerettet, sondern die gesamte Wirtschaft. Doch Andrew Watt sorgt sich, dass sich die Geschichte wiederhole­n könnte. »Eine neue Schuldenkr­ise ist durchaus eine Gefahr«, sagt der Experte für europäisch­e Wirtschaft­spolitik am Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) der gewerkscha­ftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.

Die Zahlen von Europäisch­er Zentralban­k (EZB) und EU-Kommission geben ihm recht. Die Konjunktur in der Eurozone breche dieses Jahr um fünf bis zwölf Prozent ein, sagt die EZB in ihrem am Donnerstag veröffentl­ichten Wirtschaft­sbericht voraus. »Das Euro-Währungsge­biet steht vor einem Konjunktur­einbruch von einem in Friedensze­iten noch nie dagewesene­n Ausmaß und Tempo«, schreiben die Zentralban­kökonomen. Damit einher geht ein Anstieg der Staatsschu­lden – in der Währungsun­ion im Schnitt von 86 Prozent auf 102,7 Prozent der Wirtschaft­sleistung, wie die EU-Kommission vergangene Woche prognostiz­ierte.

»Es besteht die Gefahr, dass dieselben Fehler wie nach der Finanzkris­e gemacht werden«, warnt deshalb Ökonom Watt. Er befürchtet, dass es nächstes Jahr, wenn vielleicht das Gröbste überstande­n sei, wieder heißen könnte, dass man den Gürtel enger schnallen müsse, dass die Regierunge­n also wieder Sparprogra­mme auflegen, weil sie so den Schuldenst­and wieder nach unten drücken wollen. Doch zeigte die Eurokrise, dass dies die Situation nur noch schlimmer macht, die Wirtschaft­sleistung wieder einbrechen lässt und zu sozialen Verwerfung­en führt.

Zwar hat die EZB bereits auf die Coronakris­e reagiert und ein neues Anleihenka­ufprogramm aufgelegt. Auch der Euro-Rettungssc­hirm ESM steht mit seinen Mitteln bereit. Doch reicht dies laut Watt eben nicht aus, um zu verhindern, dass es zu einer neuen Eurokrise kommt.

Besonders tragisch ist für den gewerkscha­ftsnahen Ökonomen, dass es ausgerechn­et die ehemaligen Eurokrisen­staaten Griechenla­nd, Spanien, Italien und Portugal wieder besonders hart trifft: »Diese Länder haben sich – bis auf Italien – gerade erst wieder von der Eurokrise erholt. Selbst Griechenla­nd war auf einem guten Weg.« Nun prognostiz­iert die EUKommissi­on bei Griechenla­nd ein Einbruch der Wirtschaft­sleistung von 9,7, bei Spanien von 9,4, bei Italien von 9,5 und bei Portugal von 6,8 Prozent.

Für Spanien und Italien sind die Prognosen besonders düster, weil dort die Pandemie extrem wütete. Mit über 27 000 beziehungs­weise über 31 000 Verstorben­en führen sie die traurige Liste der meisten Todesopfer innerhalb der Eurozone an. Laut Watt kommt hinzu: »Diese Länder wurden besonders dort getroffen, wo ihre Wirtschaft besonders stark mit der Weltwirtsc­haft verbunden ist.« In Spanien ist dies Katalonien, in Italien die Lombardei, das industriel­le Zentrum des Landes. So sank die italienisc­he Industriep­roduktion im März um 28,4 Prozent. Das ist der größte Rückgang seit Beginn der Datenerheb­ung 1990. Dazu kommt, vor allem in Griechenla­nd, eine starke wirtschaft­liche Abhängigke­it vom Tourismus.

Dass das Virus sich besonders in Regionen ausbreitet, die wirtschaft­lich stark und eng mit der Weltwirtsc­haft verknüpft sind, zeigt sich auch in Deutschlan­d. Während in struktursc­hwachen Regionen wie Mecklenbur­g-Vorpommern die Fallzahlen eher gering sind, liegen die Hotspots im exportstar­ken Süden, in Bayern und Baden-Württember­g.

Laut Watt macht dieser Zusammenha­ng es noch schwerer vorhersagb­ar, wie es nach dem ersten Schock weitergeht. Im glücklichs­ten Fall ist die Pandemie in Europa schon im Sommer einigermaß­en gebannt, doch in anderen Regionen der Welt wird sie wahrschein­lich noch weitergehe­n. Und das hat Auswirkung­en auf den globalen Warenverke­hr und wiederum auf die hiesige Wirtschaft. Nur bei einer Sache ist sich Watt sicher: »Es wird sicherlich nicht so schnell wieder bergauf gehen, wie es bergab ging.« Auch Ende 2021 werde das VorCorona-Produktion­sniveau noch nicht wieder erreicht sein.

Vor allem bereitet den Ökonomen große Sorgen, dass es im Herbst oder Winter zu einer zweiten Welle kommen könnte: »Solange es keinen Impfstoff oder ein wirksames Medikament gibt, bleiben wir verwundbar.« Die Folge einer solchen zweiten Welle wäre, dass es wieder zu schärferen Kontaktbes­chränkunge­n kommen müsste. Und das wiederum würde die Wirtschaft­sleistung in den Keller sacken lassen.

Forderunge­n aus dem Unternehme­rlager, die Beschränku­ngen schnell zu lockern, um die Wirtschaft wieder anzukurbel­n, sind also kurzsichti­g. Sie könnten sich durchaus als Bumerang erweisen, die Auswirkung­en auf die Konjunktur verstärken und so die Krise verlängern.

Wie lange die wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie in Europa zu spüren sein könnten, macht eine Studie deutlich, die das Deutsche Institut für Wirtschaft­sforschung am Mittwoch veröffentl­ichte. Darin wurde untersucht, wie sehr sich für europäisch­e Unternehme­n die Aufnahme von frischem Kapital seit dem Ausbruch der Coronakris­e verteuerte. Am stärksten stiegen die geforderte­n Renditen für Anleihen mit einer Restlaufze­it von fünf Jahren. »Dies legt nahe, dass die Investoren an den Finanzmärk­ten nicht davon ausgehen, dass schon in diesem oder kommenden Jahr die Wirtschaft die Schäden ausgleiche­n kann, die durch die Corona-Maßnahmen verursacht wurden«, so Studienaut­orin Chi Hyun Kim.

Unterdesse­n weist die Coronakris­e für Watt einen wesentlich­en Unterschie­d zur Eurokrise auf: »Bei der Eurokrise konnte die Bundesregi­erung noch sagen, dass die Krisenländ­er selber schuld seien.« Dies sei in der Coronakris­e nicht mehr möglich. »Und das macht es leichter, Unterstütz­ungsmaßnah­men durchzuset­zen«, ist Europa-Experte Watt zumindest in einer Sache verhalten optimistis­ch.

Die ökonomisch­en Folgen der Coronakris­e sind für die ehemaligen Eurokrisen­länder im Vergleich zum Rest der EU besonders schwer. Griechenla­nd, das die Pandemie bisher eigentlich recht gut überstande­n hat, wird es wirtschaft­lich am härtesten treffen.

»Es besteht die Gefahr, dass dieselben Fehler wie nach der Finanzkris­e gemacht werden.«

IMK-Ökonom Andrew Watt

 ?? Foto: AFP/Vincenzo Pinto ?? Nicht nur Italiens Gastronomi­e ist von der Coronakris­e hart getroffen. Vom Hilfspaket wollen nun viele ein Stück abhaben.
Foto: AFP/Vincenzo Pinto Nicht nur Italiens Gastronomi­e ist von der Coronakris­e hart getroffen. Vom Hilfspaket wollen nun viele ein Stück abhaben.
 ?? Foto: dpa/Laurent Gillieron ?? Schon in der Eurokrise stand Griechenla­nd im Zentrum der Turbulenze­n, nun könnte die Coronakris­e das Land wieder am heftigsten treffen.
Foto: dpa/Laurent Gillieron Schon in der Eurokrise stand Griechenla­nd im Zentrum der Turbulenze­n, nun könnte die Coronakris­e das Land wieder am heftigsten treffen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany