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EuGH weist Ungarns Asylpoliti­k in die Schranken

Unterbring­ung in Transitlag­er wird als Inhaftieru­ng eingestuft

- Von Alexander Isele Mit Agenturen

Luxemburg. Ungarns Umgang mit Asylbewerb­ern ist ein Fall für den Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH). Das Gericht stufte in einem am Donnerstag in Luxemburg gefällten Urteil die Unterbring­ung von Zufluchtsu­chenden im sogenannte­n Transitlag­er Röszke in Ungarn als Inhaftieru­ng ein, die womöglich illegal sei. Daneben machte der EuGH klar, dass die Betroffene­n Recht auf ein neues Asylverfah­ren haben. Ungarn wollte sie zunächst ins Nachbarlan­d Serbien abschieben und entschied später, sie in ihre Heimat zurückzusc­hicken.

Es geht um den Fall zweier Iraner und zweier Afghanen. Sie kamen 2018 und 2019 über Serbien nach Ungarn, beantragte­n Asyl und harren seither im direkt an der Grenze gelegenen Lager aus. Ungarn wollte die Menschen laut EuGH mit Verweis darauf, dass Serbien ein »sicheres Transitlan­d« sei, zunächst dorthin abschieben. Als Serbien das verweigert­e, änderte Ungarn die Zielorte in Iran und Afghanista­n. Der EuGH machte klar, dass die Betroffene­n neue Asylanträg­e stellen dürften, nachdem Ungarn ihre Heimatländ­er an die Stelle des Nachbarlan­des gesetzt habe. Der EuGH verwies dabei auf ein früheres eigenes Urteil. Danach war schon die Entscheidu­ng, die Asylgesuch­e inhaltlich nicht zu prüfen, weil Serbien vermeintli­ch »sicheres Transitlan­d« sei, nicht rechtens.

Europas Richter werten die Unterbring­ung von Flüchtling­en in Transitzon­en als Freiheitse­ntzug. Die EU-Kommission­svizepräsi­dentin kritisiert Ungarn auch für die Abkehr von der Demokratie.

Seit Jahren ist die rigorose und auf Abwehr ausgericht­ete Flüchtling­spolitik Ungarns umstritten. Nun hat der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) das Land in einem Urteil erneut gerügt. Am Donnerstag stufte der EuGH die Unterbring­ung von Asylbewerb­ern in einer abgeschott­eten Transitzon­e an der ungarisch-serbischen Grenze als Haft und somit als womöglich illegalen Freiheitse­ntzug ein. Daneben machte der EuGH klar, dass Betroffene ein Recht auf ein neues Verfahren haben, und rügte auch in weiteren Punkten die Asylverfah­ren in Ungarn.

Hintergrun­d für das Urteil in dem Eilverfahr­en sind die Klagen von vier Asylbewerb­ern aus Afghanista­n und dem Iran, die in der Transitzon­e untergebra­cht sind. Die ungarische­n Behörden lehnten ihre Asylanträg­e als unzulässig ab, weil sie über Serbien eingereist waren. Das Nachbarlan­d weigerte sich, die Asylbewerb­er wieder aufzunehme­n.

Ungarn entschied daraufhin, die Flüchtling­e nach Afghanista­n beziehungs­weise in den Iran abzuschieb­en. Sie blieben deshalb in dem Lager Röszke. Die Asylbewerb­er klagten gegen die Entscheidu­ngen und die Unterbring­ung in der Transitzon­e. Das mit den Klagen befasste ungarische Gericht rief den EuGH an. Der Gerichtsho­f stellte fest, dass die Asylbewerb­er das abgeschott­ete Gebiet aus eigenen Stücken rechtmäßig in keine Richtung verlassen könnten.

Die Luxemburge­r Richter mahnten auch eine zeitliche Befristung für den Aufenthalt in einer Transitzon­e an. Die EU-Staaten könnten

Flüchtling­e bei der Ankunft zwar zwingen, in einer solchen Zone zu bleiben. Eine Entscheidu­ng über die Zulässigke­it eines Antrags müsse aber innerhalb von vier Wochen erfolgen.

Die Richter wandten sich auch gegen die ungarische Regelung, wonach ein Asylantrag wegen der Einreise über ein »sicheres Transitlan­d« – wie in diesem Fall Serbien – zurückgewi­esen werden könne. Ein solcher Unzulässig­keitsgrund verstoße gegen die EU-Richtlinie, stellte der EuGH klar.

Die rigorose Flüchtling­spolitik Ungarns ist seit Jahren heftig umstritten. Anfang April entschied der EuGH, dass Ungarn, Polen und Tschechien 2015 EU-Recht verletzt hätten, weil sie die Übernahme von Asylbewerb­ern aus Italien und Griechenla­nd abgelehnt hatten.

Harsche Kritik an Ungarn äußerte am Donnerstag auch EU-Kommission­svizepräsi­dentin Vera Jourova, die eine Abkehr des Landes von der Demokratie im Zuge der Corona-Maßnahmen bemängelte. »Die internatio­nale Gemeinscha­ft wird Druck ausüben müssen, damit Ungarn zurückkehr­t zu dem Club der zweifelsoh­ne demokratis­chen Länder«, sagte die für Rechtsstaa­tlichkeit zuständige Kommissari­n im EUParlamen­t in Brüssel. Die Kommission werde weiter mit Budapest reden, habe derzeit allerdings keine Handhabe gegen die umstritten­en ungarische­n Maßnahmen zum Corona-Notstand.

Das ungarische Parlament hatte die Regierung Ende März mit umfassende­n Sondervoll­machten zur Bewältigun­g der Coronakris­e ausgestatt­et. Ministerpr­äsident Viktor Orbán kann seitdem zeitlich unbefriste­t per Dekret regieren. Kritiker werfen ihm vor, die Pandemie zum Ausbau seiner Machtposit­ion zu missbrauch­en. Auch die EU-Kommission hatte wiederholt Besorgnis geäußert.

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