EuGH weist Ungarns Asylpolitik in die Schranken
Unterbringung in Transitlager wird als Inhaftierung eingestuft
Luxemburg. Ungarns Umgang mit Asylbewerbern ist ein Fall für den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das Gericht stufte in einem am Donnerstag in Luxemburg gefällten Urteil die Unterbringung von Zufluchtsuchenden im sogenannten Transitlager Röszke in Ungarn als Inhaftierung ein, die womöglich illegal sei. Daneben machte der EuGH klar, dass die Betroffenen Recht auf ein neues Asylverfahren haben. Ungarn wollte sie zunächst ins Nachbarland Serbien abschieben und entschied später, sie in ihre Heimat zurückzuschicken.
Es geht um den Fall zweier Iraner und zweier Afghanen. Sie kamen 2018 und 2019 über Serbien nach Ungarn, beantragten Asyl und harren seither im direkt an der Grenze gelegenen Lager aus. Ungarn wollte die Menschen laut EuGH mit Verweis darauf, dass Serbien ein »sicheres Transitland« sei, zunächst dorthin abschieben. Als Serbien das verweigerte, änderte Ungarn die Zielorte in Iran und Afghanistan. Der EuGH machte klar, dass die Betroffenen neue Asylanträge stellen dürften, nachdem Ungarn ihre Heimatländer an die Stelle des Nachbarlandes gesetzt habe. Der EuGH verwies dabei auf ein früheres eigenes Urteil. Danach war schon die Entscheidung, die Asylgesuche inhaltlich nicht zu prüfen, weil Serbien vermeintlich »sicheres Transitland« sei, nicht rechtens.
Europas Richter werten die Unterbringung von Flüchtlingen in Transitzonen als Freiheitsentzug. Die EU-Kommissionsvizepräsidentin kritisiert Ungarn auch für die Abkehr von der Demokratie.
Seit Jahren ist die rigorose und auf Abwehr ausgerichtete Flüchtlingspolitik Ungarns umstritten. Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) das Land in einem Urteil erneut gerügt. Am Donnerstag stufte der EuGH die Unterbringung von Asylbewerbern in einer abgeschotteten Transitzone an der ungarisch-serbischen Grenze als Haft und somit als womöglich illegalen Freiheitsentzug ein. Daneben machte der EuGH klar, dass Betroffene ein Recht auf ein neues Verfahren haben, und rügte auch in weiteren Punkten die Asylverfahren in Ungarn.
Hintergrund für das Urteil in dem Eilverfahren sind die Klagen von vier Asylbewerbern aus Afghanistan und dem Iran, die in der Transitzone untergebracht sind. Die ungarischen Behörden lehnten ihre Asylanträge als unzulässig ab, weil sie über Serbien eingereist waren. Das Nachbarland weigerte sich, die Asylbewerber wieder aufzunehmen.
Ungarn entschied daraufhin, die Flüchtlinge nach Afghanistan beziehungsweise in den Iran abzuschieben. Sie blieben deshalb in dem Lager Röszke. Die Asylbewerber klagten gegen die Entscheidungen und die Unterbringung in der Transitzone. Das mit den Klagen befasste ungarische Gericht rief den EuGH an. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Asylbewerber das abgeschottete Gebiet aus eigenen Stücken rechtmäßig in keine Richtung verlassen könnten.
Die Luxemburger Richter mahnten auch eine zeitliche Befristung für den Aufenthalt in einer Transitzone an. Die EU-Staaten könnten
Flüchtlinge bei der Ankunft zwar zwingen, in einer solchen Zone zu bleiben. Eine Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrags müsse aber innerhalb von vier Wochen erfolgen.
Die Richter wandten sich auch gegen die ungarische Regelung, wonach ein Asylantrag wegen der Einreise über ein »sicheres Transitland« – wie in diesem Fall Serbien – zurückgewiesen werden könne. Ein solcher Unzulässigkeitsgrund verstoße gegen die EU-Richtlinie, stellte der EuGH klar.
Die rigorose Flüchtlingspolitik Ungarns ist seit Jahren heftig umstritten. Anfang April entschied der EuGH, dass Ungarn, Polen und Tschechien 2015 EU-Recht verletzt hätten, weil sie die Übernahme von Asylbewerbern aus Italien und Griechenland abgelehnt hatten.
Harsche Kritik an Ungarn äußerte am Donnerstag auch EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova, die eine Abkehr des Landes von der Demokratie im Zuge der Corona-Maßnahmen bemängelte. »Die internationale Gemeinschaft wird Druck ausüben müssen, damit Ungarn zurückkehrt zu dem Club der zweifelsohne demokratischen Länder«, sagte die für Rechtsstaatlichkeit zuständige Kommissarin im EUParlament in Brüssel. Die Kommission werde weiter mit Budapest reden, habe derzeit allerdings keine Handhabe gegen die umstrittenen ungarischen Maßnahmen zum Corona-Notstand.
Das ungarische Parlament hatte die Regierung Ende März mit umfassenden Sondervollmachten zur Bewältigung der Coronakrise ausgestattet. Ministerpräsident Viktor Orbán kann seitdem zeitlich unbefristet per Dekret regieren. Kritiker werfen ihm vor, die Pandemie zum Ausbau seiner Machtposition zu missbrauchen. Auch die EU-Kommission hatte wiederholt Besorgnis geäußert.