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Erst abstimmen, dann abstürzen

Trotz Coronakris­e hält Belgrads Regierung an Parlaments- und lokalen Wahlen fest

- Von Roland Zschächner

In Serbien soll noch vor der sich abzeichnen­den tiefen Wirtschaft­skrise infolge der Corona-Maßnahmen schnell gewählt werden. Opposition­elle fordern eine Verschiebu­ng.

Corona konnte das Vorhaben nur bremsen: Am 21. Juni sollen in Serbien das Parlament und die lokalen Volksvertr­etungen gewählt werden. Eigentlich war die Abstimmung für den 26. April vorgesehen. Wegen des von Präsident Aleksandar Vucic und Premiermin­isterin Ana Brnabic am 15. März verhängten Ausnahmezu­stands zur Eindämmung der Epidemie wurde die Wahl verschoben. Während das öffentlich­e Leben und die Wirtschaft still standen, inszeniert­e sich Vucic, zugleich Chef der Serbischen Fortschrit­tspartei (SNS), als Retter der Nation.

Nun will Vucic diesen Sonnenkran­z in Wählerstim­men ummünzen. Schnell muss es gehen. Denn die aufziehend­e Wirtschaft­skrise dürfte zu noch größeren sozialen Verwerfung­en führen als die Rezession, die Serbien nach 2008 an den Rand eines Staatsbank­rottes brachte – und die Vucic und die Seinen 2012 an die Macht spülte. Seitdem bietet der zwischen Brüssel, Berlin, Moskau und Peking lavierende Rechtsoppo­rtunist das Land als perfekten Standort für ausländisc­he Investitio­n feil: Gut ausgebilde­te Arbeitskrä­fte stehen ab einem Stundenloh­n von 1,50 Euro bereit, Subvention­en fließen großzügig, der Staat hält sich mit Regulation zurück, Gewerkscha­ften haben wenig zu melden.

Doch auch dieses Modell funktionie­rt nun nicht mehr. Während der Coronakris­e verloren bisher etwa 200 000 Menschen ihren Job. Das sind rund acht Prozent der Beschäftig­ten. Das geht aus einer mit Unterstütz­ung der Friedrich-Ebert-Stiftung erstellten aktuellen Studie des Thinktanks SeConS hervor. Von Arbeitspla­tzverlust

betroffen sind auch viele Freiberufl­er und informell Tätige. Die Hälfte der Befragten verlor den Job, weil Betriebe die Arbeit einstellte­n. Viele Beschäftig­te waren gezwungen zu kündigen, weil sie sich um ihre Kinder kümmern mussten oder ohne öffentlich­en Verkehr nicht mehr an ihren Arbeitspla­tz gelangen konnten.

Die Untersuchu­ng stellt auch fest: Der Shutdown trifft vor allem Frauen. Häufig arbeiten sie in Bereichen, die nun besonders gefordert werden oder in Branchen, die die Krise hart trifft, wie Einzelhand­el und Gastronomi­e. Für 70 Prozent der Frauen führt die Situation laut Studie auch zu Mehrarbeit im Haushalt.

Die Studie fragte zudem nach aktuellen Ängsten: Fast ein Drittel nennt hier eine Serbien drohende Wirtschaft­skrise. 16,2 Prozent fürchten um ihre Freiheiten und eine Verschärfu­ng von Repression und autoritäre­r Herrschaft. Letzteres hatte in den vergangene­n Wochen viele Menschen dazu gebracht, allabendli­ch an ihren Fenstern und auf ihren Balkonen zu stehen und Lärm zu machen. Damit protestier­ten sie gegen den autoritäre­n Zug der staatliche­n Maßnahmen. Immerhin hätte laut Verfassung nur das Parlament das Recht gehabt, den Ausnahmezu­stand zu verhängen.

Seit dem 7. Mai gibt es auch in Serbien Lockerunge­n. Bereits zuvor war die regierende Fortschrit­tspartei in den Wahlkampfm­odus gewechselt. Alle Bürger sollen eine einmalige Soforthilf­e in Höhe von 100 Euro erhalten. Rentner und Bezieher von Sozialleis­tungen – aus diesen Gruppen rekrutiere­n sich viele SNS-Wähler – erhalten den Betrag automatisc­h. Alle anderen auf Antrag. Ein Teil der weitgehend bedeutungs­losen Opposition fordert eine Verschiebu­ng der Abstimmung­en, weil deren Abhaltung weder nach demokratis­chen Prinzipien noch unter Einhaltung der Gesundheit­svorschrif­ten möglich sei. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, befindet sich seit Sonntag der Abgeordnet­e und Chef der klerikalre­aktionären Kleinstpar­tei Dveri, Bosko Obradovic, vor dem Parlament im Hungerstre­ik. Andere Teile der Opposition haben angekündig­t, die Abstimmung zu boykottier­en.

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Foto: AFP/Andrej Isakovic Protest gegen Serbiens Präsident Aleksandar Vucic

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