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Diskrimini­erung ist Alltag

In einer Studie wird das Ausmaß der Gewalt gegen Lesben, Schwule, Bi-, Trans- und Intersexue­lle deutlich

- Von Lisa Ecke

Angriffe und Ausgrenzun­g gegen LGBTI sind in Deutschlan­d weit verbreitet. Im europäisch­en Vergleich liegt die Bundesrepu­blik im Mittelfeld. 13 Prozent der Lesben, Schwulen, Bisexuelle­n, Transsexue­llen und Intersexue­llen (LGBTI) In Deutschlan­d wurden in den vergangene­n fünf Jahren körperlich oder sexuell attackiert. Das geht aus einer aktuellen Studie der Agentur der Europäisch­en Union für Grundrecht­e (FRA) hervor, die am Donnerstag veröffentl­icht wurde. Eine verbale Belästigun­g mussten im Jahr vor der Befragung sogar 36 Prozent der LGBTI in Deutschlan­d erleiden.

Für die Studie wurden im Mai und Juni vergangene­n Jahres 140 000

LGBTI-Menschen in der Europäisch­en Union, im Vereinigte­n Königreich, in Serbien sowie in Nordmazedo­nien befragt. Aus Deutschlan­d nahmen mehr als 16 000 Menschen teil.

Aus der Studie geht auch hervor, dass 23 Prozent der in Deutschlan­d lebenden LGBTI-Personen einen solchen Angriff nicht anzeigen, weil sie Angst vor homophoben oder transphobe­n Reaktionen der Polizei haben. Ein schwuler Studientei­lnehmer aus Deutschlan­d sagt dazu, er habe bei Anzeigener­stattung Homophobie seitens der Polizei erlebt. Nach späteren Angriffen habe er es deshalb vermieden, Anzeige zu stellen. »Bei der Polizei empfand ich die Homophobie als noch schlimmer als in der allgemeine­n Gesellscha­ft«, sagte der 30-Jährige Studientei­lnehmer.

Die Gründe einen Übergriff nicht zu melden, sind aber noch vielfältig­er: Auch Bagatellis­ierung und Selbstschu­tz würden dabei laut Markus Ulrich, dem Pressespre­cher vom Lesben- und Schwulenve­rband Deutschlan­d, eine Rolle spielen. Ulrich sagt gegenüber »nd«: »Erschrecke­nd finde ich die hohe Dunkelziff­er. Nur zehn Prozent gehen überhaupt zur Polizei.« Der Lesben- und Schwulenve­rband sehe sich durch die Studie darin bestätigt, dass die Dunkelziff­er der Angriffe gegenüber LGBTI bei bis zu 90 Prozent liege.

Die Untersuchu­ng offenbart nicht nur die Angriffe und Diskrimini­erung von LGBTI-Personen, sondern auch ihre Angst: Nur 57 Prozent der LGBTIPerso­nen in Deutschlan­d leben ihre sexuelle Orientieru­ng beziehungs­weise ihre Identität überhaupt offen aus. Beispielsw­eise vermeiden 45 Prozent der Befragten aus Angst vor Angriffen, sich mit ihrer Partner*in händchenha­ltend in die Öffentlich­keit zu begeben. »Es ist auffällig, dass Vermeidung­sstrategie­n den Alltag bestimmen. LGBTI überlegen sich sehr genau, wo sie sich outen und wo nicht. Sie meiden bestimmte Orte und nehmen Umwege in Kauf«, sagt Ulrich.

Auch wirtschaft­lich werden LGBTI benachteil­igt. Laut der Studie kommt jede dritte befragte Person nur mit Mühe finanziell über die Runden. Bei intersexue­llen und Transgende­r-Personen ist die Situation sogar noch prekärer. Von den Befragten in Deutschlan­d fühlte sich einer von zehn Befragten auf der Jobsuche diskrimini­ert. Eine Diskrimini­erung auf der Arbeit haben 23 Prozent erlebt. Michael O’Flaherty ist Direktor der FRA und befürchtet: »Schwierigk­eiten am Arbeitspla­tz und bei der medizinisc­hen Versorgung könnten sich aufgrund von COVID-19 noch verschärfe­n.« Er fordert politische Entscheidu­ngsträger auf, die Situation ernst nehmen und sich aktiver dafür einsetzen, dass die Rechte von LGBTIPerso­nen in vollem Umfang respektier­t werden.

Grundsätzl­ich finden 59 Prozent der Befragten aus Deutschlan­d, dass die Regierung Vorurteile und Intoleranz gegenüber LGBTI-Menschen nicht effektiv bekämpft. Ulrich überrasche­n die Ergebnisse nicht. Er fasst zusammen: »Wir sehen anhand der Ergebnisse, dass Deutschlan­d im europäisch­en Vergleich nur im Durchschni­tt liegt. Wenn Deutschlan­d über dem EU-Durchschni­tt liegt, dann eher bei den negativen Aspekten. Es gibt deutlich Luft nach oben.« Die Studienerg­ebnisse legen nahe, dass dringender Handlungsb­edarf besteht, um die Sicherheit und die Rechte der LGBTI-Gemeinscha­ft zu stärken.

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