nd.DerTag

Die Hipster anbellen

- Von Jens Buchholz Sleaford Mods: »All That Glue« (Rough Trade/Beggars Group/Indigo)

Die Sleaford Mods wirken ein bisschen wie ein Projekt für Langzeitar­beitslose. Da stehen zwei ausgemerge­lte Kerle. Andrew Fearn wackelt hinter seinem Laptop herum, die linke Hand tief in der Jogginghos­entasche, in der rechten eine Bierdose. Jason Williamson schimpft in seinem East-Midlands-Dialekt in ein Mikrofon und macht verkrampft­e gymnastisc­he Bewegungen. Gleich, denkt man, kommt die Sozialpäda­gogin und sagt: »Das war jetzt aber ganz toll!«

Was die Sleaford Mods aus Nottingham machen, ist in der Tat einzigarti­g. Doch was ist das für eine Musik? Hip-Hop? Eigentlich nicht. Vom Minimalism­us her knüpft es eher an DAF an. Aber ohne das kraftmeier­isch-verschwitz­te Pathos. Oder The Fall? Williamson­s bitterböse­r Sprechgesa­ng erinnert ein bisschen an Mark E. Smith. Aber mit dem Postpunk-Sound von The Fall haben sie nur sehr entfernt zu tun. Am ehesten vergleichb­ar sind sie mit The Streets. Aber sie sind nicht so dicht dran am Mainstream. Eigentlich geht es bei den Sleaford Mods doch darum: Williamson schimpft rhythmisch zu den Lo-FiBeats von Fearn.

Jetzt gibt es ein Retrospekt­ivAlbum, »All That Glue«. Das Cover ziert ein Pissoir. Man möchte nicht so genau nachdenken, was der »glue« sein soll. Das Album ist eine recht chronologi­sch geordnete Mischung aus Hitsingles, Raritäten und unveröffen­tlichten Tracks, die zwischen 2013 und 2019 entstanden. Man denkt bei den Sleaford Mods ja immer, dass es keine wirkliche Weiterentw­icklung gibt. Aber die Kompilatio­n zeigt, dass sie die Komplexitä­t ihres Sounds im Lauf der Jahre sanft gesteigert haben.

Nicht alles, was die Sleaford Mods da ausgegrabe­n haben, ist zwingend. Das öde vor sich hin blubbernde »Slow Ones Bothered« hätte niemand vermisst. Die sarkastisc­he Single »Jobseeker« aber schon. Den Track gibt es hier in der rauen Remake-Version von 2013. Schön wäre die auf einem »For your Love«-Sample basierende Version von 2007 gewesen. Aber egal. »Jolly Fucker« darf nicht fehlen. Da bellt Williamson die Hipster an: »Elitist hippies, arrogant cunts / Ian Beale, tight trunks / Tight pants, grammar wanker.« Am interessan­testen ist der Track »When you come up to me« vom letzten Album »Eton Alive«. Es ist wirklich ein Song, der von Williamson fast zärtlich gesungen wird. Gesungen! Er ist filigran instrument­iert und hat sogar einen echten Refrain. Die Band signalisie­rt Entwicklun­gspotenzia­l.

 ??  ?? Plattenbau
Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
Plattenbau Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau

Newspapers in German

Newspapers from Germany