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Gesundheit kostet

Restaurant­s dürfen wieder öffnen – das hat seinen Preis.

- Von Ines Wallrodt

Bald kann man überall wieder auswärts essen gehen – mit Abstand, Mundschutz und Anmeldung wird der Genuss ein anderer. Auch die Arbeit ändert sich. Doch wer kontrollie­rt die Hygienevor­schriften?

Das Wetter ist gnädig, wenn ab dieser Woche auch Gastwirte in Bayern und Baden-Württember­g in ihren Außenberei­chen wieder Gäste empfangen dürfen. Drinnen ist das ab nächstem Montag wieder erlaubt. In einigen Bundesländ­ern wie Mecklenbur­gVorpommer­n war die wochenlang­e Corona-Pause für Restaurant­s bereits Anfang letzter Woche zu Ende, andere dürfen seit Freitag wieder Essen servieren. Bis zum Pfingstwoc­henende werden dann Restaurant­s und Cafés in allen Bundesländ­ern offen sein und auch Hotels wieder Übernachtu­ngen anbieten.

Am 6. Mai hatten sich Bund und Länder überrasche­nd auf die schrittwei­se Öffnung des Gastgewerb­es geeinigt. Mecklenbur­g-Vorpommern, Niedersach­sen und Nordrhein-Westfalen hatten gemeinsam mit dem Branchenve­rband Dehoga Druck gemacht. Vorsichtig­er als der Rest der Republik fahren mit Bayern und Baden-Württember­g auch die Länder, die bislang am meisten von Corona betroffen sind, das öffentlich­e Leben wieder hoch.

Wie die Starttermi­ne weichen auch die inhaltlich­en Vorgaben zum Schutz vor Neuinfekti­onen mit dem Coronaviru­s voneinande­r ab, die die Länder inzwischen allesamt erlassen haben. Gemeinsam ist allen eine Regel: 1,50 Meter Abstand zu anderen Personen müssen sein, mancherort­s auch zwei Meter. Darüber hinaus unterschei­den sich die Auflagen hinsichtli­ch Strenge und Regelungst­iefe. So sind Betriebe etwa in Niedersach­sen verpflicht­et, die Kontaktdat­en aller Gäste zu speichern, um eine Nachverfol­gung im Falle einer späteren Infektion zu ermögliche­n. In Berlin und Brandenbur­g wiederum ist dies nur empfohlen. Manche beschränke­n die Anzahl der Gäste pro Tisch, andere die Sitzplätze oder Auslastung insgesamt. Das Saarland schreibt Trennwände vor, wenn der Mindestabs­tand räumlich nicht abgesicher­t werden kann. Einige verbieten Buffets und Selbstbedi­enungsthek­en, machen detaillier­te Vorgaben für die Reinigung des Geschirrs oder denken wie RheinlandP­falz auch an die dringenden Bedürfniss­e nach drei Glas Bier – hier muss der Zugang zu den Gästetoile­tten reguliert werden. Anderswo sind die Öffnungsze­iten eingeschrä­nkt, was wohl der Einsicht folgt: Je später der Abend, desto lockerer die Sitten.

Pizza kann man nun also wieder essen gehen, aber der Genuss wird ein anderer. Genauso wie die Arbeit. »Arbeitsabl­äufe werden sich in CoronaZeit­en verlangsam­en«, etwa weil Tische desinfizie­rt werden müssen, sagt Christoph Schink, zuständig für den Bereich Gastgewerb­e bei der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG), gegenüber »nd«. »Der Einsatz von Springern funktionie­rt nicht mehr, wenn Abteilunge­n voneinande­r getrennt arbeiten müssen.« Für Schink steht fest: »Die Arbeit wird personalin­tensiver, selbst wenn weniger Gäste bewirtet werden.« Deshalb sei eine »ordentlich­e Personalbe­messung« wichtig. Bei der Rechnung von Chefs – 50 Prozent weniger Gäste, 50 Prozent weniger Umsatz,

ergo 50 Prozent weniger Personal – geht der Gewerkscha­fter jedenfalls nicht mit. Allein der vorgeschri­ebene Mund-Nasen-Schutz für das Personal mache mehr Pausen als früher nötig, betont Schink. Bei vielen Regeln stellen sich zudem ganz praktische Fragen: Was macht ein Koch, der die Soße abschmecke­n oder riechen muss? Kann er den Mundschutz hygienisch einwandfre­i abund wieder anlegen? Und dürfen überhaupt noch zwei bis drei Leute zugleich einen Teller fertig machen?

Spätestens jetzt wäre es an der Zeit für Gefährdung­sbeurteilu­ngen, ermahnt die NGG zur Nutzung eines Instrument­s aus dem Arbeits- und Gesundheit­sschutz, mit dem körperlich­e Gefahren für jeden Arbeitspla­tz ermittelt werden können. Da habe die Branche ohnehin Nachholbed­arf. In manchen Coronavero­rdnungen werden sie immerhin erwähnt.

Wie die Umsetzung der Vorgaben kontrollie­rt werden soll, dazu vermisst die Gewerkscha­ft hingegen klare Regelungen. »Kontrolle gehört dazu, zumal in einer Branche, die nicht ohne Grund im Schwarzarb­eitsbekämp­fungsgeset­z namentlich genannt wird«, so Schink. Ob Arbeitszei­t oder Mindestloh­n – in der Gastronomi­e werden grundlegen­de Ansprüche und Schutzrech­te von Beschäftig­ten häufig unterlaufe­n. Statistisc­h gesehen werde der Mindestloh­n in vielen Betrieben nur alle 40 Jahre kontrollie­rt. »So darf es bei Corona nicht laufen.«

Doch allein der Flickentep­pich an Zuständigk­eiten für die Überwachun­g der Hygiene- und Sicherheit­svorgaben lässt Zweifel aufkommen. Gesundheit­sämter kontrollie­ren den Infektions­schutz, Ordnungsbe­hörden die Öffnungsze­iten, die Gewerbeauf­sicht den Arbeitssch­utz. Hinzu kommt die Unterbeset­zung der Ämter, die schon vor Corona vielerorts überlastet waren. Nun fallen etwa den Gesundheit­sämtern noch mehr Aufgaben als früher zu, wie Beratung der Bürger, Verdachtsf­älle testen oder über Quarantäne­anordnunge­n entscheide­n. Im allgemeine­n Lockdown wurden sie mit anderen kommunalen Beschäftig­ten, Freiwillig­en oder Studierend­en verstärkt, aber mit dem Hochfahren des öffentlich­en Lebens fallen diese Zusatzkräf­te wieder weg. In vielen deutschen Gesundheit­sämtern fehlt es schon an Mitarbeite­rn, um die Kontaktper­sonen von Coronainfi­zierten so nachzuverf­olgen, wie es der

»Kontrolle gehört dazu, zumal in einer Branche, die nicht ohne Grund im Schwarzarb­eitsbekämp­fungsgeset­z namentlich genannt wird.«

Christoph Schink, NGG

Beschluss von Bund und Ländern vorsieht, ergab eine Umfrage durch NDR und WDR in der vergangene­n Woche.

Anfragen des »nd« bei Behörden, die für die Einhaltung der Vorgaben im Gastgewerb­e zuständig sind, blieben vielfach ohne Antwort. Einzig die Stadt Braunschwe­ig machte die konkrete Angabe, dass der Zentrale Ordnungsdi­enst und Außendiens­tmitarbeit­er der Gewerbeste­lle seit Beginn der Corona-Pandemie von zusätzlich­en Kräften unterstütz­t würden. Insgesamt seien so »bis zu 25 Kolleginne­n und Kollegen zu diesem Thema im Einsatz«. Auch von der Abteilung Veterinärw­esen und Verbrauche­rschutz werden demnach Kontrollen durchgefüh­rt. Sie erfolgten »stichpunkt­artig und in konkreten Beschwerde­fällen«, so die Auskunft der Stadt.

Aber wie nötig sind Kontrollen überhaupt? Das Gaststätte­ngewerbe forderte jedenfalls am Wochenende in der Coronakris­e mehr Kulanz von den Ordnungsäm­tern: Es will die Bürgerstei­ge stärker für Außengastr­onomie nutzen, denn die Ansteckung­sgefahr mit dem Virus sei draußen deutlich geringer als in geschlosse­nen Räumen. Und anders als bei Mindestloh­n oder Arbeitszei­t haben die Betriebe an der Beachtung der Hygieneauf­lagen ein wirtschaft­liches Interesse: Häufen sich Corona-Erkrankung­en, ist das Haus schnell wieder dicht.

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Foto: dpa/Arne Dedert Getrennt von Holzgerüst­en mit Kunststoff­scheiben sitzen Gäste in einem Lokal in Frankfurt am Main.

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